
Gastkommentar Stefan Wenzel: "Die Marke selbst bildet die Grundlage des Geschäfts"
D2C-Vorreiter Nike hat einige still gelegte Handelsbeziehungen zu Retailern reaktiviert. Doch das ist keineswegs die von D2C-Gegner erhoffte Abkehr vom Direktgeschäft, meint E-Commerce-Berater Stefan Wenzel. Nike nutze lediglich schwierige Zeiten zum eigenen Vorteil.
Im Oktober werden Nike-Sneaker wieder in den Geschäften und Online-Stores von Designer Shoe Warehouse, Macy's und Foot Locker zu finden sein, aus denen sie aufgrund des D2C-Fokus des Markenherstellers jahrelang verschwunden waren. Handelsvertreter wie Oliver Prothmann vom BVOH begrüßten den Schritt. Doch das Jubeln der D2C-Verächter kommt zu früh, antwortet E-Commerce-Berater Stefan Wenzel in seinem Kommentar:
"Bereits im Jahr 2017 äußerte Nike das Ziel, seine Vertriebsstruktur zu bereinigen und es hieß im Markt, dass Markenkompetenz ein entscheidendes Auswahlkriterium werden würde. Dieses Ziel wurde von einigen als das Ende des Großhandels bei Nike interpretiert. Fünf Jahre später sind tatsächlich wohl nur noch etwa 50 Prozent der ursprünglichen Handelspartner übrig, wobei der Hauptteil der Portfolio-Bereinigung anscheinend 2021 stattgefunden hat. Jetzt, Mitte 2023, hat Nike angekündigt, ein paar der beendeten Partnerschaften wieder zu aktivieren. Einige interpretieren das jetzt als eine Abkehr vom Direktgeschäft bei Nike.
Beides halte ich für falsch. Hier ist warum:
Nicht nur Umsatz, sondern Marken-Experience
Nike hat nie gesagt, dass es das Geschäft über Dritte vollständig einstellen möchte, sondern sich auf diejenigen konzentrieren, die neben Umsatz auch die Nike Marken-Experience schaffen können. Neben höheren Margen und Kundenzugang geht es im Direktgeschäft einer Marke nun einmal um den Aufbau und den Erhalt ihrer Strahlkraft. Denn diese Strahlkraft ist es, was die Zahlungsbereitschaft der Kunden vom reinen Warenwert entkoppelt. So ist das bei Marken. Die Marke selbst bildet die Grundlage des Geschäfts und wird entsprechend geschützt.
Wer dies versteht, wundert sich nicht darüber, dass Marken zu ihnen passende Distributionspartner auswählen möchten. Luxusmarken verkaufen aus diesem Grund teilweise überhaupt nicht über Dritte. Und genau deshalb sortiert auch Nike die aus ihrer Sicht unpassenden Partner aus und investiert parallel konsequent in die eigenen Markentempel, sowohl online als auch offline. Denn zur Realität gehört, dass nicht alle Händler oder Plattformen Marken angemessen repräsentieren. Für Nike bedeuten Investitionen in eigene (margenstärkere) Touchpoints daher auch immer Investitionen in ihre geschäftskritische Markenwirkung. Die Entwicklung spricht für sich: Nikes Anteil am D2C lag im letzten Jahr bei über 40 Prozent (ca. 18 Milliarden US-Dollar), was einem Anstieg von mehr als 10 Prozentpunkten im Vergleich zu 2019 entspricht.
Jedoch ist das bei Nike kein Dogma, man nimmt auch gerne Volumen über Dritte mit. Dies zeigt sich nicht zuletzt an Kooperationen wie mit Deichmann hierzulande, bei denen sogar eigens Modelle entwickelt werden, die in Qualität und Preis deutlich unterhalb der üblichen Nike-Untergrenze liegen. Aber auch die jüngst erfolgte Reaktivierung von Macy's und anderen Vertriebspartnern bedeutet aus meiner Sicht keine Abkehr von Nikes grundsätzlichem Ansatz.
Das Risiko muss für die Marke steuerbar bleiben
Der grundlegende Ansatz besteht darin, eine fließende Balance zwischen Marke und Volumen zu finden, wobei aktuell wahrscheinlich auch der geräuscharme Abbau von Überhängen eine Rolle spielen dürfte. Und wer weiß, vielleicht sind wir zudem auch Zeuge einer brillanten Taktik, denn dies alles könnte Nike ein finanziell deutlich entspannteres Geschäftsjahr 2024 bescheren: Nachdem sie erst die Vergleichszahlen für 2023 bereinigt haben, werden sie automatisch ein Umsatzwachstum aus den erneuerten Handelspartnerschaften erzielen.
Man sollte nicht zu viel in taktische Anpassungen des Vertriebsmixes hineininterpretieren. Nike zeigt vielmehr, wie man selbst schwierigste Situationen zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann und gleichzeitig das größte Asset, die Marke, strategisch pflegt.
Und während selektiver Vertrieb nicht in Willkür ausarten darf, muss das Risiko für die Marke steuerbar bleiben. Negative Auswirkungen eines unpassenden Marken-Umfelds können die hohen Investitionen in den Aufbau der Marke schneller zunichtemachen, als die nächste Rabattaktion im Handel beginnt. Davor müssen sich Marken schützen können, Händler oder Plattformen haften ja schließlich umgekehrt auch nicht für Markenschäden. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an die Calvin Klein Unterhosen auf den Grabbeltischen im Supermarkt und wie lange die Marke gebraucht hat, um sich davon halbwegs zu erholen.
Alternativ könnten es betroffene Händler oder Plattformen aber auch einfach als Chance und Opportunität sehen, die Anforderungen an passende Marken-Umfelder zu verstehen und in ihre Konzepte aufzunehmen. Von einer verbesserten Zahlungsbereitschaft der Kunden profitieren schließlich alle Beteiligten."