
Den Kinderschuhen entwachsen: Seit 18 Jahren beschäftigt sich Wirecard mit Bezahllösungen. Die Entwicklung des Payment Service Providers zum Technologie-Konzern spiegelt die Reifung des E-Commerce-Markts wider.
Wir schreiben das Jahr 1999. In Umfragen geben mutige Internet-Surfer an, Bücher, CDs, Konzert- oder Flugtickets im Internet zu kaufen. Die meisten Nutzer schrecken jedoch vor Online-Shopping zurück, vor allem das Bezahlen der bestellten Ware macht ihnen Angst. Kein Wunder, sind doch die Überweisung vor der Lieferung der Ware oder die Kreditkarte in der Regel die einzigen angebotenen Payment-Verfahren. Payment Service Provider, also Dienstleister, die Shop-Betreiber bei der Zahlungsabwicklung unterstützen, gibt es noch nicht viele. Einer der Pioniere ist die Infogenie AG, 1999 in München gegründet und seit 2005 unter dem Namen Wirecard AG im Markt vertreten.
Angetreten ist das Unternehmen damals als Payment Service Provider, der Lösungen zur Erleichterung der Einbindung und zur Abwicklung verschiedener Bezahlverfahren in Online-Shops anbietet. Im Fokus stand in den ersten Jahren die Reisebranche, waren doch die Fluggesellschaften seit jeher Treiber in Sachen Online-Buchung und E-Tickets.
Mit PayPal verändert sich die Payment-Landschaft
In den Folgejahren kommt der E-Commerce langsam in Fahrt: Immer mehr Webshops entstehen, die Surfer gewinnen langsam an Vertrauen. 2004 betritt PayPal den deutschen Markt, ein Jahr später erfolgt die Gründung von Sofortüberweisung. Bezahlen wird komfortabler und in der Wahrnehmung vieler Shopper auch sicherer. Damit steigt die Nachfrage der Händler nach Payment-Dienstleistungen.
Heute ist die Geschäftssparte "Consumer Goods", in der Wirecard seine Angebote für Webshop-Betreiber und stationäre Händler bündelt, das wichtigste Standbein des Unternehmens. Nahezu die Hälfte des Konzernumsatzes erzielt die seit 2005 börsennotierte AG in diesem Bereich. Ein Viertel entfällt auf Anbieter digitaler Güter und Services, ein knappes Fünftel trägt die Reisebranche noch zum Umsatz bei. Der Rest verteilt sich auf Randbereiche.
Der stationäre Handel rückt in den Fokus
Die größte Kundengruppe sind ganz klar noch immer die Online-Händler. Doch seit drei, vier Jahren hat Wirecard zunehmend auch den stationären Handel im Fokus - eine Reaktion auf die wachsende Bedeutung des Omnichannel-Handels und die sich daraus neu ergebenden Geschäftsfelder für den Dienstleister. "Wir fragen uns immer wieder: Was will der Kunde als Nächstes? Und wie können wir ihm helfen, mehr Umsatz zu generieren?", erklärt Markus Eichinger, Executive Vice President Global Product Strategy bei der Wirecard AG.
Für den stationären Handel sieht Eichinger die "Elektronifizierung des Point of Sale" als die große Herausforderung der kommenden Jahre. Dabei geht es nicht nur um eine Internet-Anbindung der Kassensysteme, sondern um die Schaffung offener Schnittstellen, die völlig neue Optionen zum Bezahlen und für begleitende Mehrwertservices bieten. Das Smartphone ist der entsprechende Kundenkanal dafür.
Verknüpfung mit Offline-Kundendaten ist das Thema der Zukunft
Ein Beispiel: der "Connected POS", eine Erweiterung für bestehende Kassensysteme. Das Gerät wird an zentraler Stelle an das Kassensystem eines Einzelhändlers angeschlossen und ermöglicht beispielsweise die Annahme mobiler Zahlungen oder die Ausgabe von QR-Code-basierten Coupons, die auf dem Kassenzettel aufgedruckt sind. Über diese Lösung hat Wirecard auch Einzelhändler wie etwa Rossmann an die chinesische Mobile-Payment-Lösung Alipay angebunden. Touristen aus China können damit in der Drogeriemarktkette bezahlen.
Das zeigt, wohin die Reise geht: Da Alipay über eine große Menge von Kundendaten verfügt, können die Käufer sehr gezielt angesprochen werden. So weist die Alipay-App ihnen auch in Deutschland den Weg zum Lieblingsprodukt, gewährt Kaufanreize oder übersetzt bei Bedarf auch die Speisekarte. Mit seiner Mobile Wallet "Boon" will Wirecard Händlern Ähnliches ermöglichen.
"Einkaufsprozesse werden neu definiert"
Die Verknüpfung von Kundendaten und deren Analyse ist für Wirecard das Thema der Zukunft: "Die Einkaufsprozesse werden neu definiert und kontrolliert", ist sich Eichinger sicher. Daher hat Wirecard ergänzend seine "ePos Suite" auf den Markt gebracht, ein Analysetool für Payment-Daten aus der Online-und Offline-Welt. Die Einbindung von künstlicher Intelligenz, wie sie heute - auch von Wirecard - schon vielfach im Risikomanagement genutzt wird, steht dabei ganz oben auf der Agenda. "Payment-Daten sagen viel über den Verbraucher aus. Wir können unseren Kunden damit konkrete Empfehlungen zur Optimierung ihrer Geschäftsprozesse liefern", so Eichinger.
Hinter solchen Angeboten steht jahrelange Entwicklung. Wirecard versteht sich schon lange nicht mehr als reiner Payment Service Provider, sondern vielmehr als global agierender Technologie-Konzern. Mehr als die Hälfte der rund 4.000 Mitarbeiter arbeitet im Bereich Research & Development. "Unsere DNA ist die technologische Entwicklung, nicht das Bankwesen. Wir experimentieren viel, sei es in Richtung Internet of Things oder auch Wearables", betont Eichinger. Dabei ist im Anfangsstadium meist offen, was aus einem interaktiven Verkaufsregal mit Self-Checkout oder einem smarten Armband mit Ticket- und Bezahlfunktion tatsächlich wird.
Bezahlen rückt immer mehr in den Hintergrund
Klar ist für Eichinger, dass Bezahlen in der Zukunft für den Käufer immer mehr in den Hintergrund rücken wird. Gleichzeitig wird die Technologie dahinter immer mehr programmier- und schnittstellenbezogen sein, sodass es egal sein wird, ob die Abwicklung über einen Chatbot, einen smarten Lautsprecher oder den Bordcomputer im Auto läuft. Hauptsache, sie läuft.
Wie spannend das Bezahlen mit Chatbots sein könnte, zeigt ein Zukunftsszenario: Drei Freunde verabreden sich über einen Messenger zu einem gemeinsamen Konzertbesuch, suchen mithilfe eines Chatbots eine Band aus, die allen gefällt, checken über einen weiteren Chatbot die Location, Auftrittstermine und verfügbare Karten, bestellen und bezahlen die Tickets dann auch gleich über einen Chatbot im Messenger.