
Krach um die dmexco Darum sind Schneider und Muche rausgeflogen
Noch im September beste Freunde: Christian Muche, Director Business Development, Strategy & International dmexco, Gerald Böse, Geschäftsführer der Koelnmesse GmbH. Frank Schneider, Director Marketing, Sales & Operations dmexco, Matthias Wahl, Präsident des BVDW (vlnr.) Das Bild entstand anlässlich der Eröffnung der dmexco 2017.
Noch im September beste Freunde: Christian Muche, Director Business Development, Strategy & International dmexco, Gerald Böse, Geschäftsführer der Koelnmesse GmbH. Frank Schneider, Director Marketing, Sales & Operations dmexco, Matthias Wahl, Präsident des BVDW (vlnr.) Das Bild entstand anlässlich der Eröffnung der dmexco 2017.
Ohne Vorwarnung hat die Koelnmesse den beiden Erfindern der dmexco gekündigt. Angeblich sollen sie gegen ihren Vertrag verstoßen haben. Die wahren Gründe für den Crash liegen jedoch vermutlich woanders.
Messegelände Köln, 14. September 2017, drei Uhr nachmittags. Der zweite Tag der dmexco 2017 neigt sich dem Ende zu. Frank Schneider und Christian Muche haben zum Gespräch in ihr Büro im Pressezentrum gebeten. Eigentlich der Zeitpunkt, um die Anspannung zu lösen: Die neunte Auflage der Marketing-Show in Köln ist so gut wie gelaufen, und wieder einmal haben die beiden und ihr Team die Hallen gerockt. Einige wichtige Aussteller sind zwar unter geräuschvollem Pressegetöse der dmexco 2017 ferngeblieben und auch neue, höhere Eintrittspreise haben für Verwirrung gesorgt und Manöver im letzten Augenblick erforderlich gemacht.
Dennoch: Die Hallen waren wieder voll, die Stimmung abermals bombig. Doch etwas ist anders als an all den anderen zweiten Messetagen in den Jahren zuvor, an denen die beiden dmexco-Macher ebenfalls mit ausgewählten Journalisten ein erstes Fazit gezogen haben. Muche wirkt ungehalten. Es bricht aus ihm heraus, wie sehr ihn die Kritik an der dmexco im Vorfeld geärgert hat. Und damit, so wird deutlich, meint er nicht nur die Presseberichterstattung.
Plötzliches Aus nach einer langen Erfolgsgeschichte
Sechs Wochen später wird die Ahnung zur Gewissheit: Es hat gekracht im Gebälk der dmexco. In einer dürren Pressemeldung verkündet die Koelnmesse am 2. November, dass sie ihren Vertrag mit dem Digital-Branchenverband BVDW über die Ausrichtung der dmexco verlängert habe. Die Zusammenarbeit mit der Beratungsgesellschaft KDME werde hingegen mit sofortiger Wirkung beendet - und damit die Zusammenarbeit mit den KDME-Geschäftsführern Frank Schneider und Christian Muche. Die dmexco schmeißt ihre Erfinder raus.
Die Branche reagiert geschockt, haben die beiden doch etwas geschafft, was in der digitalen Wirtschaft wirklich selten ist: den Standort Deutschland zum Nabel der Online-Welt zu machen. In der Zeit von 2009 bis 2016 hat sich die Zahl der Aussteller vervierfacht, die Zahl der Besucher ebenso. 2017 schließlich wurde erstmals die magische Grenze von 1.000 Ausstellern überschritten. Fünf Ausstellungshallen belegte die Megashow diesmal, und obwohl weniger Besucher kamen als im Jahr davor, war es teilweise übervoll.
Was haben die beiden verbrochen, dass ihnen die Koelnmesse nach dieser Erfolgsgeschichte so einfach den Stuhl vor die Tür stellt? Die Pressemeldung enthält kein einziges Wort des Dankes. Wenige Tage später legen Koelnmesse und BVDW nach: Grund für die Trennung von Schneider und Muche seien "schwerwiegende Vertragsverletzungen", verbreiten beide Parteien, die Koelnmesse per Pressemitteilung, der BVDW in einer Information an seine Mitglieder. Was genau verletzt wurde, kann BVDW-Präsident Matthias Wahl auf Anfrage nicht benennen. Doch es könne sich nicht um eine kleine Lässlichkeit gehandelt haben. Da müsse schon etwas Gravierendes vorgefallen sein. Bloß was?
Wer steckt hinter Excitare?
Eine Spur führt in die Schweiz. In Wollerau am Zürichsee, rund 20 Kilometer südwestlich von Zürich, sitzt die Firma Netprofit. Deren Inhaber Roger Baur ist gleichzeitig Geschäftsführer der Schweizer IAB-Dependance (Interactive Advertising Bureau) und in der Schweizer Digitalwirtschaft bestens vernetzt. Mit der dmexco verbindet Baur eine längere Geschichte, denn er hat nicht nur den IAB-Gemeinschaftsstand von der Schweiz und Österreich in Köln vorangetrieben, er kümmert sich auch um den dmexco Satellite in Zürich, eine der Veranstaltungen, die jedes Jahr rund um den Globus im Vorfeld der dmexco stattfinden und die Branche "vorglühen".
Seit 2011 macht der Dmexco-Zirkus Halt in Zürich, 2017 wurde mehr daraus: Die d:Pulse feierte Premiere, eine neue Digitalkonferenz. Zur Auftaktveranstaltung im Februar kamen über 1.000 Teilnehmer - in dem kleinen Land ist das durchaus eine Ansage. In die neue Konferenz brachte das IAB Schweiz den prestigeträchtigen Digital Marketing Award ein, die wichtigste Auszeichnung der dortigen Digitalbranche. Bei den Kooperationspartnen der Auftaktveranstaltung zählt die d:Pulse noch den BVDW und die dmexco als Partner auf. Für 2018 fehlt dieser Hinweis.
Überraschender Fund im Handelsregister
Ein Anruf bei d:Pulse-Macher Baur ergibt, dass im Januar 2017 extra für die d:Pulse ein Unternehmen gegründet wurde, die Excitare AG, die unter derselben Adresse gemeldet ist wie Baurs Firma Netprofit. "Wir wollten die Durchführung der d:Pulse wirtschaftlich absichern", erklärt der Schweizer, der Wert darauf legt, sowohl mit Schneider und Muche als auch mit dem BVDW und der Koelnmesse seit Jahren eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Und weil dies so ist, habe er Schneider und Muche einen Platz im Verwaltungsrat der Excitare angeboten, "das ist so etwas wie der Aufsichtsrat in Deutschland".
Haben sich die beiden auch wirtschaftlich engagiert? Darauf gibt Baur keine Antwort. Ein Blick ins Schweizer Handelsregister offenbart allerdings, dass Schneider und Muche nicht nur im Excitare-Verwaltungsrat sitzen, sondern dort neben Baur und David Burst auch zeichnungsberechtigt sind. Baur und Burst arbeiten eng zusammen: Der eine ist der Geschäftsführer des Schweizer IAB-Chapters, der andere dessen Präsident.
Verschwörungstheorien machen die Runde: Haben Schneider und Muche auf zu vielen Hochzeiten getanzt? Planten sie dmexco-Klone in anderen Ländern - womöglich an ihrem Auftraggeber Koelnmesse vorbei? Was die Schweiz angeht, melden Messekenner Zweifel an: Ein globaler Event vom Zuschnitt der dmexco würde am Zürichsee nicht funktionieren, schon die Bettenkapazitäten und das Preisniveau sprächen dagegen. Außerdem beteuern die geschassten Messe-Macher, ihr Engagement für die d:Pulse sei stets im Sinne des BVDW gewesen. Zudem habe es sein Ziel erreicht: mehr Schweizer Aussteller in die Kölner Messehallen zu bringen. Die Vertragskündigung, so lassen sie über eine eilends gebuchte PR-Agentur verbreiten, würden sie so nicht akzeptieren und gegen den Vorwurf des Vertragsbruchs rechtlich vorgehen.
Erinnerungen an 2008 werden wach
Die Situation erinnert an den turbulenten Start der dmexco im Jahr 2009. Seit der Jahrtausendwende hatte Frank Schneider in Düsseldorf die OMD organisiert, die er selbst eigentlich nur bei ihrem vollen Namen nennen durfte: Online Marketing Düsseldorf. Das Kürzel OMD hatte sich die gleichnamige Werbeagentur schützen lassen. Schneider agierte mit ideeller Unterstützung des BVDW und seines damaligen Präsidenten Arndt Groth, handelte aber wirtschaftlich im Auftrag der Messegesellschaft Igedo – deren Chef ursprünglich Gerald Böse hieß, bevor der 2005 Messechef in Karlsruhe wurde.
Zum Eklat kam es im September 2008 als bekannt wurde, dass Schneider die Stadt wechseln wolle. Bereits auf der OMD 2008 in Düsseldorf hatte er bei den Ausstellern um Unterstützung für eine neue Messe in Köln geworben, die "DMEX" heißen sollte. Sein Ex-Chef Böse war zu diesem Zeitpunkt bereits Geschäftsführer der Koelnmesse und stand dort gerade wegen unerwartet hoher Unternehmensverluste in der Kritik.
Die plötzliche Konkurrenz zwischen Düsseldorf und Köln stellte den BVDW auf eine Zerreißprobe. Während sich Präsident Groth für eine weitere Unterstützung der OMD in Düsseldorf aussprach, warb sein Vize Mathias Ehrlich, damals Chef des Vermarkters United Internet Media, für einen Wechsel nach Köln. Die Igedo bestellte mit Alexander Felsenberg eilig einen neuen Projektleiter für die OMD und setzte einen Termin für Mitte September 2009 an. Schneider und sein "DMEX"-Team konterten mit einem Termin nur eine Woche später - klar, dass sich kein Aussteller auf beiden Events einen Stand leisten mochte.
Die unvermeidliche Abstimmung mit den Füßen entschied Schneider - damals bereits im Team mit Muche - für sich: Die OMD 2009 wurde abgesagt. Bevor der Nachfolger in Köln an den Start gehen konnte, musste allerdings noch der Name geändert werden, "DMEX" stieß bei den Betreibern des TV-Senders DMAX auf markenrechtliche Bedenken.
Schon wieder auf dem Sprung?
Sind Schneider und sein Kompagnon Muche, der mit dem kostenlosen und gleichzeitig hochwertigen Kongressprogramm zur dmexco die gesamte Branche unter Zugzwang setzte, wieder auf dem Sprung? Oder waren sie zu fordernd in den Vertragsverhandlungen? Bis nach der dmexco 2018, so wissen Branchenbeobachter, lief eigentlich die Vereinbarung mit der Koelnmesse. Ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit bedeutet demnach eine vorfristige Kündigung mit entsprechendem juristischem Nachspiel.
"Die beiden haben viel, sehr, sehr viel Geld verdient", berichtet ein Insider, der seinen Namen nicht genannt wissen will. Auch Messechef Böse gehört nicht zu den Geringverdienern. Im Juni 2017 verlängerte er seinen Vertrag mit der Koelnmesse bis zum Jahr 2023. Dabei setzte Böse eine rund zehnprozentige Erhöhung seiner Bezüge auf rund 800.000 Euro im Jahr durch und provozierte damit Kritik im Kölner Stadtrat. Die Domstadt ist mit knapp 80 Prozent der Firmenanteile Mehrheitseigentümerin, 20 Prozent hält das Land NRW. Die Ertragslage der Koelnmesse schwankt stark von Jahr zu Jahr, was damit zusammenhängt, dass manche Messen nicht in jedem Jahr stattfinden. Bei seinem Amtsantritt 2008 musste Böse dem Aufsichtsrat noch Verluste zwischen 10 und 20 Millionen Euro im Jahr erklären. Im Rekordjahr 2015 wurden über 36 Millionen Euro verdient, 2016 fehlten 0,9 Millionen zur schwarzen Null.
Die Koelnmesse steht unter Beobachtung
Die Profitabilität der Messegesellschaft könnte in Zukunft stärker in den Fokus rücken, denn die neue, CDU-geführte NRW-Landesregierung erwägt, ihren 20-Prozent-Anteil an der Koelnmesse an private Investoren zu verkaufen. Zudem steht die Koelnmesse vor nicht unbeträchtlichen Investitionen. Bis 2030 sollen 300 Millionen Euro in das riesige, aber in weiten Teilen veraltete Messegelände gesteckt werden.
Wie lukrativ die dmexco ist, lässt sich anhand des Geschäftsberichts der Koelnmesse nicht ablesen, dort werden die einzelnen Messen nicht getrennt aufgeführt. Kenner munkeln aber von siebenstelligen Investitionen seit 2009 in die Online-Marketing-Messe, um das erklärte Ziel der Stadt zu unterstützen: Digitalmetropole Deutschlands zu werden. Das Geld dürfte mittlerweile aufgebraucht sein, zusätzliche Erlösquellen sind hoch willkommen. Bereits in diesem Jahr, als die Abschaffung der Gratis-Tickets zu einem Besucherrückgang von fast 20 Prozent führte, war Geld ein Thema: Schneider verteidigte im Interview die gestiegenen Eintrittspreise mit den hohen Investitionen, die ein stetiger Ausbau der dmexco mit sich bringe.
Unklar ist die Rolle des BVDW. Der Branchenverband kann sich eine geschwächte dmexco kaum leisten. "Ohne die Messe ist der Verband mausetot", behaupten Branchenkenner. BVDW-Präsident Matthias Wahl sieht das anders: Die Haupteinnahmequelle des Verbands - der seine Bilanzen nicht öffentlich macht - seien die Mitgliedsbeiträge, erklärt Wahl im Gespräch mit der Redaktion. Dazu kämen Einnahmen aus Zertifizierungen von Dienstleistern, dennoch spiele die dmexco eine wichtige Rolle. Der Verband ist am Erfolg der Messe auch finanziell beteiligt, zum Beispiel über die Zahl der Aussteller. Natürlich schafft der BVDW seinen Mitgliedern mit der Messe eine perfekte Bühne zur Außendarstellung, doch nur 15 Prozent aller dmexco-Aussteller sind auch BVDW-Mitglieder. Viele von ihnen könnten auch auf einer anderen Messe ausstellen, wenn es sich für sie lohnen würde – und könnten dies zum Anlass nehmen, über ihren weiteren Verbleib im Verband nachzudenken. Doch Präsident Wahl relativiert die Rolle der Veranstaltung für den BVDW: "Wenn die dmexco plötzlich wegfiele, dann wäre das ein großer Verlust für uns, aber nicht das Ende für den BVDW."
Nach außen demonstriert der Verband Einigkeit mit der Koelnmesse. Immerhin holte Wahl eine Woche nach dem Knall etwas nach, was der Pressestab von Böse zunächst vermieden hatte - er dankte Schneider und Muche öffentlich für ihre Aufbauleistung. Ansonsten setzt er auf Kontinuität: Weder der Veranstaltungsort noch das Konzept der Messe wird für 2018 infrage gestellt. dmexco ohne Schneider und Muche? Das Orga-Team umfasst 35 Mitarbeiter, kontert Wahl, die das ganze Jahr über die dmexco planen. Die Veranstaltung sei nicht das Werk von zwei Einzelpersonen.
Wurde der BVDW von den Ereignissen überrascht?
Zu den Hintergründen der Trennung von KDME könne der BVDW-Präsident jedoch nichts sagen, das sei eine Sache zwischen Koelnmesse, Schneider und Muche. Dabei scheint es kaum vorstellbar, dass der Verband, der die Marken und Namensrechte an der Digital Marketing Exposition and Conference hält, vor der Verlängerung eines Vertrags mit seinem Messedienstleister nicht noch einmal nachgefragt hat, ob denn auch das bewährte Team wieder dabei ist.
Schneider und Muche, so geben beide zu Protokoll, seien von der Nachricht, dass die Koelnmesse die Zusammenarbeit mit ihnen beenden will, völlig unvorbereitet getroffen worden. Und es steht der Verdacht im Raum, dass der BVDW ebenso kalt erwischt wurde - und jetzt gute Miene zum bösen Spiel macht, um nicht als inkompetent dazustehen. Zitieren lassen mag sich mit dieser Vermutung niemand - geäußert wird sie hinter vorgehaltener Hand jedoch mehr als einmal.
Die Frage nach der Wahrheit
Was könnte der gravierende Verstoß gewesen sein, der den Kölner Messechef bewogen hat, seine langjährigen Vertragspartner zu schassen? Böse ist jetzt 55, sein unlängst bis 2023 verlängerter Vertrag könnte der letzte in seinem Berufsleben sein. Vielleicht geht es schlicht ums Geld. Die dmexco ist bestens etabliert, das Team steht nicht bei KDME unter Vertrag, sondern bei der Koelnmesse - und der BVDW hat keinen Plan B zur dmexco in der Tasche. Da erscheint die Versuchung groß, seine zwei teuren Gallionsfiguren gegen bewährte Mitarbeiter aus der zweiten Reihe auszutauschen, die den Job womöglich kaum weniger gut können, aber erheblich weniger kosten.
Das Verhalten von Schneider und Muche wirkt wie das zweier Angestellter, die von ihrem Chef fristlos gefeuert wurden und jetzt Kündigungsschutzklage einreichen. So was kennt man, es gehört zum Geschäft. Doch nach diesen Ereignissen ist es kaum vorstellbar, dass alle drei Parteien, also KDME, Koelnmesse und BVDW, noch einmal in alter Konstellation zusammenfinden. Vielleicht kommt es zu Kompensationszahlungen, aber Muche und Schneider als Gesichter der dmexco in Köln, das dürfte Geschichte sein.
Und woanders? Die beiden umtriebigen Organisatoren würden sehr gern weiterhin die dmexco für den BVDW machen, heißt es aus ihrem Umfeld. Und das müsse ja nicht unbedingt in Köln sein.