
Inhalt statt Werbefloskel Content Marketing: Vom Advertiser zum Verlag
Content-Marketing wird immer bedeutsamer - vor allem für Werbungtreibende. Immer öfters setzen Unternehmen auf interessanten Content statt bezahlter Werbung.
Als im September 2014 Google bekannt gab, künftig Texte weniger nach der Art der Quelle als nach ihrem Inhalt zu bewerten, blieb diese Meldung weitgehend unbeachtet. Was Googles neue Form der Textbewertung in der Praxis bedeutet, wurde Ende Februar 2015 erstmals im Content-Marketing deutlich: Der SIM-Karten-Hersteller Gemalto war plötzlich und unvorbereitet in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.
Berichten des Whistleblowers Edward Snowden zufolge hatten die NSA und ihr britisches Pendant GCHQ offenbar die Server des niederländischen Unternehmens gehackt und so den geheimen SIM-Verschlüsselungsalgorithmus decodiert. Wer in der Folge auf Google nach Informationen zu dem Vorfall suchte, fand die Gemalto-Pressemeldung vor den Berichten der Weltpresse - in Mountain View hatte man erstmals weltweit sichtbar einer von einem Unternehmen lancierten Meldung den Vorzug gegeben vor Berichten von unabhängigen Medienmarken. Grund genug für Florian Harms, Chefredakteur von "Spiegel Online", via Twitter von einem "Dammbruch" zu sprechen.
Content-Marketing: Unternehmen brauchen Journalisten nicht mehr
Für Medienschaffende und Kommunikatoren stellt dieses Ereignis eine Zäsur dar: Ein Unternehmen, das im Netz etwas Wichtiges zu sagen hat, muss sich dafür nicht mehr eines Mittlers bedienen, sondern kann die Nachricht einfach als Content auf der eigenen Website veröffentlichen. Sind Pressestellen und PR-Agenturen, die Journalisten pampern, also überflüssig? Das hört sich zu einfach an, um wahr zu sein - und das ist auch so. Dennoch: Die Kommunikationslandschaft ändert sich derzeit mit rasender Geschwindigkeit, es findet ein Paradigmenwechsel statt.
Für Social-Media-Experten wie Klaus Eck geht es dabei im Kern um Glaubwürdigkeit. In der zunehmend fragmentierten Medienwelt von heute verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen redaktionellen und werblichen Aussagen - und die Rollen der Teilnehmer im medialen Zirkus. Journalisten bei Special-Interest-Titeln müssen sich des Vorwurfs erwehren, Interessen ihrer Anzeigenkunden in ihre redaktionelle Berichterstattung einfließen zu lassen, und so mancher Fach-Blogger ist in seiner Content-Marketing Strategie mehr von wirtschaftlichen Abhängigkeiten gesteuert, als es nach außen hin den Anschein hat.
Unmoralische Angebote aus der Industrie
Auf Blogger-Treffen weiß nahezu jeder Teilnehmer von unmoralischen Angeboten aus der Industrie zu berichten, in denen es darum geht, Produkte oder Verlinkungen zu einem Unternehmen geschickt in den Content einzuflechten, ohne dass es auffällt. Als Lohn winken Testmuster, Warengutscheine oder Bargeld.
Nicht alle Blogger können diesen Verlockungen widerstehen - und der Grad des Problembewusstseins ist von Branche zu Branche unterschiedlich ausgeprägt. Reise- und Motorjournalisten galten bereits zu Print-Zeiten als besonders leicht käuflich: ein schlechter Ruf, unter dem ihre bloggenden Kollegen von heute immer noch zu leiden haben. Und aufseiten der Wirtschaft, die ihre Aussagen möglichst breit gestreut haben möchte, ist das Schlagwort "Blogger Relations" oft nichts anderes als PR mit anderen Mitteln.
Ein wichtiger Eckpfeiler des Content-Marketing ist das Corporate Publishing, in dem das Unternehmen nicht als Subjekt der Berichterstattung auftritt, sondern als Herausgeber. Als Instrument für das Brand Building ist Corporate Publishing ein alter Hut und bereits seit Jahrzehnten aus der Offline-Welt bekannt.
Von Lufthansa bis Red Bull
So drehen sich im "Lufthansa Magazin", der aufwendig produzierten Print-Zeitschrift, die die Airline ihren Passagieren seit Jahrzehnten in die Sitztasche steckt, nur wenige Beiträge um das Unternehmen und dessen Flugbetrieb. Die meisten Artikel könnten genauso auch in Lifestyle-Zeitschriften stehen, die es am Kiosk zu kaufen gibt. Bestes Zeichen für die breite Akzeptanz dieser Kundenmagazine: Journalisten, auch solche mit bekannteren Namen, sehen es nicht als Makel, dafür zu schreiben.
Zu den Altmeistern des Content-Marketing gehört der österreichische Energy-Drink-Brauer Red Bull. Nachdem das Unternehmen immer häufiger als Sponsor bei Action-Sportarten auftrat, gründete es 2007 ein eigenes Medienhaus, das Content zum Thema vermarktet.
Dazu gehört inzwischen der Fernsehsender Servus TV und das Lifestyle-Magazin Red Bulletin, das in einer Auflage von fünf Millionen Stück weltweit verkauft wird. Ursprünglich als weiteres Profit-Center neben der Brauseproduktion gedacht, tragen die Aktivitäten des Red Bull Media House inzwischen nicht unwesentlich zur Strahlkraft der Marke bei.
Content-Marketing: Owned versus Paid Content
Im Content Marketing findet Corporate Publishing inzwischen auf vielen Ebenen statt - ganz offen im eigenen Firmenblog, auf der eigenen Website oder auf der Facebook-Fanpage oder verdeckter, wie zum Beispiel im Online-Portal Curved. Das Online-Magazin für alle Themen rund um Smartphones und Tablets kommt modern im Look und frech im Tonfall daher. Doch hinter Curved steht kein Verlag oder freies Redaktionsbüro, sondern der Mobilfunk-Anbieter E-Plus. Dennoch schafft es das Portal, von den Nutzern als neutrale und nützliche Informationsquelle wahrgenommen zu werden. Zwar stößt man auf der Startseite nach längerem Scrollen auf eine großformatige E-Plus-Werbung, aber solche Banner finden sich auf anderen Tech-Seiten auch.
Für Sascha Pallenberg, den streitbaren Gründer von Mobilegeeks.de, ist dieser Content-Marketing Auftritt ein Grenzfall. Als das Online-Magazin im September 2014 zu den ersten gehörte, die einen Hands-on-Bericht über das neue Apple iPhone 6 veröffentlichten, ätzte der in Taiwan lebende Tech-Blogger via Facebook: "Erschreckend wie E-Plus es schafft, dieses Jubelperser-Blog so bei den Herstellern zu platzieren. Wie war das noch mal mit den Abhängigkeiten?"
Aus der Warte von Verlagen, Journalisten und Bloggern ist eine Content-Marekting Offensive wie Curved vor allem lästige Konkurrenz. Statt die Reichweite der Redaktionen mit Werbegeld zu bezahlen, gründet der Advertiser einfach seine eigene Redaktion - Owned Media statt Paid Media. Content-Marketing-Spezialist Klaus Eck sieht Curved denn auch differenzierter als Pallenberg: "Ich würde mir eine deutlichere Kennzeichnung von E-Plus auf Curved wünschen. Ich glaube nicht, dass Leser sich auf lange Sicht täuschen lassen. Wenn Curved Qualität liefert, etwas mehr Transparenz zeigen würde, könnte das ein wunderbarer Magazin-Ansatz mit guten Inhalten sein."
Traumwerte für normale Firmenblogs
Angenommen wird das Angebot schon heute - und geteilt: Der Kommunikationsberater Mirko Lange beobachtete, dass Curved-Artikel bis zu 6.000 Mal auf Facebook & Co. weiterempfohlen werden. Von solchen Werten können Betreiber normaler Firmenblogs nur träumen. Manchmal gründen Unternehmen aber auch nicht selbst, sondern kaufen einfach ein: Bekanntestes Beispiel ist Basicthinking.de, das vor zehn Jahren als die deutsche Antwort auf amerikanische Tech-Blogs wie Techcrunch galt.
Als Gründer Robert Basic sein Baby 2009 auf Ebay meistbietend versteigerte, bekam er genau 46.902 Euro dafür. Käufer war eine Firma Serverloft, die zum Intergenia-Konzern gehört. Heute wird Basic Thinking von Onlinekosten.de betrieben, einst wie Serverloft eine Intergenia-Tochter. Die Mediadaten weisen 133.000 Page Impressions pro Monat aus. Nicht die Welt, aber für weniger als 50.000 Euro eigentlich ein Schnapper. Nach dem Verkauf der Intergenia-Hosting-Sparte an Host Europe heißt der neue Eigentümer von Onlinekosten.de Belaxa.
Er vermarktet Basicthinking wie ein ganz normales Online-Medium. Werbekunden können Sponsored Posts kaufen - auf Wunsch auch mit ausgeschalteter Kommentarfunktion und automatischer Wiedererwähnung ein paar Tage nach der Erstveröffentlichung. Daneben gibt es auch ganz normale Banner. Bei Redaktionsschluss warb zum Beispiel Adobe für seine Marketing Cloud.
Newsletter als Werbeform
Von einer anderen Seite loten derzeit der Münchner E-Mail-Marketing-Spezialist Agnitas und der Elektronik-Versender Conrad aus Hirschau das Thema Content-Marketing aus. Conrad setzt bereits seit Jahren - im Rahmen seines Content-Marketings - intensiv auf Newsletter als Werbeform und versendet über Agnitas Millionen von Werbe-Mails mit aktuellen Angeboten. Dazu gesellt sich jetzt ein Tech-Ticker, den Agnitas in Abstimmung mit seinem Kunden erstellt. Die Inhalte lassen die Münchner von einem eigens installierten Redaktionsbüro in den USA schreiben.
Das Ziel beschreibt Agnitas-Vorstand Helmut Kunkel so: "Wir wollen die ersten im Postfach der Empfänger sein, deshalb geht der Newsletter auch morgens um Viertel nach fünf raus." Redakteure schlafen zu der Zeit noch - zumindest wenn ihr Schreibtisch in Deutschland und nicht in Amerika steht. Die Inhalte sind ganz auf die Interessen eines typischen Conrad-Kunden abgestimmt: Technik, Gadgets, ein wenig Klatsch. Werbung für die Angebote des Versandhändlers werden in diesem Morgen-Newsletter bewusst vermieden.
In einer ersten Phase testen die Partner den neuen Newsletter vor allem an inaktiven Bestandsadressen, die zwar den normalen Conrad-Newsletter schon bekommen, auf diesen jedoch nicht reagieren. Die Ergebnisse geben Anlass zu Optimismus: Die Öffnungsrate des redaktionellen Newsletters ist deutlich höher als die der Werbezusendungen. Und Kunkel fügt hinzu: "Wir haben festgestellt, dass die Empfänger, die den Morgen-Newsletter nutzen, auch den normalen Newsletter wieder stärker beachten."
Content-Marketing oder Schleichwerbung?
Ob sich Content-Marketing am Ende des Tages lohnt, ist schwer zu messen. Sogar Red Bull wird es nicht leicht fallen, die direkten Auswirkungen des Stratosphären-Sprungs von Felix Baumgartner, den Red Bull finanzierte und medial ausschlachtete, auf den Getränkeverkauf zu benennen. Manchmal geht es aber auch einfach nur darum, der Zielgruppe ein gutes Gefühl zu geben. So wird die Bahn nicht müde, bei ihren Kunden darauf hinzuweisen, dass Bahn fahren Zeit schenkt, die man beim Autofahren nicht hätte.
Gemeinsam mit der Burda-Content-Vermarktungsschmiede C3 lanciert die Bahn jetzt Informationsformate, die genau dieses Thema aufgreifen - von der Infografik über Zeitmanagement im "Focus" über die Unterhaltungstipps in "TV Spielfilm" bis hin zu einem Wettbewerb in der "Freundin", bei dem Handarbeiten prämiert werden, die die Leserinnen im Zug gemacht haben. Das ist - dogmatisch betrachtet - einerseits sehr, sehr nahe an der Schleichwerbung. Andererseits ist es aber genau das, was gelungenes Content-Marketing ausmacht. Denn in dieser Disziplin gilt in jedem Fall: Auf den Inhalt kommt es an.