
Spiegel-Chefredakteur Müller von Blumencron über das digitale Zeitalter "Unterhaltung ist kein Verbrechen"
Welche Macht haben Medien im digitalen Zeitalter? Spiegel-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron sprach heute auf dem Innovationstag der Agentur Serviceplan in München über das Internet als vierte Gewalt, die Auseinandersetzung mit den Usern und den Wert von ein bisschen Amüsement.
Das Internet ist allgegenwärtig geworden - ist es schon eine vierte Gewalt? "Dass das Internet zur vierten Gewalt wird, glaube ich nicht. Es ist nur eine Technologie, mit der wir Sinnvolles und eine Menge Unsinn machen können. Es hat seine dunkle Seite - und es hat seine faszinierende Seite", sagte Müller von Blumencron.
Als Auslöser der Umbrüche in Nordafrika sieht er das Web nicht. "Medien sind machtvolle Verstärker, sie geben den Menschen ihre Stimme, aber sie lösen keine Revolution aus, wenn keine Wut da ist." Es zählten die Menschen, die übers Internet agierten. Die niedergeschlagenen Aufstände im Iran vor zwei Jahren zeigten, dass die Verbindung übers Internet noch kein Erfolgsgarant sei, wenn ein Regime zu allen Mitteln greife.
"Das Publikum ist anspruchsvoller geworden. Wir müssen uns mehr mit unseren Lesern auseinandersetzen und auf ihre Bedenken eingehen. Das zu lernen, war ein schmerzhafter Prozess", gibt der Spiegel-Chefredakteur zu. Medien sei es früher schwer gefallen zuzugeben, dass auch Fehler passieren können. "Man muss offen mit seinen Fehlern umgehen, das ist eine Notwendigkeit, um in dieser Zeit Erfolg zu haben. Es macht auch Spaß, sich mit den Lesern auseinanderzusetzen, weil es auch Anregungen gibt." Dieser Dialog sei durch das Netz entstanden.
Die Kooperation des Spiegels mit Wikileaks hält Müller von Blumencron weiterhin für journalistisch gerechtfertigt. Schließlich habe der Spiegel nur aus den Dokumenten zitiert. Allerdings sei Wikileaks nach der Veröffentlichung "in Unordnung geraten", so Müller von Blumencron. "Es gab Streit zwischen den Mitarbeitern und Dokumente begannen zu vagabundieren." Mit der Veröffentlichung in den vergangenen Wochen habe der Spiegel nichts mehr zu tun.
Gibt es durch das Internet einen gesteigerten Sensationsbedarf? "Sensationsbedarf klingt so negativ. Wir nutzen die Möglichkeit, übers Web schneller zu publizieren." Schnelle News seien jedoch nicht alles. "Wenn wir uns nur auf diese kurzen Informationen konzentrieren, würden wir verlieren. Eine große Chance für die Medien ist es, Hintergründe zu erklären."
Obwohl sich der Spiegel als Nachrichtenmagazin definiere, spielten auch bunte Themen eine wichtige Rolle - vor allem im Web. "Unterhaltung ist kein Verbrechen. Die meisten unserer Leser arbeiten hart und möchten sich zwischendurch amüsieren." Entscheidend sei, in welcher Menge Entertainment-Elemente veröffentlicht würden, erklärt Müller von Blumencron. "Wer will schon den ganzen Tag nur Schwarzbrot essen?"