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Grafik zu Börsenkurs

Börse Der Online-Handel ist Anlegers Liebling

shutterstock.com/hywards
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Die Bewertung von Amazon an der Börse entzieht sich traditionellen Mustern. Doch auch andere Player boomen. Warum steht der Online-Handel so hoch im Kurs?

Von Jochen Krisch

Seit der Jahrtausendwende sind nicht mehr so viele Online-Händler an die Börse gegangen wie in den vergangenen beiden Jahren. Und speziell Amazon hat 2015 eine Kursexplosion erlebt, die es in der Börsenbewertung erstmals an Wal­mart vorbeiziehen ließ. Warum schätzen die Anleger Amazon & Co. auf einmal so hoch ein? Im Jahr zuvor war das schließlich noch ganz anders. 2014 hatte Amazon eines seiner schwärzesten Jahre. Auf den misslungenen Einstieg in den Smartphone-Markt mit dem Fire Phone folgten Abschreibungen in Höhe von Hunderten von Millionen von US-Dollar und entsprechende Kursrückgänge.

Im Jubiläumsjahr 2015 lief für Amazon hingegen alles wie am Schnürchen. Amazon gab den Investoren das, was sie ­sehen wollen: Wachstumsraten von 20 Prozent (in den USA: plus 25 Prozent) und neue ­Umsatzrekorde, zudem (zwar minimalste, aber doch über den Erwartungen liegende) Ge­winne. Und erstmals auch zusätzliche Transparenz, was das Technologiegeschäft mit den Amazon Web Services angeht.

So wird Amazon für 2015 erstmals Umsätze von mehr als 100 Milliarden US-Dollar vermelden können, zusätzlich zu den Marktplatzumsätzen, von denen in die Amazon-Bilanz nur die Provisionseinnahmen einfließen. Doch ist für ein Unternehmen, das kaum Gewinn ausweist, eine Börsenbewertung von 300 Milliarden US-Dollar und mehr gerechtfertigt? Unter klassischen Gesichtspunkten sicher nicht.

Wie profitabel ist Amazon im Kern?

Amazon entzieht sich weiterhin einer klassischen Bewertung nach dem klassischen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Agiert es doch nicht wie ein regulärer, am Markt bereits etablierter Handels- und Technologiekonzern, der jährlich seine Dividende abwirft, sondern immer noch wie ein wachstumsstarkes Jungunternehmen mit großen Ambitionen.

So optimiert Amazon bewusst den Cashflow anstatt der Gewinne. Solange die Einnahmen jeden Monat um ein Erhebliches über den Ausgaben liegen, hat Amazon genügend flüssige Mittel zur Hand, um sich milliardenschwere ­Zukäufe und Investitionen zu leisten. Auf Dauer funktioniert das ­allerdings nur, wenn Amazon weiter stark wächst. Ernsthaft sorgen müssten sich die Anleger vor allem dann, wenn Amazons Ambitionen schwinden und die Wachstumsraten plötzlich unter zehn Prozent fielen. Dann würde das Modell Amazon implodieren.

Doch wie profitabel arbeitet Amazon heute schon? Die ausgewiesenen Gewinne helfen einem hier nicht weiter. Zur Beurteilung müsste man das Pferd von hinten aufzäumen und sich fragen: Könnte Amazon heute bereits die für eine derartige ­Bewertung erforderlichen Gewinne im zweistelligen Milliardenbereich vorweisen, wenn es nicht mehr in Wachstum, in die (Logistik-)Infrastruktur und neue Geschäftsfelder investieren würde, wenn es also zum Beispiel sein kostspieliges Prime-Programm und andere Aktivitäten einstellen oder kräftig zurückschrauben würde?

Marktplatz und Web Services als Profittreiber

Gewinne im zweistelligen Milliarden­bereich sind für Amazon durchaus im Rahmen des Möglichen, wenn auch wohl nicht mit dem Handelsgeschäft allein, das sicherlich nicht zu den Allerprofitabelsten zählt. Amazons größte Rentabilitäts­maschine dürfte augenblicklich noch das Marktplatzgeschäft sein. Hier profitiert Amazon margenunabhängig von umsatzbasierten Provisionserlösen und festen Servicegebühren. Und wie lukrativ das sein kann, verdeutlicht nicht zuletzt eBay, das 2014 bei einem Handelsvolumen von 83 Milliarden US-Dollar Provisionserlöse von 8,8 Milliarden US-Dollar erzielt hat - bei einer Gewinnmarge von rund 33 Prozent.

Aber auch was das Technologiegeschäft mit den Web Services abwirft, ist inzwischen bekannt. Allein damit wird Amazon 2015 - bei Umsätzen von über 7 Milliarden US-Dollar - operative Gewinne in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden US-Dollar erzielen können. Und angesichts der anhaltenden ­Dynamik in diesem Segment werden sich Umsätze wie Gewinne in diesem Segment mittelfristig vervielfachen.

Investitionen in das Indien-Geschäft

Bleiben noch die Milliarden, die Amazon zurzeit in das Indien-Geschäft sowie in neue Technologien und ­Logistikmodelle steckt. Was, wenn die Ausgaben dafür ­gewinnwirksam würden?

Die Fantasie der Anleger hat Amazon längst durch Musik- und Videostreaming-Geschäfte, Cloud Services sowie Dash Buttons und sprachgesteuerte Bestellung via Amazon Echo geweckt.

Allerdings ist und bleibt Amazon eine Ausnahmeerscheinung unter den börsennotierten Online-Händlern. Zwar wird so manch anderer von den Euphorieschüben über die Entwicklung von Amazon mitgetragen, aber beileibe nicht alle, wie ein Blick auf die Gewinner und Verlierer des Börsenjahres zeigt. Nur ein Bruchteil der derzeit gut drei Dutzend börsennotierten Online-Händler legte 2015 Kurssprünge wie Amazon hin.

Gerade Börsenneulinge mussten 2015 Kursverluste hinnehmen

Gerade Börsenneulinge wie Windeln.de und andere, die mit enormen Bewertungen an die Börse gegangen sind, hatten bei den geringsten Unsicherheiten hinsichtlich ihres Geschäftsmodells und der Erlösentwicklung mit zum Teil erheblichen Kursverlusten zu kämpfen. Neben Yoox und Net-A-Porter, die von der Fusion profitierten, zählt vor allem Zalando zu den großen Börsenüberraschungen. Trotz anfänglicher Durchhänger konnten größere Kurseinbrüche vermieden werden, 2015 ging es von Rekord zu Rekord - mit Zooplus im Windschatten.

Nach den extremen Wachstumssprüngen der vergangenen Jahre war Zooplus im Vergleich zu den meisten anderen Händlern an der Börse zuletzt stark unterbewertet. Umsatzseitig hat das Unternehmen mit über 700 Millionen Euro Umsatz inzwischen selbst die Elektonikversender hinter sich gelassen und dringt nun in Umsatzregionen vor, die die Marktführerambitionen bei Tierbedarf unterstreichen. Zooplus hat zudem die Wiederbestellraten im Griff und kann hier Werte vorweisen wie kaum ein anderer Online-Versender, von Shopping Clubs einmal abgesehen.

Die großen Online-Händler schaffen für sich optimale Strukturen

Zunehmend mehr Online-Händler überspringen umsatzseitig die 500-Millionen-Euro- beziehungsweise die Milliarden­marke und dringen damit in Umsatzregionen vor, die vorher Amazon sowie einigen wenigen chinesischen Online-Anbietern wie VIPShop vorbehalten waren.

Größe wird für den Online-Handel in der aktuellen Marktphase ein zunehmend ausschlaggebendes Moment für die Wettbewerbsfähigkeit. Denn erst wer groß genug ist, kann die Strukturen und die Bedingungen schaffen, um den Markt effizienter zu bedienen und ­damit und auf Dauer wettbewerbsfähig zu bleiben.

Traditionelle Händler können mit der aktuellen Wachstumsdynamik der Onliner nur schwer mithalten und werden deshalb an der Börse abgestraft. Zwar wachsen auch Media-­Saturn & Co. online stark, doch kommt es hier in der Regel nur zu Umsatzverlagerungen: Was in dem ­einen Kanal hinzukommt, das geht in dem anderen verloren. Unterm Strich bleibt dann oft sogar eine rückläufige Umsatzentwicklung.

Walmart als Benchmark für Amazon

Doch selbst für Amazon ist börsenseitig immer noch Walmart die Messlatte in ­Sachen Größe und Profitabilität. Noch ist Walmart fünfmal größer als Amazon und weist zudem jährlich Gewinne im zweistelligen Milliardenbereich aus.

Obwohl Walmart in Sachen Digitalisierung in den letzten Jahren alles andere als untätig war, gibt es erheblichen Nachholbedarf. Denn trotz eines Online-Umsatzes von mittlerweile 13 Milliarden US-Dollar bleibt der Online-Anteil am Gesamtumsatz gering. Um digital schlagkräftiger zu werden, hat Walmart deshalb zum Jahreswechsel angekündigt, seine Technologieabteilungen am Stammsitz und im Silicon Valley zusammenzulegen. Zugleich will Walmart 269 unprofitable Filialen schließen, die für ­etwa ein Prozent des Gesamtumsatzes stehen. In den USA stehen dabei drei Prozent aller Filialen zur Disposition.

Woran es bei Walmart online krankt, zeigte sich an Amazons Prime Day im Juli, mit dem sich Amazon bewusst an Stammkunden wendete. Walmart ließ sich dazu verleiten, sich an die Aktion des - aus Walmart-Sicht sehr viel kleineren - Wettbewerbers anzuhängen, und das dann auch noch mit dem Argument, dass es bei Walmart jederzeit günstige Preise für alle gibt. Hier zeigte sich, dass Walmart weder das Amazon-Prinzip verstanden hat noch in der Lage ist, im Internet ­eigene Akzente zu setzen.

Unterschiedliche Maßstäbe gelten an der Börse

Nach wie vor wird der Online-Handel und der etablierte Handel an der Börse mit zweierlei Maß gemessen. Von den Etablierten wird erwartet, dass sie möglichst hohe Gewinne abwerfen. Von den Onlinern werden zwar ebenfalls Gewinne erwartet (und die meisten erfüllen diese Erwartung auch), mindestens ebenso wichtig sind hier aber auch die Wachstumsraten. Nur sie rechtfertigen die zum Teil sehr hohen Bewertungen.

Erst die Zukunft wird zeigen, ob Börsenneulinge wie Wayfair & Co. die Erwartungen ähnlich erfüllen können wie Asos und andere, die schon seit Jahren von ­einem Aufwärtstrend profitieren.

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