Der US-Onlinehandelsriese Amazon ist vor Gericht damit gescheitert, der Gewerkschaft Verdi das Streiken auf einem Betriebsparkplatz zu verbieten. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt könnte auch andere Firmen betreffen. Die Richter setzten aber auch Grenzen.
Unternehmen müssen unter bestimmten Voraussetzungen hinnehmen, dass Gewerkschaften auf dem Betriebsgelände streiken. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt mit einem Grundsatzurteil entschieden. US-Onlinehandelsriese Amazon scheiterte im Streit mit der Gewerkschaft Verdi vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht damit, solche Streiks auf dem Betriebsparkplatz zu verhindern.
Worum drehte sich der Konflikt genau?
Im Kern ging es um einen Parkplatz am Amazon-Standort Pforzheim (Baden-Württemberg), den das Unternehmen gepachtet hat. Auf dem Areal, das zum Betriebsgelände gehört, streikten in der Vergangenheit Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie verteilten dort auch Flugblätter und forderten andere Mitarbeiter auf, sich dem Ausstand anzuschließen. Nach Angaben eines Sprechers des Bundesarbeitsgerichts musste der erste Senat in Erfurt zwischen dem Hausrecht des Arbeitgebers und dem Streikrecht der Arbeitnehmer abwägen.
Wie hat das Gericht entschieden?
Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Gewerkschaften auf dem Firmenparkplatz streiken, entschieden die Erfurter Arbeitsrichter. Allerdings sei dies "kein Freibrief für jedwede gewerkschaftliche Aktion", betonte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt in der Urteilsbegründung.
Wo liegen die Grenzen?
Schmidt sagte, dass im konkreten Fall der Arbeitgeber eine kurzzeitige, situative Inanspruchnahme geringer Flächen des Firmenparkplatzes hinzunehmen hat. Auch die Verhältnisse vor Ort spielen eine Rolle. Der Parkplatz am Amazon-Standort Pforzheim befindet sich unmittelbar vor dem Haupteingang, die meisten Mitarbeiter kommen mit dem Auto zur Arbeit und würden wohl an den Verdi-Streikposten vorbeifahren, wenn die Gewerkschafter auf einen öffentlichen Gehweg vor dem Betriebsgelände ausweichen müssten. Wie ein Gerichtssprecher sagte, komme es also auch künftig immer auf den Einzelfall an. "Am Ende wird die Gewerkschaft schauen müssen, dass sie es nicht übertreibt", sagte der Sprecher.
Wie grundsätzlich ist die Entscheidung?
Experten hatten der Entscheidung bereits im Vorfeld eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Der Arbeitsrechtler Olaf Deinert etwa sagte, dass es auch um die Frage gehe, ob ein Arbeitgeber das Streikrecht zurückdrängen und aushöhlen kann. Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing wies darauf hin, dass "das Arbeitskampfrecht nicht durch Gesetze geregelt ist, sondern nur durch gerichtliche Entscheidungen konkretisiert wird". Hinzu kommt, dass viele Firmen Parkplätze vor den Werkshallen oder Betrieben haben. Durch das BAG-Urteil ist nun klar, dass dies nicht unbedingt reicht, um dort Streiks zu verhindern.
Wie reagierten Amazon und Verdi auf das Urteil?
In einem Statement erklärte Amazon, man respektiere das Recht jedes Einzelnen Mitglied einer Gewerkschaft zu sein und an rechtmäßigen Streiks teilzunehmen. Ob Amazon mit dem Fall noch bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wird, konnte ein Sprecher zunächst nicht sagen. In dem Statement hieß es, man müsse die schriftliche Urteilsbegründung noch abwarten.
Verdi wertete die Entscheidung des BAG als "Riesen-Erfolg". "Heute ging es um nichts geringeres als um die Reichweite des Streikrechts", sagte Jens M. Schubert von Verdi.
Worum geht es im konkreten Tarifkonflikt zwischen Amazon und Verdi?
Zwischen dem Konzern und der Gewerkschaft tobt seit Jahren ein erbitterter Streit - inklusive mehrerer Streikaktionen an größeren Standorten wie Bad Hersfeld oder Leipzig. Verdi will erreichen, dass die Amazon-Mitarbeiter nach den Tarifbedingungen des Einzel- und Versandhandels bezahlt werden. Amazon lehnt das ab und orientiert sich an der Vergütung in der Logistik-Branche.