
Programmatic Advertising Das steckt hinter Bid Shading
Viele Demand-Side-Plattformen waren nicht darauf eingestellt, dass die Supply Side auf ein Erstpreisauktionsmodell umgeschwenkt hat. Ihre Antwort darauf: Bid Shading.
Die mit englischen Fachausdrücken nicht geizende Programmatic-Advertising-Branche ist seit Kurzem um einen weiteren Begriff reicher: Bid Shading. So verkündete kürzlich die Supply-Side-Plattform Rubicon Project in einer Pressemitteilung, dass die Omnicom Media Group Germany die "Supply-Side Bid-Shading"-Lösung des Unternehmens einsetze.
Das englische Wort "shade" heißt übersetzt "Abstufung" oder "Schattierung". Das entsprechende Adjektiv "shady" heißt auf deutsch "schattig", hat aber auch die Konnotation "zwielichtig". Wenn nun Demand-Side-Plattformen und jüngst auch Supply-Side-Plattformen "Bid Shading"-Technologien anbieten, heißt das dann, dass die Preisfindung im Programmatic Advertising zwielichtiger, weil intransparenter wird? Oder ist damit einfach nur die Abstufung des Gebotspreises gemeint? Wir haben uns bei Adtech-Anbietern umgehört, was Bid Shading bedeutet und wer welches Tool dafür anbietet.
Auslöser: Wechsel zu First-Price-Auktionen
Im Lauf des vergangenen Jahres hat sich das Auktionsverfahren im automatisierten Verkauf von digitalen Werbeplätzen geändert. "Der programmatische Werbeeinkauf basierte bis vor circa einem Jahr auf Second-Price-Auktionen", blickt Melanie Mura, Manager Agencies & Marketers bei Appnexus, zurück. Seitdem wechselten viele Supply-Side-Plattformen und Ad Exchanges zu einem First-Price-Auktionsmodell.

Melanie Mura, Manager Agencies & Marketers bei Appnexus
Appnexus
Der Unterschied: Während bei einer Second-Price-Auktion der Höchstbietende gewinnt, jedoch nur den Preis des zweithöchsten Gebots plus einem Cent zahlt, ist bei einer First-Price-Auktion der Preis fällig, der auch geboten wurde. "Um auf der Seite der Media-Einkäufer sicherzustellen, dass nicht zu viel geboten wird, wurde Bid Shading implementiert", erklärt Mura.
Die Technologie dient dazu, den besten Angebotspreis in einer Erstpreisauktion zu bestimmen. Wo liegt der Preispunkt, mit dem eine Auktion gewonnen wird, ohne dass für den Werbekontakt mit einem Nutzer zu viel bezahlt wird? "Bid Shading bewahrt die Einkäufer davor, in First-Price-Auktionen zu viel für Werbeplatzierungen zu zahlen, und hilft gleichzeitig, eine ausreichende Reichweite zu generieren", sagt Mura.
Denn durch die Umstellung auf die Erstpreisauktion mussten die Käufer auf einmal raten, wie hoch der tatsächliche Wert eines Werbekontakts ist. Das führte dazu, dass viele Werbungtreibende zu teuer einkauften. Die weitere Folge: Die Nachfrage nach digitalen Werbeplätzen ging bei dem einen oder anderen Publisher zurück. "Viele Demand-Side-Plattformen waren auf die Entwicklung von der Second- auf die First-Price-Auktion nicht eingestellt", beobachtet Carol Starr, Managing Director Northern Europe bei Rubicon Project.
Appnexus habe schon vor dem Sommer 2018, als sich die ersten Publisher mit der First-Price-Auktionslogik auseinandergesetzt haben, an einer automatisierten Bid-Shading-Technologie für Werbungtreibende gearbeitet, berichtet Mura.
"Bid Price Optimization" bei Appnexus
Die Technologie dafür heißt bei Appnexus "Bid Price Optimization". Der Bid-Shading-Algorithmus greift auf historische Gebotswerte zurück. Wie viel wurde in der Vergangenheit für eine Werbeplatzierung gezahlt? Die Appnexus-Technologie analysiert fortlaufend die Gebote und vergleicht sie, um den optimalen Preis für jede Auktion zu finden, erläutert Mura. Zusätzlich werden weitere Datenpunkte wie die Tageszeit, die Anzeigengröße oder bestimmte Wettbewerbsdynamiken hinzugezogen.
Die Demand-Side-Plattform (DSP) Mediamath setzt ebenfalls eine Bid-Shading-Technologie ein. Dem Unternehmen zufolge kann Bid Shading verhindern, dass Käufer bei First-Price-Auktionen deutlich mehr für eine Impression bezahlen als bei Second-Price-Auktionen. Die Funktion soll für Preise sorgen, "die für die Supply wie auch die Demand Side fair und angemessen sind", erläutert Sara Skrmetti, Product Lead bei Mediamath. "DSP verwenden Bid Shading, um die Angebotspreise in First-Price-Auktionen zu senken, wenn sie davon ausgehen, dass bestimmte Impressions voraussichtlich zu einem niedrigeren Betrag versteigert werden, als sie theoretisch wert sind", ergänzt sie. Bei Erstpreisauktionen sei Bid Shading notwendig, da aktuell die Marktpreise noch überhöht seien. Die Technologie kommt in offenen Auktionen und teilweise auch bei Private Deals zum Zug. "Für uns ist das eine Standard-Funktionalität", sagt Sara Skrmetti. Mediamath berechnet keine zusätzlich Gebühr für die Bid-Shading-Technologie.
"Predictive Clearing" bei The Trade Desk

Lukas Fassbender, General Manager DACH, The Trade Desk
The Trade Desk
Lukas Fassbender, General Manager für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei The Trade Desk, findet die Bezeichung "Bid Shading" nicht gut gewählt. Denn es deutet darauf hin, dass Gebote kaschiert werden. "Unser Tool heißt 'Koa Predictive Clearing', weil es dem Käufer hilft, eine Vorhersage über den Zuschlagspreis, den Clearing Price, zu fällen", gibt Fassbender Auskunft.
Dazu greift die Technologie auf aggregierte historische Daten zu: Um welches Anzeigenformat handelt es sich? Um welche Domain und welchen Publisher? Über welche Supply-Side-Plattform wird die Impression angeboten? Die Kunst bei Predictive Clearing sei, nicht die Reichweite zu verringern, wenn der Preis für das Gebot reduziert wird, erklärt Fassbender.
Jeder Kunde könne entscheiden, ob er "Predictive Clearing" einsetze. Aktiviert ein Kunde das Feature und wird damit Geld gespart, macht The Trade Desk das dem Kunden gegenüber transparent. Die Funktion kostet zusätzlich. The Trade Desk nimmt 20 Prozent des eingesparten Betrags als Gebühr, wenn das Gebot erfolgreich war.
"Optimized Fixed CPM Bidding" bei Google
Googles Version von Bid Shading in "Display und Video 360" der Google Marketing Plattform heißt "Optimized Fixed CPM Bidding". Display und Video 360 analysiert die verfügbaren Informationen der Auktionen wie eingehende Bid-Requests, Antworten darauf und Clearing-Preise. Der Clearing-Preis ist der Preis, zu dem der Auktionsgewinner den Zuschlag erhält. All diese Daten fließen in ein proprietäres Machine-Learning-Modell ein, um die Auktionsdynamiken zu erkennen. Diese Information speist dann den Algorithmus für die Gebotsabgabe.
Iponweb betreibt eine Infrastruktur für Realtime Bidding und hat den Dienst "Optimal Price Discovery" für Demand-Side-Plattformen entwickelt. Das Versprechen an die Käuferseite lautet: Diese Bid-Shading-Lösung hilft, die Mediakosten zu verringern. Unternehmen auf der Einkäuferseite, die das Tool verwenden, sehen zwischen 15 und 30 Prozent geringere Mediakosten, berichtet Iponweb.
Iponweb analysiert die Gebotsdaten per Machine Learning. Damit Bid Shading gut funktioniert, seien große Datenmengen dieses Bid Streams notwendig, so das Unternehmen. Die "Optimal Price Discovery"-Engine lasse sich mit jeder Demand-Side-Plattform verbinden, die das OpenRTB-Protokoll verwendet. Die Lösung reduziert Gebote und sendet sie zurück an die Supply-Side-Plattformen. Aktuell verwenden dem Unternehmen zufolge zwischen 40 und 50 Demand-Side-Plattformen die Optimal-Price-Discovery-Lösung von Iponweb. Mit A/B-Testing überwacht das Unternehmen, wie genau und wie wirksam die Gebotsoptimierung ist.
"Estimated Market Rate" bei Rubicon Project

Carol Star ist Manageing Director Northern Europe bei Rubicon Project
Rubicon Project
Dass Demand-Side-Plattformen (DSP) Bid Shading verwenden, um die Gebotspreise in First-Price-Auktionen zu senken, leuchtet ein. Denn sie wollen im Interesse der Käuferseite so günstig wie möglich einkaufen. Deshalb ist es auf den ersten Blick überraschend, dass die Supply-Side-Plattform Rubicon Project Anfang Mai 2019 die Bid-Shading-Lösung "Estimated Market Rate" vorgestellt hat. "Wir haben einen anderen Blick auf Gebote, denn wir sehen die tatsächlichen Bietpreise der verschiedenen DSP", erläutert Carol Starr von Rubicon Project. Die Demand-Side-Plattformen hingegen sehen nur ihre eigenen historischen Daten. Widerspricht es nicht den Interessen der Publisher, der Käuferseite zu signalisieren, zu welchem niedrigeren Preis sie den Werbekontakt gewinnen können? Nein, meint Starr, denn es gehe darum, dass die Buyer zum Marktwert einkaufen. Sonst werde es für sie zu teuer, weil sie zu hoch bieten. "Langfristig ist es gut für die Publisher, weil wir die Budgets für sie sichern", so Starr.