
Gastbeitrag Wenn Online-Werbung unheimlich wird
Technisch ist es längst möglich, Konsumenten online zu folgen. Das macht bis zu einem gewissen Grad auch Sinn. Wer die Schraube aber überdreht, drängt die User schnell in das unheimliche Tal der Online-Werbung.
Von Lars Hense, Sales Director bei InSkin Media
Im Jahr 1970 prägte der Robotik-Professor Masahiro Mori den Ausdruck "Uncanny Valley" (das unheimliche Tal). Moris ursprüngliche Hypothese besagt, dass die Menschen positiver auf Roboter reagieren, je ähnlicher sie dem Menschen sehen - jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn dieser überschritten wird, schlägt die Sympathie schnell in starke Abneigung um.

InSkin Media
Ähnlich verhält es sich möglicherweise mit dem Targeting von Online-Werbung. Das Ziel vom Targeting ist natürlich eine optimale Abstimmung von Zielperson, Sendezeit und -ort für die Auslieferung kommerzieller Botschaften, wodurch der Werbekunde eine geringere Übersteuerung erreicht. Unheimliche Passgenauigkeit oder endlose Wiederholungen von Werbebotschaften erreichen jedoch irgendwann den Punkt, an dem der Konsument sich verfolgt fühlt.
Zunehmender Effizienzdruck
Die Optimierung der Werbemittelauslieferung ist schon lange ein Hauptanliegen der Werbekunden, die die Effizienz und den Return-on-Investment verbessern wollen. Die zielgruppengenaue Auslieferung in der Online-Werbung hat die Branche bereits durch den Einsatz neuer Technologien zunehmend verbessert. Doch die zunehmende Fragmentierung der Märkte durch neue Plattformen und Kanäle sowie die Nutzung verschiedener Devices (Desktop im Büro, unterwegs das Smartphone, zuhause das Tablet) stellt Vermarkter, Agenturen und Werbungtreibende vor neue Herausforderungen.
Wie stellt sich all dies allerdings aus der Perspektive des Konsumenten dar? Bei all dem Wirbel um Programmatic und Retargeting wird oft der Nutzer übersehen. Viele Verbraucher wünschen sich persönlich zugeschnittene Werbung, werden aber misstrauisch oder verärgert, wenn die Werbung zu tiefe Einblicke in ihre Bedürfnisse zu haben scheint oder wenn ihnen die selbe Anzeige zu oft gezeigt wird.
Das Phänomen der ungleichen Verteilung von Werbekontakten ist aus Werbung im Fernsehen oder Print bereits hinreichend bekannt. Durch Erhöhung des Werbedruckes wird bei starkem Medienkonsum schnell eine Sättigung erreicht. Dabei sind sich die meisten Konsumenten darüber im Klaren, dass sie bei kostenlosen Angeboten selbst zum "Produkt" werden. Dass Werbung Online-Inhalte finanziert, ist bekannt und als Kompromiss akzeptiert, denn die wenigsten User wären bereit, jährlich 180 Euro für ein Internet ohne Werbung zu bezahlen.
Sonderrolle der Online-Werbung
Der Online-Werbung kommt also eine Sonderrolle zu: Im Gegensatz zu TV und Print wird das Internet nicht als öffentlicher, sondern als persönlicher Raum wahrgenommen, insbesondere wenn es um das mobile Web geht. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass Nutzer es als Einschränkung ihres Persönlichkeitsrechts empfinden, wenn die Werbung überhand nimmt und sie sich online verfolgt fühlen. Die Grenzen hängen vom individuellen User ab und unterscheiden sich stark.
Wenn wir den Punkt ins "Uncanny Valley" überschreiten, riskieren wir, dass der Nutzer die Botschaften aktiv umgehen oder unterdrücken möchte. Es kann sogar statt des gewünschten Werbeeffekts ein Negativeffekt auftreten und der Marke nachhaltig schaden, besonders, wenn User ihre schlechten Erfahrungen über soziale Netzwerke verbreiten.
Konsumenten akzeptieren Werbung
Wie also reagieren Konsumenten darauf, dass ihre Daten aufgezeichnet und für Targeting verwendet werden? Hierzu haben wir 2012 in Zusammenarbeit mit Rapp und Research Now 1.600 UK-Bürger aus verschiedenen demographischen Segmenten befragt. Die Studie zeigte zunächst eine positive Bilanz für die Displaywerbung:
- 17 Prozent gaben an, in den letzten sieben Tagen auf eine Anzeige geklickt zu haben, um weitere Informationen zu einer Leistung eines Werbungtreibenden zu erhalten
- 20 Prozent klickten im letzten Monat auf eine Anzeige und kauften auch eine Leistung
- 40 Prozent hatten im letzten Monat die Webseite eines Einzelhändlers besucht, nachdem sie dessen digitale Anzeige gesehen hatten
- 30 Prozent besuchten das Geschäft eines Einzelhändlers, nachdem sie dessen digitale Anzeige gesehen hatten
Beinahe 80 Prozent der Befragten sind sich bewusst, dass Werbungtreibende Informationen für die Verwendung im Targeting sammeln. Ebenso viele hatten nicht nur von Cookies gehört, sondern verstehen auch deren Funktion. Tatsächlich sind Verbraucher über die Existenz und die Rolle von Cookies dermaßen aufgeklärt, das 60 Prozent sie bereits einmal gelöscht hatten, um Retargeting zu verhindern. Die Mehrheit der Verbraucher sind sich der Retargeting-Praktiken der Werbungtreibenden also durchaus bewusst. Einige Verbraucher sehen sogar einen Nutzen darin, während der Phase der Informationssuche Werbung zu erhalten. Viele bemängeln aber Holzhammermethoden von übermächtiger Werbung, die sie sogar vom Kauf abhält.
Die Studie zeigt drei Kernprobleme auf
- Übermäßige Frequenz von Anzeigen: Grundsätzlich empfinden 53 Prozent der Befragten Onlinewerbung als interessant und nützlich. Ein Drittel der Befragten bewertet sanftes Retargeting mit bis zu drei Werbekontakten positiv. Bei bis zu fünf Kontakten sinkt der Anteil der positiven Bewertungen bereits um die Hälfte, Anzeigen werden als "nervig" und "aufdringlich" empfunden. Zehn und mehr Werbekontakte führen bei 25 Prozent der Befragten zu echter Verärgerung, die der Marke gegebenenfalls schaden kann.
- Unverhältnismäßige Personalisierung (das heißt Marken erlangen und nutzen die persönlichen Daten der Nutzer, ohne zulänglichen Mehrwert zu erbringen) Während Aussteuerung nach Geschlecht und Alter von weniger als 30 Prozent der Befragten als Eingriff in die Privatsphäre empfunden wird, ist die Nutzung von Browsing- und Konsum-Daten oder Aufenthaltsort für rund 70 Prozent problematisch. Den Einsatz von Telefonnummer oder Einkommen als Datenbasis empfinden über 80 Prozent der Nutzer als unangenehm.
- Unpassender Kontext (das heißt Anzeigen werden im falschen redaktionellen Umfeld ausgeliefert oder wenn der Verbraucher nicht auf Informationssuche ist) Werden Anzeigen in einer für den Konsumenten nicht relevanten Situation oder beim allgemeinen Web-Browsing ausgeliefert, ist eine positive Reaktion nicht nur um ein Drittel weniger wahrscheinlich, eine wütende Reaktion kann je nach Frequenz der irrelevanten Anzeige bis zu 70 Prozent wahrscheinlicher werden.
Auch die Vertrauenswürdigkeit des Umfelds ist wichtig. Eine Seite, die der Nutzer als vertrauenswürdig empfindet, kann die Klick-Wahrscheinlichkeit um bis zu 37 Prozent erhöhen. Schließlich zeigt sich außerdem die Bedeutung der Qualität des Anzeigenumfeldes: Auf Websites, die der Nutzer als qualitativ hochwertig bewertet, werden Anzeigen mit bis zu 88 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit als positiv bewertet als solche auf Seiten, die weniger bekannt oder seriös erscheinen.
Die Konsequenzen negativer Erfahrungen mit Online-Werbung sind dabei oft deutlich weitreichender als lediglich eine verschwendete Ad Impression oder eine verpasste Conversion. Der potenzielle Kunde ist womöglich nicht nur selbst nachhaltig vom Kauf abgeschreckt, sondern kann im ungünstigsten Falle durch negatives "Word-of-Mouth" bei Freunden und Verwandten sowie online via Social Media den Ruf einer Marke beeinträchtigen.
Wie also sollten Werbungtreibende vorgehen, um negative Konsequenzen zu vermeiden?
1. Werbebotschaften im richtigen Umfeld ausliefern
Bei der Auslieferung der Werbebotschaften sind zwei Komponenten besonders wichtig: Ort und Zeitpunkt, an denen der User mit der Werbung konfrontiert wird, entscheiden maßgeblich über ihren Erfolg. Konkret bedeutet das einerseits, dass der Seitenkontext relevant sein sollte, das heißt redaktionelle Inhalte sollten der beworbenen Marke nicht vollkommen themenfremd sein und das Zielpublikum sollte für beide in etwa übereinstimmen.
Andererseits sollten die versendeten Botschaften zeitlich auf die Customer Journey abgestimmt sein: Mit Hilfe sorgfältiger Datenanalysen lässt sich relativ genau feststellen, ob sich der Kunde innerhalb der Recherchephase befindet und für zusätzliche Information empfänglich ist oder nach einem Kauf für weitere Produkte (Cross-Selling) offen ist, zum Beispiel in Form von Accessoires zum gekauften Produkt. Auf diese Art lassen sich auch Kandidaten für eine Markenempfehlung identifizieren und gezielt durch Verlinkung auf Social Media zu einer Bewertung bewegen.
2. Frequenz der Werbekontakte richtig dosieren
Zu viel ist zu viel. Statt übermäßig viele Impressions an den gleichen User auszuliefern, lohnt es sich, mittels Frequency Capping die Zahl der Werbekontakte einzelner User zu deckeln. Alternativ bieten Kampagnen mit fortschreitendem Storytelling, die dem User im Verlauf seiner Browsing-Session unterschiedliche Creatives zeigen, mehr Möglichkeiten zur gezielten Kommunikation. Variierende kommerzielle Botschaften können so inszeniert und zielführend in die Customer Journey integriert werden.
3. Social Listening gegen Markenverleumdung
Mit strategischen Aktionen auf Social-Media-Kanälen und gezieltem Monitoring lassen sich negative Erfahrungsberichte frühzeitig de-eskalieren, während positive Erfahrungen hervorgehoben und multipliziert werden können. Dadurch lässt sich verhindern, dass potenzielle Kunden bei ihrer ersten Suchanfrage durch Google ein ungerechtfertigt negatives Bild einer Marke erhalten.
4. Entwicklung eines Wertausgleichs
Um Nutzern einen Anreiz zu geben, auf Werbung zu Klicken, muss für sie mehr dabei herausspringen als ein gutes Produkt oder ein günstiger Preis, zum Beispiel der Zugang zu einem Kundenclub, Premium Content, einer Plattform für Selbstverwirklichung oder ein interessanter Zeitvertreib. Derartige Angebote ziehen Kunden nicht nur an, sondern konvertieren sie im Idealfall zum Fürsprecher für die Marke.
Zu lange haben sich Werbungtreibende bei der Planung der Online-Aktivitäten danach gerichtet, was technisch möglich ist. Jetzt ist die Zeit gekommen, einen Schritt zurück zu treten und den Konsumenten ins Zentrum zu rücken. So kann nicht nur das "unheimliche Tal" der Online-Werbung umgangen werden, sondern auch eine bessere Relation zwischen Werbeinvestition und -effekt erzielt werden.