
Finanzamt Berlin-Neukölln Mehr registrierte Online-Händler aus China, weniger Umsatzsteuer-Aufkommen
Beim Finanzamt Berlin-Neukölln sind mehr als 110.000 Online-Händler mit Sitz in China, Hongkong, Taiwan und Macao umsatzsteuerlich registriert. Die Zahl der registrierten Händler hat stark zugenommen hat, doch das Umsatzsteuer-Aufkommen sinkt seit dem 2. Halbjahr 2021.
Ende November 2022 waren beim Finanzamt Berlin-Neukölln 110.649 Online-Händler mit Sitz in der Volksrepublik China, Hongkong, Taiwan und Macao umsatzsteuerlich registriert. Das Finanzamt Neukölln ist deutschlandweit für die Umsatzbesteuerung von Unternehmen zuständig, die ihren Sitz in diesen Ländern haben. Der größte Teil der beim Finanzamt Berlin-Neukölln registrierten Online-Händler stammt aus China (108.612). 1.872 Online-Händler, die bei dem Berliner Finanzamt registriert sind, haben ihren Sitz in Hongkong, 164 in Taiwan und nur ein Unternehmen in Macao. Auffällig ist, dass die Zahl der umsatzsteuerlich registrierten Online-Händler während der vergangenen fünf Jahre stark angestiegen ist. Zum Vergleich: 2017 lag die Zahl bei 432.
Erst seit 2019 wird die Umsatzsteuer-Registrierung regelmäßig statistisch erfasst. Denn seit dem 1. Januar 2019 gelten im Umsatzsteuergesetz neue Vorschriften für den Online-Handel. Seitdem werden Marktplatzbetreiber wie Amazon stärker in die Pflicht genommen, um konsequent gegen Umsatzsteuerbetrug vorzugehen. Betreiber von elektronischen Marktplätzen müssen sich von den dort agierenden Händlern eine Bescheinigung vorlegen lassen, dass diese steuerlich registriert sind. Zudem müssen Marktplatzbetreiber bestimmte Daten zum Händler und dessen Umsätzen aufzeichnen und den Finanzbehörden auf Nachfrage zur Verfügung stellen.
Im Dezember 2018 betonte der damalige Berliner Finanzsenator Mattias Kollatz, dass die Digitalökonomie kein rechtsfreier Raum mehr sei. Was in der Realwirtschaft selbstverständlich sei, gelte auch verbindlich für den Online-Handel: Steuern zu zahlen. "Das Finanzamt Neukölln und das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen haben bei der Aufklärung von Umsatzsteuerbetrug eine herausragende Bedeutung. Dessen starkes Engagement bei Auskunftsersuchen - begleitet von der Androhung, im Zweifelsfall auch Konten zu sperren oder Lager zu beschlagnahmen - hat zu einem Umdenken bei den Plattformbetreibern und auch bei den Händlern geführt und die Kooperationsbereitschaft deutlich erhöht", sagte Kollatz.
Zahl der Registrierungen steigt seit 2019 stark an
Als Folge der neuen Vorschriften verzeichnete das Finanzamt Neukölln seit 2019 einen kontinuierlichen Zuwachs an Registrierungen. Internetworld.de hat bei der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin nachgefragt, wie sich die Zahlen entwickelt haben. Das ist die Entwicklung von Anfang 2019 bis zum 30. November 2022:
Stichtag // Registrierte Online-Händler
01.01.2019: 7.777
01.01.2020: 29.018
01.01.2021: 49.273
01.01.2022: 96.809
30.11.2022: 110.649

Die Zahl der umsatzsteuerlich registrierten Online-Händler aus China, Hongkong, Taiwan und Macao wächst seit 2019 rasant.
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Im Jahr 2020 war die Zunahme der Registrierungen mit einem Zuwachs um 273 Prozent im Vergleich zum Vorjahr am größten. Auch in den Folgejahren haben sich viele chinesische Unternehmen beim Finanzamt Neukölln registriert.
Rund 238 Millionen Euro Umsatzsteuer im Jahr 2021
Nun würde man meinen, dass parallel mit der steigenden Zahl der registrierten Online-Händler aus China auch das Umsatzsteuer-Aufkommen dieser Unternehmen größer wird. Die Zahlen des Finanzamts Neukölln zeigen, dass das nur bedingt stimmt.
Das Umsatzsteuer-Aufkommen dieser Online-Händler ist zwar ebenfalls gewachsen, von rund 34 Millionen Euro im Jahr 2017 auf rund 238 Millionen Euro im Jahr 2021. Doch während die Zahl der Registrierungen zunimmt, sinkt das Umsatzsteuer-Aufkommen seit 2021.

Seit 2021 sinkt das Umsatzsteuer-Aufkommen chinesischer Online-Händler.
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Das Umsatzsteuer-Aufkommen dieser beim Finanzamt Neukölln registrierten Unternehmer ist seit dem zweiten Halbjahr 2021 erheblich zurückgegangen. Es entwickelt sich nicht mehr entsprechend zur Anzahl der registrierten Unternehmen. Das ist erstaunlich, weil die Jahre 2020 und 2021 von den Lockdowns der Corona-Pandemie geprägt waren und Online-Shopping geboomt hat.
Änderungen im Umsatzsteuergesetz lassen Einnahmen sinken
Für den Rückgang des Umsatzsteuer-Aufkommens nennt die Senatsverwaltung für Finanzen Berlin folgende Gründe: Zum 1. Juli 2021 gab es Änderungen im Umsatzsteuergesetz. "Aufgrund neuer Regelungen in der Vorschrift über den Ort der Lieferung (§ 3 UStG) sind Online-Händler in vielen Fällen nicht mehr Schuldner der auf ihre Umsätze entfallenden Umsatzsteuer, denn durch die neu eingeführte sogenannte Lieferkettenfiktion schuldet in vielen Fällen der Schnittstellenbetreiber die Umsatzsteuer. Da die weit überwiegende Mehrheit der in VR China, Hongkong, Taiwan und Macau ansässigen Online-Händler über Schnittstellen handeln, ist diese Unternehmergruppe im besonderen Maße von den vorstehend genannten Rechtsänderungen betroffen", teilt ein Pressesprecher der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin mit.
Schnittstellenbetreiber sind Unternehmen, die digitale Marktplätze betreiben. Lieferkettenfiktion bedeutet, dass der Anbieter des digitalen Marktplatzes so behandelt wird, als wäre er der Verkäufer. Dies hat zur Folge, dass der Marktplatzbetreiber die Umsatzsteuer für Waren von Verkäufern auf dem Marktplatz einbehalten, den Umsatz in seiner Umsatzsteuer-Anmeldung erklären und die auf den Umsatz entfallende Umsatzsteuer an das für ihn zuständige Finanzamt abführen muss. Dieses Finanzamt muss nicht in Berlin sein, sondern kann auch in einem anderen EU-Mitgliedsstaat sein.
Ein weiterer Grund ist, dass Online-Händler für einen weiteren Teil ihrer Lieferungen die Umsatzsteuer an eine Zentralstelle anmelden und entrichten können. Das sehen Erweiterung und Ergänzung der besonderen Besteuerungsverfahren vor (§§ 18i – 18k UStG). Diese Zentralstelle kann sich in einem anderen EU-Mitgliedstaat befinden. Zwar erfolgt ein Ausgleich des Umsatzsteuer-Aufkommens zwischen den beteiligten EU-Mitgliedstaaten, jedoch mit zeitlicher Verzögerung. Erst nach diesem Ausgleich kann das Umsatzsteuer-Aufkommen, das auf die Umsätze der genannten Online-Händler in Deutschland entfällt, an das Finanzamt Neukölln weitergeleitet werden.
Im Jahr 2022 beträgt das Umsatzsteuer-Aufkommen chinesischer Online-Händler aktuell bis einschließlich Oktober 14,4 Millionen Euro. Die zeitliche Verzögerung sei ein Grund, warum der Betrag noch so niedrig ist, teilt die Senatsverwaltung Finanzen in Berlin auf Nachfrage mit. "Durch die noch nicht erfolgte Zuteilung der Umsatzsteuer, die auf bestimmte Umsätze der in Berlin steuerlich geführten Unternehmer entfällt, wurden noch nicht alle Umsatzsteuerbeträge von in der VR China, in Hongkong, Taiwan und Macau ansässigen Online-Händlern in der Finanzkasse Berlins verbucht. Gleichwohl haben die betreffenden Unternehmer für diese Umsätze bereits die Umsatzsteuer an eine zentrale Finanzkasse entrichtet."
Der Hauptgrund für das gesunkene Steueraufkommen des Landes Berlin aus Umsatzsteuern von in China, in Hongkong, Taiwan und Macao ansässigen Online-Händlern ist jedoch die Lieferkettenfiktion, erklärt die Senatsverwaltung für Finanzen Berlin. Aufgrund dieser Lieferkettenfiktion führt nicht der Verkäufer, sondern der Marktplatz die Umsatzsteuer an das für ihn zuständige Finanzamt ab.
Finanzamt Berlin International entsteht
Die Senatsverwaltung für Finanzen Berlin hatte 2021 entschieden, ein neues Finanzamt zu errichten. Das neue Finanzamt Berlin International übernimmt dann die Zuständigkeit für Online-Händler aus China, Taiwan, Hongkong und Macao vom Finanzamt Neukölln. Nach aktuellem Planungsstand ist die Errichtung des Finanzamts Berlin International im vierten Quartal 2023 vorgesehen. Dessen Standort liegt ebenfalls in der Thiemannstraße 1 in unmittelbarer Nähe zum Finanzamt Neukölln.
Der Berliner Finanzsenator Daniel Wesener kommentiert: "Die Umsatzbesteuerung des Online-Handels ist eine Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass es auch in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung gelingen kann, mehr Steuergerechtigkeit vor Ort umzusetzen. Dass dies für uns oberste Priorität hat, beweist die Planung zum Finanzamt Berlin International, das künftig die bisher vom Finanzamt Neukölln für ganz Berlin wahrgenommenen Aufgaben übernehmen soll. Damit die Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden kann, ist neben den verschiedenen organisatorischen Maßnahmen auch zusätzliches Personal nötig. Die Finanzverwaltung und ich unterstützen das Vorhaben nach Kräften."
Die Entwicklung des Umsatzsteuer-Aufkommens von Online-Händlern aus China, Hongkong und Taiwan zeigt aber auch, dass dem Staat vor der Gesetzesänderung 2019 viele Millionen Euro an Umsatzsteuer aus dem internationalen Online-Handel flöten gegangen sind.