
Interview Ungeklärte Rechtsfragen auf dem Amazon Marketplace
Peer Fischer, IT-Fachanwalt bei der Kanzlei BBP Rechtsanwälte
Peer Fischer, IT-Fachanwalt bei der Kanzlei BBP Rechtsanwälte
Mehrere Marketplace-Händler haben sich wegen Account-Sperrungen an die Redaktion von INTERNET WORLD Business gewandt und gefragt: Darf Amazon das? Wir haben ihre Fragen an den IT-Fachanwalt Peer Fischer weitergeleitet.
Immer wieder sperrt Amazon die Accounts von Marketplace-Händlern: Weil die Händler gegen die umfangreichen Richtlinien des Marktplatzes verstoßen haben, weil eine Plagiats- oder Patentbeschwerde gegen sie vorliegt - oder auch mal ohne Angaben von Gründen. Für die Händler hat das oft dramatische wirtschaftliche Folgen, vor allem, wenn das für die Sperre verantwortliche Problem nicht schnell genug aus der Welt geschafft wird und die betroffenen Händler wochen- oder monatelang nicht auf Amazon handeln können. Mehrere Marketplace-Händler haben der Redaktion von INTERNET WORLD Business ihre Fälle geschildert und gefragt: Darf Amazon das? Und wenn ja: Wie können wir uns dagegen wehren? Peer Fischer, IT-Fachanwalt bei der Kanzlei BBP Rechtsanwälte, hat ihre Fragen beantwortet.
Herr Fischer, wie sieht die Rechtslage in Bezug auf Amazon als Marktplatz-Plattform für andere Händler aus?
Peer Fischer: Hier haben wir im B2B-Bereich juristisch gesehen weitgehend Terra incognita, was die Amazon-AGB angeht. Bisher wurde eigentlich nur die früher gültige Klausel über die Preisparität durch das Kartellamt überprüft und ein entsprechendes Verfahren eingeleitet - Amazon hat seine Geschäftsbedingungen auf Druck des Kartellamtes letztendlich angepasst. Aber abgesehen davon ist unfassbar viel ungeklärt. Und das bedeutet für Händler: Was auch immer Amazon in seine B2B-AGB schreibt, gilt fürs Erste.
Gilt das auch für umstrittene Regelungen wie den Umstand, dass Amazon in seinen Logistikzentren gelagerte Waren im Härtefall vernichten kann?
Fischer: Vor allem diese Klausel ist tatsächlich sehr ungewöhnlich, vor allem mit der harten Frist von vier Wochen nach einer ersten Warnung. Ich habe zumindest keinen Fulfillment-Anbieter gefunden, der derartige Klauseln in den AGB vereinbart hätte. Aus meiner Sicht greift diese Klausel sehr einseitig in das Eigentum des Vertragspartners ein. Aber auch hier gilt: Solange kein Gericht in einem Verfahren gegenteilig entschieden hat, sind die von beiden Vertragspartnern - also Amazon und den Marketplace-Händlern - unterzeichneten AGB erst einmal verbindlich vereinbart. Ob eine Klausel am Ende dann auch wirksam vereinbart ist, steht auf einem anderen Blatt.
Aber im Fall von Amazon und den Marketplace-Händlern reden wir doch nicht über einen auf Augenhöhe verhandelten Vertrag. Amazon legt die Verträge fest und die Händler müssen sie unterzeichnen.
Fischer: Natürlich kann Amazon aufgrund seiner Marktmacht eine "Friss oder stirb"-Position einnehmen. Und unter Umständen ist aber eben diese Marktmacht der Ansatzpunkt, an dem man Amazon in einem Rechtsstreit zu fassen bekommen könnte.
Sie spielen auf ein Kartellrechtsverfahren an.
Fischer: Genau. Doch hier kommt die erste Hürde, denn in den Amazon-AGB ist als Gerichtsstand Luxemburg vereinbart. Ob kartellrechtliche Schadensersatzansprüche (etwa aus § 33 GWB) über die AGB einem anderen - das heißt nicht deutschen - Gerichtsstand zugewiesen werden können, lässt sich nur schwer beurteilen. Der EuGH hat aber in einem Urteil vom 21.05.2015 (EUGH, Az.: C-352/13 - Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA gegen Akzo Nobel NV u. a.) die Auffassung vertreten, dass "eine Klausel, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit erfasst, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird".
Und das heißt?
Fischer: Im deutschen Kartellrecht gibt es etwa das Verbot der unbilligen Behinderung (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB). Wenn ein marktbeherrschender Teilnehmer wie Amazon einseitig und nicht nachprüfbar entscheidet, wer auf seinem Marktplatz auftreten darf und wer nicht, behindert er das Geschäft der Händler, deren Account geschlossen wurde. Das Hausrecht findet seine Grenze in der Willkürlichkeit, wenn es etwa keinen nachvollziehbaren Grund für den Ausschluss eines Händlers gibt. Allerdings müssten die Händler zunächst selbst vortragen, dass Amazon sie tatsächlich willkürlich ausgeschlossen hat.
Das dürfte schwierig werden; viele Händler berichten, dass es schwierig ist, überhaupt den Grund für eine Account-Sperre herauszufinden.
Fischer: Das stimmt. Betroffene Händler könnten daher evtl. zunächst Ansprüche wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in den "eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" geltend machen und so - wenn notwendig im Klagewege - Amazon zwingen, Auskunft zu geben, warum ein Ausschluss denn überhaupt erfolgt ist.
Eine Klage ins Blaue. Gegen Amazon. Klingt nicht nach einem Händler-Traum.
Fischer: Sozusagen. Und darin liegt wohl einer der Hauptgründe für den bisherigen Mangel an Urteilen in dieser Angelegenheit. Jeder Händler, der gegen Amazon vor Gericht zieht, wird sich ausrechnen können, dass sein Geschäft dadurch nicht wirklich leichter werden wird. Andererseits sollte sich mal ein Händler trauen; dadurch würden einige Ungereimtheiten in den AGB auch gerichtlich geprüft. Ich würde auch jedem Händler, der sich willkürlich behandelt fühlt, empfehlen, gegen Amazon einmal Ansprüche, insbesondere kartellrechtliche, geltend zu machen. Das kann ja zunächst nur außergerichtlich erfolgen.
Was ist in den - wenigen - Fällen, in denen eine Sperre nicht einem Versäumnis des Händlers zuzuschreiben ist, sondern einem Problem von Amazon? Eine mehrwöchige Sperre kann einen Marketplace-Händler ja in den Ruin treiben. Ist Amazon dann nicht zu Schadenersatz verpflichtet?
Fischer: Wenn Amazon Schadenersatz-Forderungen in den AGB ausgeschlossen hat, kommt man mit deutschem oder EU-Recht nicht weiter, da Amazon in Europa seinen Geschäftssitz in Luxemburg hat. Also müsste man nach luxemburgischem Recht gegen diese AGB-Klausel vorgehen. Da aber Deutschland mit seinem eher strikten B2B-Recht einen juristischen Sonderweg geht, dürfte man hier in Luxemburg mit den hier möglichen Klagegründen wie Eigentumsverletzung oder Sittenwidrigkeit nicht weit kommen. Zudem ist Luxemburg ein kleines Land mit einer noch kleineren Anwaltslandschaft. Da müssen Sie auch erstmal einen Anwalt finden, der gegen Amazon vorgehen will.