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Nicht nur in der Bibel gibt es Todsünden, etwa den Stolz und die Völlerei. Auch bei der Gestaltung des Nutzererlebnisses in Onlineshops schleichen sich Todsünden ein. Fünf User-Experience-Experten erklären, wo die größten Fehlerquellen liegen - und worauf Unternehmen achten sollten, um nicht in der UX-Hölle zu landen.

Towa
Tanja Schwarzenbacher, Creative Director bei Towa
"Ein großes Übel: überladene Flächen"
Zu den Top 3 der schlimmsten UX-Todsünden gehört der Stolz: Als UX-Experten verstehen wir unser Handwerk und sind stolz auf umgesetzte Projekte. Dieser Stolz wird uns zum Verhängnis, wenn wir glauben, nicht mehr genauer hinsehen zu müssen, und dem Irrtum erliegen, das Wissen über die User Experience gepachtet zu haben. Es braucht jedes Mal aufs Neue Research und den Austausch mit Usern und anderen Experten. Auch die Völlerei ist eine Sünde: Die Wurzel vielen Übels ist das Überladen von Oberflächen. Immer mehr Funktionen, Ansichten und Interaktionsmöglichkeiten werden ohne Maß und Ziel in Interfaces gepresst. Besonders in mobilen Ansichten gilt das Credo: Weniger ist mehr. Nummer drei ist die Wollust: Täglich sind wir neuen, trendigen Features und Designrichtungen ausgesetzt, die darauf warten, ausprobiert zu werden. Dieser Verführung sollten UX-Designer jedoch nicht unreflektiert nachgeben. Denn nicht jeder Trend ist für jeden Zielmarkt geeignet.

Sanmiguel.io
Hans Albu Sanmiguel, Geschäftsführer von Sanmiguel.io
"Blick über den digitalen Tellerrand werfen"
Ohne Sünden kein Learning! Fehler im UX-Prozess zu machen und damit auch mal was zu riskieren gehört irgendwie dazu. Dennoch gibt es natürlich ein paar Faktoren die grundlegend beachtet werden müssen, damit der Zauber von UX auch seine volle Wirkung entfalten kann. Für uns gehört da vor allem die ganzheitliche Betrachtung der User Journey dazu. Bei der Entwicklung einer UX-Strategie lohnt es sich immer einen Blick über den (digitalen) Tellerrand zu werfen und die Zielgruppe einmal bei ihrer gesamten Reise zu begleiten. Die beginnt beispielsweise bei einer E-Commerce Seite nicht erst mit der Startseite und endet mit dem Absenden der Bestellung. Von den ersten Berührungspunkten, z.B. über einen Flyer oder Instagram Ads, bis hin zu der Verpackung der gelieferten Bestellung oder dem Ablauf einer möglichen Retoure spielt alles in die User Experience hinein und hat Einfluss darauf, mit welchen Emotionen der User die entsprechende Marke verbindet.

denkwerk
Marco Zingler, Geschäftsführer von Denkwerk
"Nicht an Nutzer-Research sparen"
Bei der User Experience geht es darum, wie unsere tatsächlichen Zielnutzer die Seite erleben, nicht darum, was Stakeholder vermuten oder irgendwelche Menschen, die man zufällig kennt. An Nutzer-Research zu sparen und stattdessen alleine auf Hypothesen zu setzen, die man weder quantitativ noch qualitativ belegen kann, ist definitiv eine der Todsünden der UX. Und nicht jede Methode, die irgendwo schon mal funktioniert hat, funktioniert auch im Kontext der aktuellen Fragestellung. Sich von überholten Paradigmen zu trennen, kostet Mut, zahlt sich aber in besseren und individuell passgenauen Ergebnissen aus. Limitierende Faktoren, wie Budget, Zeit oder Motivation, bringen zudem selten eine umfängliche und 120-prozentige User Experience hervor. Jeder tut gut daran, einen Marathon nicht mit einem Sprinter zu besetzen, sondern den Staffelstab sinnvoll weiterzureichen und alle Läufer und Läuferinnen mit dem Nötigen auszustatten.

Digitas Pixelpark
René Welter, Creative Director UX bei Digitas Pixelpark
"User müssen im Mittelpunkt stehen"
Die ultimative Todsünde steckt bereits direkt im Thema selbst. Es geht um User! Und genau die werden gerne und oft vergessen. Dabei sind sie diejenigen, für die man letztlich ein Produkt oder einen Service gestaltet. Und genau sie müssen im Mittelpunkt stehen. Werden sie nicht abgeholt, integriert und auf die gemeinsame Reise mitgenommen, ist die „Experience“ schlecht und damit findet das Konzept, die Idee, die hinter User Experience steckt, schlicht nicht statt. In zu vielen Unternehmen steht zwar „Nutzerzentrierung“ auf der Agenda, ist aber in Wahrheit keine gelebte Realität. Zu häufig wird die Expertise von Abteilungen wie IT, Marketing oder Vertrieb noch als ausreichend betrachtet, um vermeintliche Nutzerzentrierung zu erreichen. Wer jedoch nur einmal an Nutzertests teilgenommen hat, weiß, wie erbarmungslos das Urteil von Nutzern und Nutzerinnen ist, und weiß auch, wie gleichermaßen wertvoll qualitative Aussagen in Kombination mit quantitativen Analysen sind.

Oddity
Henrik Koppmann, Executive Creative Director bei Oddity
"Schlechte UX provoziert Störgefühl"
Wenn UX die Erlebbarkeit einer Marke bedeutet, dann ist UX Design einer der Schlüssel zu all den positiven Erfahrungen, wir als Nutzer:innen mit ihr machen können. Aber genau darin liegt auch die Herausforderung. Gutes UX Design ist subtil, schlechtes dagegen provoziert umgehend Störgefühle, die unterbewusst auch schnell mit der Marke verbunden werden. Beispiel Länderauswahl: Das Drop-down-Menü öffnet sich, zeigt mir alle Länder dieser Welt in alphabetischer Reihenfolge und zwingt mich damit förmlich dazu, über einen Umzug nach Australien nachzudenken. Aber UX ist mehr als UX Design. Sie basiert auf einigen wichtigen Prinzipien. Angefangen bei einer klaren Informationshierarchie über Konsistenz, etwa was die Funktionalität von Apps und Webseiten angeht, bis hin zum Thema Accessibility. Überhaupt ist Barrierefreiheit vielleicht sogar der wichtigste Aspekt. Denn eine UX, die Menschen ausschließt, hat den Namen doch gar nicht verdient.
Mehr zum Thema User Experience lesen Sie in Ausgabe 12/2021 der INTERNET WORLD BUSINESS. Premium-Plus-Abonnenten haben das Heft bereits zugesandt bekommen. Digital-Plus Abonnenten können die Ausgabe auch digital in unserem Heftarchiv lesen.