
Minus 29 Prozent Ströer: Größter Kurssturz seit Börsengang
Große Überraschung auf dem Börsenmarkt: Innerhalb von wenigen Minuten ist der Aktienkurs von Ströer um 29 Prozent eingebrochen. Grund dafür ist eine 60-seitige Studie der Investmentgesellschaft Muddy Waters.
So schnell kann es gehen: Ströer - größter Digitalvermarkter Deutschlands und Außenwerbe-Pionier - ist seit 2010 an der Börse. Nun ist der Aktienkurs innerhalb von wenigen Minuten um fast ein Drittel (29 Prozent) eingebrochen. Das ist der größte Kurssturz seit dem Börsengang.
Grund dafür ist der US-Investor Carson Block. Block, der vor allem mit Angriffen auf chinesische Unternehmen zu zweifelhaftem Ruf gelangt war, äußerte in einer 60-seitigen Studie seiner Investmentgesellschaft Muddy Waters massive Zweifel an der Bilanzierung und der Unternehmensführung von Ströer. Die Reaktion darauf war gewaltig: Bis zum Nachmittag wechselten mehr als fünf Mal so viele Ströer-Papiere den Besitzer wie an einem Durchschnittstag.
Wie Muddy Waters schreibt, sei das Wachstum des Online-Geschäfts in den vergangenen zwei Jahren übertrieben dargestellt worden. Muddy Waters hält nach eigenen Angaben eine Leerverkaufs-Position an Ströer, damit wettet die US-Firma gegen einen Kursanstieg des Vermarkters und profitiert von dessen Verfall. "Aus unserer Sicht ist Ströer nicht das Unternehmen, für das es der Markt anscheinend hält", zitiert n-tv.de die Studie.
"Weit hergeholt, mindestens tendenziös und vollkommen haltlos"
Ströer äußerte sich bereits dazu und weist alle Vorwürfe von sich. "Der Bericht ist weit hergeholt, mindestens tendenziös und im Ergebnis vollkommen haltlos. Ströer stellt zudem fest, dass das Unternehmen niemals von Muddy Waters Capital kontaktiert worden ist."
Der Vermarkter will nun den Bericht im Hinblick auf falsche Angaben überprüfen und zeitnah inhaltlich Stellung beziehen. "Wir werden sicherstellen, dass die Rechte unserer Aktionäre geschützt sind." Die Geschäftsaussichten seien "ausgezeichnet", an den Prognosen habe sich seit der letzten Veröffentlichung nichts geändert.
Die rasche Stellungnahme half jedoch noch nicht viel: Das Unternehmen büßte 780 Millionen Euro Börsenwert ein, wird aber immer noch mit knapp 2,2 Milliarden Euro bewertet. Fast 55 Prozent der Ströer-Aktien liegen aktuell bei Firmengründer Dirk Ströer, Vorstandschef Udo Müller und der Deutschen Telekom.
Der US-Hedgefonds Muddy Waters hatte bereits im Dezember 2015 angekündigt, europäische Konzerne gezielt durch Leerverkäufe zu attackieren.
Update: Detaillierte Stellungnahme und Richtigstellung von Ströer
Inzwischen hat Ströer eine detailliere Stellungnahme inklusive Richtigstellung veröffentlicht. Diese wird im Folgenden im Wortlaut zitiert:
"Der gestern veröffentlichte Bericht von Muddy Waters Capital besteht in erster Linie aus der Verarbeitung von Ströer bereits veröffentlichten und bekannten Fakten, die in bewusst irreführenderweise dargestellt und mit falschen Behauptungen und Unterstellungen vermengt und damit verfälscht werden, um die Aktionäre von Ströer aus eigenem wirtschaftlichen Interesse (Short-Position von Muddy Waters Capital) gezielt zu schädigen."
"Alle hieraus von Muddy Waters Capital abgeleiteten Schlussfolgerungen sind im Kern falsch. (…) Muddy Waters Capital hält nach eigenen Aussagen eine signifikante Short-Position in Ströer und betreut mindestens einen privaten Fond, der ebenfalls eine Short-Position in Ströer hält. Deshalb hat Muddy Waters Capital ein fundamentales Eigeninteresse daran, mit falschen Behauptungen und falschen Schlussfolgerungen die Reputation von Ströer zu schädigen, dadurch den Aktienkurs von Ströer zu manipulieren und bei deutlich sinkenden Kursen signifikante Spekulations-Gewinne zu Lasten unserer Aktionäre zu erzielen."
"Damit hat Muddy Waters Capital ethische und rechtliche Grenzen überschritten. Wir hoffen, dass dieser Fall ein Ausgangspunkt dafür wird, dass derlei Geschäftspraktiken des Unfair Trading in Zukunft erschwert werden. Wir werden deswegen verschiedene rechtliche Maßnahmen ergreifen und stehen mit den zuständigen Behörden, insbesondere mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) bereits im Austausch."
„Die aktuelle Geschäftsentwicklung im laufenden Jahr sowie der Ausblick stehen im krassen Widerspruch zu den von Muddy Waters Capital getätigten Unterstellungen. Im ersten Quartal 2016 wird Ströer seine eigene Guidance von zehn Prozent organischem Wachstum mit 11,5 Prozent klar übertreffen.“
Richtigstellung (Auszug)
- Muddy Waters Capital behauptet: "Organic Growth in Digital and Overall Appear to be Greatly Overstated"
Diese Behauptung von Muddy Waters Capital ist falsch! Die von uns für das Jahr 2014 berichtete organische Wachstumsrate beträgt 11,4Prozent. Die von Muddy Waters Capital auf Seite 7 des "Reports" gezeigte Berechnung hierzu enthält zwei gravierende, materielle Fehler: Die Wechselkurseffekte, die im Jahr 2014 einen Effekt von 12 Millionen Euro ausgemacht haben, sind nicht berücksichtigt worden. Und: Die Quotenkonsolidierung unserer Joint Venture Unternehmen ist nicht - wie in unserem Geschäftsbericht dargestellt - berücksichtigt worden.
- Muddy Waters Capital behauptet: "Switching to Gross Revenue Recognition Obscures Real Revenue"
Die Behauptung von Muddy Waters Capital ist falsch! Wir haben unsere Grundsätze zur Umsatzrealisierung in den letzten Jahren nicht geändert. Für den Großteil unseres Online-Geschäfts arbeiten wir als Geschäftsherrn ("principal") und bilanzieren entsprechend die Umsätze als Nettogrößen. Agentur-Rabatte und andere Erlösschmälerungen werden vom Brutto-Umsatz abgezogen, um zum Netto-Umsatz zu gelangen.
- Muddy Waters Capital behauptet: "Müller and Dirk Ströer Buy a Business and Flip it to Ströer"
Die gesamten in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptungen von Muddy Waters Capital zu Insiderhandel entbehren jeder Grundlage, sind ehrabschneidend und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen von Muddy Waters Capital sind falsch!
- Muddy Waters Capital behauptet: "Unreported and Opaque Insider Sales"
Diese Behauptung von Muddy Waters Capital ist falsch! Die Ströer SE & Co KGaA hat die ihr von den Hauptaktionären Dirk Ströer und Udo Müller überlassenen Stimmrechtsmitteilungen jedoch von einer international renommierten Anwaltskanzlei rechtlich prüfen lassen und anschließend veröffentlicht. Bei den Verkäufen in 2015 hat die Ströer SE & Co KGaA sich vergewissert, dass die verkaufenden Hauptaktionäre rechtlich durch eine andere internationale Anwaltskanzlei beraten waren.
Gleichzeitig haben Dirk Ströer und Udo Müller versichert, dass alle ausgeführten Transaktionen in Umsetzung der anwaltlichen Empfehlungen und im Einklang mit einschlägigen Publizitätspflichten ausgeführt wurden.
Darüber hinaus erklärt Dirk Ströer, dass er zu keinem Zeitpunkt die Sambara Stiftung kontrolliert hat.
- Muddy Waters Capital behauptet folgendes: "Governance Seems to be Extremely Investor Unfriendly"
Diese Behauptung von Muddy Waters Capital ist falsch! Ähnlich wie die in den USA häufig verwendeten Mehrfachstimmrechte gibt die deutsche KGaA Gründern die Möglichkeit, auch mit weniger als 50% der Stimmrechte den unternehmerischen Einfluss auf das Unternehmen zu behalten. Die Umwandlung in eine KGaA ist im Kontext der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage der Deutschen Telekom AG zu sehen und wurde auf der außerordentlichen Hauptversammlung 2015 mit einer überwältigenden Mehrheit von 84% aller Stimmen und der Unterstützung unserer wichtigsten Investoren angenommen und vom Kapitalmarkt positiv bewertet.
- Muddy Waters Capital behauptet weiterhin: "Constantly Shifting Supervisory Board Membership"
Diese Aussage von Muddy Waters Capital ist in ihrem Kern und den damit beabsichtigten Schlussfolgerungen falsch! Die Unterstellung von Muddy Waters Capital, dass Veränderungen des Aufsichtsrates im inhaltlichen Zusammenhang mit der freeXmedia-Transaktion stehen ist falsch - sie lagen jeweils in der persönlichen Sphäre bzw. beruflichen Veränderungen der betroffenen Aufsichtsräte.
Das zwischenzeitliche Ausscheiden von Dirk Ströer aus dem Aufsichtsrat steht ebenfalls ausschließlich im Zusammenhang mit Verpflichtungen die die Ströer SE & Co KGaA im Kontext des T-Online-Deals zu Entsenderechten der Deutschen Telekom AG eingegangen ist. Dirk Ströer ist mittlerweile wieder wie geplant Aufsichtsrat in beiden Aufsichtsratsgremien der Ströer SE & Co KGaA und ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin Ströer Management SE.
- Muddy Waters Capital stellt fest: "Infoscreen Profitability Seems to be an Extreme Outlier"
Die von Muddy Waters Capital implizierte Unterstellung, dass unsere Guidance zur Profitabilität dieser Produktgruppe fragwürdig ist, grob falsch! Grundsätzlich machen wir keine detaillierten Aussagen zu Margen oder zur Profitabilität einzelner Produkte, Produktbereiche oder Gesellschaften. Wir steuern und berichten unser Unternehmen auf Basis der bekannten Segmentstruktur. Es ist generell aber zutreffend, dass Teile unserer digitalen Geschäftsmodelle nachhaltig sehr profitabel arbeiten.