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Chris McCabe

Amazon Marketplace Amazon-Insider McCabe: "Weniger jammern, mehr Business"

E-Commerce Chris
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Wenn Marketplace-Händler von Amazon gesperrt werden, sind sie meistens selbst schuld, so der US-amerikanische Ex-Amazon-Mann Chris McCabe. Ein Gespräch über jammernde Händler und lausige Kommunikationspolitik.

Es ist für jeden Marketplace-Händler ein Schockmoment, wenn diese Mail von Amazon in seinen Posteingang flattert: "Ihr Verkäuferkonto auf Amazon wurde gesperrt." Immer wieder wenden sich Marketplace-Händler an unsere ­Redaktion, deren Account plötzlich und aus ihrer Sicht meist aus nicht nachvollziehbaren Gründen gesperrt wurde. Vor allem für kleinere Händler, die den größten Teil ihres Umsatzes über den größten Marktplatz der Welt erzielen, ist so eine Sperrung existenzbedrohend, die sich mal Tage oder Wochen, mitunter aber sogar Monate hinziehen kann.

Trotzdem rät einer, der es wissen muss, in solchen Fällen zu Besonnenheit: Chris McCabe, der viele Jahre als Merchant Investigator im Amazon-Hauptquartier in Seattle gearbeitet hat und heute als freier Berater Marktplatz-Händler bei Problemen mit dem größten Marktplatz der Welt unterstützt. Seine Botschaft an deutsche Marketplace-Händler: weniger jammern, mehr Geschäft.

Chris, wenn Sie einmal Ihren durchschnittlichen Kunden betrachten: Was sind die Hauptgründe, die zu Problemen für Amazon-Marketplace-Händler führen?
Chris McCabe: Da gibt es zwei verschiedene Kategorien von Gründen. Einerseits gibt es die Verkäufer, die sich nicht an die Amazon-Policies halten. Manchmal scheint das Problem von außen betrachtet eher nichtig zu sein - es geht beispielsweise um das falsche Format eines Bildes oder Unregelmäßigkeiten in der Produktbeschreibung. Manchmal handelt es sich auch um schwerwiegendere Pro­bleme, beispielsweise um Patent- oder ­Lizenzstreitigkeiten oder markenrechtliche Probleme. Auch der Verkauf von Produkten, deren Listung auf Amazon verboten ist, führt immer wieder zu Konflikten. Was auch immer der Anlass sein mag: Amazon setzt seine Policy sehr streng um. Dennoch denken manche Händler immer noch, es gäbe bei der ­Interpretation der Regeln Spielräume - doch die gibt es eben gerade nicht. Amazon erwartet von den Händlern, dass sie die AGB sehr genau lesen und ihren ­Account ständig im Auge behalten. Der Marktplatz hat buchstäblich überhaupt keine Geduld für Händler, die das nicht tun.

Und die andere Art von typischen Problemen, die Sie eingangs erwähnt haben?
McCabe: Die entstehen aus schlechten Verkäuferleistungen. Wenn Ihre Produktbewertungen oder Ihre Versandstatistik unterdurchschnittlich schlecht sind oder Kunden Ihre Produkte zu oft retournieren, wird sich Amazon eventuell für Ihren ­Account interessieren.

Wie findet Amazon diese schwarzen Schafe unter den Millionen von Verkäufern weltweit?
McCabe: Da kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz. Ein gewisser Prozentsatz der Nachforschungen beruht auf ­Algorithmen, die Unregelmäßigkeiten in den Accounts feststellen. Ein anderer Prozentsatz stammt von Kundenbeschwerden. Auch andere Verkäufer können einen Fall gegen einen Wettbewerber eröffnen, beispielsweise in Sachen Marken- oder ­Lizenzrecht. In vielen Fällen dauert es ­etwas, bevor Amazon tatsächlich eine ­Untersuchung startet, weil die Mitarbeiter im Bereich Seller Performance hoffnungslos überarbeitet sind. Deshalb kommen ­einige Händler manchmal mit Regelverletzungen für eine Weile durch - bis Amazon sie am Ende doch einholt.

Wenn es zum Schlimmsten kommt und ein Verkäufer-Account gesperrt wird: Was ist das Schlechteste, was der betroffene Verkäufer in dieser Situation tun kann?
McCabe: Davon auszugehen, dass Amazon an dem Problem an sich interessiert ist. Amazon will die Geschichte hinter ­einem Fehler oder einer schlechten Verkäuferleistung oder einer Markenrechtsverletzung nicht hören - sie sind einzig und allein daran interessiert, was der Verkäufer konkret tun wird, um das Problem zu lösen und zu vermeiden, dass es wieder auftritt.

Viele Händler, deren Account gesperrt ­wurde, berichteten uns einhellig, dass sie als Erstes versucht haben, mit dem Seller Support Kontakt aufzunehmen - und dass sie enttäuscht feststellen mussten, dass man ­ihnen dort nicht weiterhelfen kann.
McCabe: Das liegt daran, dass Händler im Seller Support nur jemanden vorfinden, mit dem sie reden können - aber nicht ­jemanden, der ihr Problem lösen könnte. Sie verschwenden nur Zeit damit, ­nutzlose E-Mails hin- und herzuschicken, ohne ­irgendetwas zu erreichen. Von meinen deutschen Kunden höre ich, dass sie ­immerzu versuchen, den Seller Support telefonisch zu erreichen. Dabei müssen sie schlichtweg einsehen, dass Amazon nicht im Geringsten daran interessiert ist, mit ihnen zu reden. Sie wollen einfach einen soliden Maßnahmenplan sehen - und sonst nichts. Mit dem Seller Support zu sprechen, bringt überhaupt nichts.

Perfekte Maßnahmenpläne trotz lausiger Informationspolitik

Wie sieht denn dann der perfekte Maßnahmenplan aus?
McCabe: Als Erstes muss der betroffene Verkäufer einsehen, dass es hier nicht um eine Diskussion oder einen Austausch geht. Er muss akzeptieren, dass es ein Problem gibt und klar darlegen, dass er konkrete Mittel und Wege kennt, um dieses Problem zu lösen. Es muss klar ersichtlich sein, dass der Händler das Problem genau verstanden hat, warum er bisher nichts ­dagegen unternehmen hat - und was er jetzt ganz genau tun will, um das Problem in Zukunft zu vermeiden. Ein allgemein gehaltenes "Entschuldigung, wir machen’s nie wieder" reicht hier nicht aus.

Na gut, aber viele Verkäufer wissen doch oft eben nicht genau, was das Problem ist, weil Amazon es ihnen nicht sagt. Es wird ­einfach nur der Account gesperrt, oft ohne Erklärung.
McCabe: Ich stimme zu, dass Amazons ­Informationspolitik in der Tat lausig ist. Es wird nie spezifisch erklärt, warum der ­Account gesperrt wurde - weil Amazon nicht will, dass die Verkäufer diese Erklärung einfach eins zu eins in ihren Maßnahmenplan kopieren, aber am Ende nichts an ihrem Verhalten ändern. Stattdessen will Amazon erreichen, dass die Verkäufer ihren Account ganz genau in Augenschein nehmen und das Problem selbst finden. Und ich kann Ihnen sagen: Wenn ich zum ersten Mal in den Account eines meiner durchschnittlichen Kunden schaue, sehe ich dort überall Probleme - in den Kundennachrichten, den Bewertungen, der Verkäuferleistung … überall. In den meisten Fällen hat Amazon mit seinen Beschwerden recht. Deshalb rate ich Händlern: erst mal ganz genau ins Kundenfeedback oder in die Retourengründe gucken - und nicht gleich automatisch die anderen Händler oder die Kunden oder Amazon selbst verantwortlich machen.

Wenn ein Verkäufer sein Problem tatsächlich identifiziert hat und einen Maßnahmenplan präsentieren will - in welcher Form sollte er das tun?
McCabe: Als Erstes sollte er ­immer an eines denken: Das ist keine Therapie, das ist Business. Der Plan sollte kurz, klar, konkret und voll auf den Punkt sein. Er sollte außerdem einfach und klar mit Aufzählungszeichen und Nummern strukturiert sein. Den Verkäufern muss klar sein, dass sie nur begrenzte Zeit und begrenzten Platz haben, um Amazon zu überzeugen. Im Durchschnitt braucht Amazon etwa drei Tage, um einen Maßnahmenplan zu prüfen - drei Tage mit geschlossenem Account sind eine lange Zeit für das Geschäft des Verkäufers. Und wenn der erste Plan abgelehnt wird, weil er nicht überzeugend genug war und die Schlüsselfaktoren fehlen, die Amazon in so einem Plan lesen will - und weil Amazon generell diese Pläne nicht sonderlich aufmerksam liest -, dauert es noch mal drei Tage, bis die zweite Version geprüft ist! Ein weiteres Problem ist die Frequenz: Wenn ein Händler bereits zu oft mit Amazon in Kontakt getreten ist - beispiels­weise, indem er im fruchtlosen Austausch mit dem Seller Support Dutzende von ­Tickets eröffnet hat -, kann es sein, dass Amazon ihm gar nicht mehr zuhört. Deshalb sollten sich Verkäufer wirklich bemühen, bereits ihren ersten Kontakt mit Amazon richtig hinzubekommen.

Sie haben Kunden in den USA ebenso wie in Europa. Wie unterscheiden sich die Probleme der Verkäufer auf den verschiedenen Kontinenten?
McCabe: Generell führen hüben wie drüben in etwa die gleichen Probleme zur Sperrung eines Händler-Accounts. Allerdings unterscheiden sich die Händler in den USA und Europa in ihren Problemlösungsstrategien. Europäische Verkäufer haben oft mit den strengen Regeln und ­Policies auf Amazon zu kämpfen. Sie sagen dann gerne: "Das ist nicht legal, Amazon darf das nicht machen!" Nur stimmt das eben oft nicht. Manchmal ist der Verkauf von völlig legalen Produkten auf Amazon verboten - aus ganz eigenen Gründen, beispielsweise weil ein Hersteller eine entsprechende Vereinbarung mit Amazon hat. Als Hausherr darf Amazon die Regeln auf seinem Marktplatz frei festlegen - und das wird es weiterhin tun, bis ein Gericht einschreitet. "Das ist legal" ist also nicht unbedingt dasselbe wie "Amazon erlaubt es", zumindest im Augenblick.

Was ist typisch für deutsche Marketplace-Händler?
McCabe: Deutsche Händler tendieren dazu, zu sehr an den Kosten für den Schutz und die Sicherheit ihres Accounts zu sparen. Die meisten von ihnen haben beispielsweise keinen Anwalt, der sie in markenrechtlichen oder patentrechtlichen Fragen unterstützen könnte. Zudem haben viele ihren Account nicht gut genug im Blick. Wenn ein Produkt sich beispielsweise gut verkauft und guten Umsatz bringt, dann werden sie es selbst dann im Sortiment ­behalten, wenn es sich schlecht auf die ­Account-Statistiken auswirkt - beispielsweise durch überdurchschnittlich hohe ­Retourenquoten oder viele schlechte Bewertungen. Hier müssen Verkäufer einfach wacher sein und das Recht auf ihren Verkaufs-Account nicht für selbstverständlich nehmen.

Und das ist in anderen Ländern anders?
McCabe: Na ja, die britische Versicherungsgesellschaft Lloyd’s bietet beispielsweise in den USA Versicherungen für Händler im Fall einer Account-Sperrung an. Bisher gibt es in Deutschland nichts Vergleich­bares. Ich habe über das Thema bereits mit deutschen Versicherungsgesellschaften gesprochen, aber diese sind anscheinend der Meinung, dass es für eine solche Versicherung in Deutschland aktuell keinen Markt gibt - weil deutsche Händler eben nicht gern in Sicherheit investieren, bevor etwas passiert ist.

Was tun, wenn Amazon unbequem wird? - Hands-on-Panel auf dem Internet World Kongress

Chris McCabe hat viele Jahre als Merchant Investigator im Amazon-Hauptquartier in Seattle gearbeitet. Dort sammelte er tiefe Einblicke in die internen Abläufe des größten Marktplatzes der Welt - und in dessen Umgang mit den Marketplace-Händlern. Mittlerweile ist McCabe als unabhängiger Berater für Marketplace-Händler aktiv und unterstützt bei Account-Schließungen und anderen Problemen. Er berät Kunden in den USA, Großbritannien, Spanien und Deutschland. Auf dem Internet World Kongress am 12./13. Oktober in München berichtet er über seine Einblicke in die internen Abläufe der Amazon-Abteilung Seller Performance berichten.

Unterstützt wird er auf der Bühne von Peer Fischer von der Rechtsanwaltskanzlei BBP Rechtsanwälte und Fachanwälte, der für die Redaktion von INTERNET WORLD Business konkrete Fälle von gesperrten Marketplace-Seller-Accounts untersucht hat und über die rechtlichen Möglichkeiten der Händler aufklärt. 

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