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Schatten, Symbole für Business

Medientrend Content-Marketing: Vor dem großen Schock

Fotolia.com / Rawpixel
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Ein Trend wird zum Mainstream: Bei ihrer Kommunikationsstrategie setzen immer mehr Unternehmen auf Content-Marketing. Doch das bringt Probleme mit sich.

Die Content-Marketing-Branche ist um einen Riesen reicher geworden: Vor wenigen Tagen vermeldete der Medienkonzern Bertelsmann, dass seine beiden Töchter - die Medienfabrik und G+J Corporate Editors - ab Januar ­gemeinsame ­Sache machen. Dadurch ­entsteht mit ­einem Umsatz von hoch­gerechnet über 100 Millionen Euro der größte Content-Communication-Dienstleister Deutschlands. "Die Medienfabrik ist ein Goldstück auf dem Markt der Content-Marketing-Agenturen", schwärmt Stephan Schäfer, Chief Product Officer bei G+J. Zusammen werde man auf dem stark wachsenden und hoch begehrten Markt zum Top Player.

Der Zusammenschluss macht deutlich, wie stark die Branche an Content-Marketing glaubt. Bereits in den Monaten zuvor hatten sich einige Player neu formiert, um an dem Hype kräftig mitverdienen zu können. Den Auftakt bildete im September 2014 die Nachricht, dass die Agentur Kircher Burkhardt mit Burda Creative zum Unternehmen C3 - Creative Code and Content verschmelzen werde. Damit, so die Beteiligten, entstehe im Bereich Content-Marketing ein neuer Champion.

Nahezu zeitgleich verkündete die Deutsche Telekom, dass sie den Content-Marketing-Dienstleister The Digitale gründet. Dabei werde man auf das redaktionelle Know-how und die technologische Kompetenz des T-Online-Netzwerks zugreifen und so in den nächsten zwei, drei Jahren zu den Top-5-Dienstleistern Europas ­heranreifen, so das Unternehmen.

Und nur drei Monate später meldete sich auch der Medienkonzern Ströer mit der Nachricht, dass man die Mehrheit am Content-Marketing-Spezialisten Content Fleet übernehmen werde. Ströer-CEO Christian Schmalzl ließ sich mit den Worten zitieren, dass es sich bei dem Business um ein "vielversprechendes Entwicklungsfeld" handle.

Unternehmen forcieren Kommunikation mit Content

H&M Kampagne

Entertainment von H&M: Die Modekette hat eine Comedy mit David Beckham und Kevin Hart gedreht

H&M

Die Branche sieht sich in ihrem Optimismus durch zahlreiche Umfragen und Analysen im In- und Ausland bestätigt. In ­allen findet sich ein übereinstimmendes Bild: Die Menschen im Lande würden es begrüßen, wenn es weniger Werbung gäbe. Die Unternehmen sollen sich stattdessen verstärkt bemühen, sie mit ­vernünftigen Inhalten anzusprechen. Weniger plumpe Werbebotschaften, dafür nette Geschichten, die unterhaltsam sind, etwas erklären und nebenbei auch die Marke ein wenig näherbringen - das wäre der Wunsch der Kunden.

Gefördert wird diese Entwicklung durch die Digitalisierung. Noch nie war es für Unternehmen so einfach, selbst als Publisher aufzutreten. Musste man in der analogen Welt noch Rundfunklizenzen erwerben oder sich mit den Bestimmungen zum Versand eines Postvertriebsstücks herumschlagen, können jetzt dazu die eigene Website, ein Blog, Newsletter oder soziale Plattformen wie Youtube, Facebook oder Instagram ­genutzt werden.

Der finanzielle Aufwand für solch eine Owned-Media-Strategie hält sich damit in Grenzen. Bereits 2013 zeigte eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Facit, dass sich die Unternehmen in diese Richtung weiterentwickeln werden. Auf die Frage "Glauben Sie, dass Werbungtreibende in zehn Jahren in maßgeblichem Umfang selbst als Medienhäuser auftreten?", antworteten 41 Prozent der befragten Branchenexperten mit Ja.

Bis heute hat sich an dieser Einstellung nichts geändert. Nach einer Befragung des Forum Corporate Publishing aus dem vergangenen Herbst sind die weitaus meisten Unternehmen der Ansicht, dass eine auf Inhalten basierende Kommunikation in den nächsten Jahren immer wichtiger werden wird.

Content soll die Bedeutung der Marke unterstreichen

Inhalte Kommunikation

Und so steigt die Zahl der Unternehmen, die versuchen, mit ihren Kunden über ­Inhalte in Kontakt zu kommen und sie schichten Werbeetats um: Statt einfach nur Spots zu ­buchen und Anzeigen zu kaufen, schaffen sie Inhalte, die zur eigenen Marke passen und suchen damit die Nähe zum Konsumenten. Sie betreiben Marketing mit Content - Content-Marketing eben.

Die Telekom dreht mit der Familie Heins minutenlange Filmchen, in denen Mobilfunk zwar eine Rolle spielt, die für den User jedoch eher wie eine Sitcom daherkommen. Am Anfang wirkte das ein wenig peinlich, inzwischen aber hat das Format deutlich mehr Tempo gewonnen, was vermutlich auch an der Kooperation mit Constantin Film liegt.

Die Modemarke H&M setzt ebenfalls auf Witz und dreht mit David Beckham und dem Comedian Kevin Hart einen ­äußerst unterhaltsamen Film. Die Elektronik-Fachkette Media Markt macht Hasen mit Namen wie "Der Zermöhrer" oder "Grandmaster Flitz" zu Medienstars und inszeniert ein live im TV übertragenes ­Osterhasen-Rennen.

Beispiele für Content-Marketing

Lego Movie

The Lego Movie: Lego drehte mit seinen Figuren einen computeranimierten Spielfilm, der weltweit 468 Mio. US-Dollar einspielte

Lego

Saturn bringt Turn On, ein aufwendiges Online-Magazin für Technik-Freaks ins Web, die Gelben Seiten berichten über Themen wie Bauen, ­Renovieren, Garten und Wellness. Die Vermittlungsplattform für Unterkünfte Airbnb führt zum Jahrestag des Mauerfalls zwei Grenzsoldaten aus Ost und West zusammen, die Fremdenverkehrsregion Südtirol startet ein multimediales Online-Magazin mit dem Namen "Was uns bewegt".

Lego dreht einen ganzen Kinofilm und die Plattform Dawanda bietet ihren Usern ein breit gefächertes Content-Angebot rund um das Do-it-yourself-Thema: mit Anleitungen zum Nähen und Heimwerken, Vorstellung der nötigen Materialien, Porträts von Produzenten und Verkäufern. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

"Über unser Content-Angebot verfolgen wir - neben kurzfristigen Zielen wie der Erzeugung von Reichweite, Social Buzz, SEO-Erfolgen oder der Generierung neuer Besucher  - vor allem langfristige Marketing-Ziele", sagt Elke von Borcke,  Marketing Director von Dawanda. "Wir wollen unser Image als Anbieter von einzigartigen Handmade-Produkten und Anleitungen weiter festigen und den Community-Ausbau ebenso wie den Aufbau unserer eigenen reichweitenstarken Kommunikationskanäle weiter vorantreiben."

So unterschiedlich die Ansätze der einzelnen Unternehmen sind, die Kommunikationsziele sind bei allen ähnlich: Es geht darum, die Kompetenz der eigenen Marke mithilfe von passendem Content zu unterstreichen.

Jeder will vom Medientrend profitieren

Telekom-Familie Heins

Telekom-Familie Heins: Die Agentur DDB Hamburg hat die schräge Familien-Comedy entwickelt

Telekom

So viel Nachfrage führt momentan dazu, dass sich ein ganzer Markt dreht. Nahezu  sämtliche Dienstleister der Kommunika­tionsbranche - ob Technikanbieter, Kreativagentur oder Media-Experte - betonen derzeit ihre Kompetenz im Bereich "Content-Marketing". Auf der diesjährigen Digitalmesse Dmexco hatte gefühlt jeder  Aussteller mit dem Thema zu tun. Die Angst unter den Marktteilnehmern ist groß, an einem der größten Medientrends der letzten Jahre nicht partizipieren zu können.

Das Forum Corporate Publishing, zu dessen Mitgliedern rund 100 Verlage und Agenturen zählen, nennt sich in Content Marketing Forum (CMF) um und ­beschließt gleichzeitig die Gründung einer Content Marketing Akademie. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) ruft einen Round Table ins Leben, tüftelt an einer Definition des Begriffs und debattiert über Kennzahlen.

Agenturen wie ­Havas, Fischer Appelt, Jung von Matt oder Sinner Schrader suchen händeringend nach Content-Marketing-Experten - für Journalisten ergeben sich plötzlich ganz neue berufliche Perspektiven. Und grö­ßere Kreativagenturen wie Ogilvy oder Serviceplan gründen eigene Content-Units, um sich als kompetenter Dienstleister zu empfehlen.

Eine ganze Branche springt auf den Zug auf

Seminare und Webinare mit Tipps zum Content-Marketing schießen wie ­Pilze aus dem Boden, Kongressangebote zum Thema stoßen auf große Nachfrage. Die Verlagsgruppe Handelsblatt ruft den Deutschen Content Marketing Preis ins Leben - zu den Preisträgern zählen Unternehmen wie Vodafone, Audi, die Deutsche Telekom und der WWF.

"Es gibt kaum noch ein Projekt, wo nicht Content-Marketing draufsteht", sagt Lukas Kircher, Geschäftsführer der Agentur C3. Teilweise etikettiere man auch alte Projekte einfach um. Das Motto: Haupt­sache dabei (siehe Interview Seite 4).

Kircher gilt als der Branchenexperte, der das Thema in Deutschland zusammen mit seinem Agenturkollegen Rainer Burkhardt als Erster erkannt und Ende 2012 in die Öffentlichkeit getragen hat. "Wir haben uns sehr intensiv damit beschäftigt, was nach der Disruption des Journalismus wohl in der Kommunikationsbranche passieren würde", so Kircher. "Wir sahen in Content-Marketing alle Symptome einer grundlegenden Änderung der Rolle und Funktion von Marketing."

Content-Marketing interessanter denn je

Content-Marketing auf Google

Was die beiden aber nicht sahen: Welche Woge das Thema innerhalb weniger ­Monate tatsächlich auslösen würde und dass eine ganze Branche auf den Zug aufspringt. Deutlich wird dies beim Blick auf die Google-Suchanfragen zum Begriff "Content-Marketing". Diese steigen seit Monaten ­exponenziell an. Sie zeigen aber auch: Das Interesse erreicht einen Peak.

Tatsächlich verdichten sich die Hinweise, dass Content-Marketing im kommenden Jahr im Marketing-Mainstream ankommt. Damit treten aber auch Probleme auf, die in der ersten Euphorie übersehen wurden. Das größte: Wer sich einmal dafür entschieden hat, seine Kunden regelmäßig mit Inhalten zu bedienen, darf auf halbem Wege nicht schlappmachen.

Umfragen zeigen immer wieder, dass sich die Unternehmen gestresst fühlen, weil Content-Marketing in der Themenfindung eine hohe Frequenz erfordert. Die Umsetzung ist ebenfalls alles andere als einfach: Die Inhalte müssen verständlich und anschaulich kommuniziert werden. Immer. Die Zahl der Meetings wächst.

Wer soll denn die ganzen Inhalte lesen?

Und über allem steht plötzlich die Frage, wer das alles noch konsumieren soll, wenn immer mehr Unternehmen ihre Strategie auf die Produktion von Content umstellen? In den USA, die bei dem Thema schon deutlich weiter sind, macht bereits der böse ­Begriff "Content Shock" die Runde. Angestoßen hat die Diskussion dort der Marketing-Experte Mark Schaefer in seinem Blog. Er machte eine einfache Rechnung und damit ein Fass auf: In den letzten Jahren stieg die Zeit, die wir für Mediennutzung verwenden, auf täglich elf Stunden.

Parallel dazu wuchs das Medienangebot. Doch irgendwann wird die Nutzung nicht mehr zunehmen können. Wenn aber das Content-Angebot trotzdem weiter steigt, wird viel davon ungelesen und ungesehen bleiben: Der Content Clash ist da.

Den Content-Marketing-Konzepten könnte damit ein ähnliches Schicksal drohen wie den Werbebotschaften, die mit dieser Strategie eigentlich ersetzt werden sollten: Gibt es sie im Überfluss, verhallen sie ungehört. Zumindest die, die sich vom Durchschnitt nicht abheben.

Interview: "Fast überall steht Content-Marketing drauf"

Lukas Kirchner

Lukas Kirchner, Geschäftsführer C3 - Creative Code and Content GmbH

www.c3.co

INTERNET WORLD Business: Sie haben Ende 2012 die Diskussion um Content-Marketing entfacht. Hätten Sie gedacht, dass gefühlt die ganze Branche auf den Zug aufspringt?
Lukas Kircher: Wie bei allen Revolu­tionen haben wir unterschätzt, wie schnell sich das Thema entwickelt. Mich persönlich freut dieses neue, ­radikal näher an den Informations- und Unterhaltungsbedürfnissen entlang ausgerichtete Marketing-Verständnis sehr. Es macht einfach Spaß zu sehen, dass unsere Zielgruppen sich nicht hauptsächlich damit beschäftigen, wie sie unsere Versuche, mit ­ihnen sinnvoll zu kommunizieren, möglichst schnell wegklicken können.

Verstehen eigentlich alle das Gleiche unter dem Begriff? 
Kircher: Wir befinden uns immer noch in Deutungskriegen, teilweise werden alte Projekte nachträglich "umetikettiert"; es gibt kaum noch ein Projekt, wo nicht Content-Marketing draufsteht. Da muss man genau hinsehen, mit welcher Intention manche Marktteilnehmer Definitionen in ihre Richtung hinbiegen.

Wo sind denn aktuell die größten ­Herausforderungen bei dem Thema?
Kircher: Die Verbindung zwischen Content und Media ist eine wichtige Baustelle, also Reichweitenmodelle, die sparsam, aber intelligent einsetzen, was wir "Creative Media" nennen. Das verbesserte Zusammenspiel von existierenden Performance-Modellen mit digitalem Marketing. Und im Kern immer wieder exzellenter Content.

Wenn alle Content produzieren: Wer soll das alles konsumieren?
Kircher: Ich habe noch kein einziges Projekt erlebt, bei welchem sich nach Umstellung auf Content-Marketing nicht sofort organische Reichweiteneffekte ergeben haben. Manchmal sehr langsam und behutsam, manchmal sehr schnell. Aber nie haben Konsumenten in den Auswertungen gesagt: Ich will bitte die Werbung wiederhaben. Ich bin also optimistisch.

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