
Interview mit Virtual Minds Gegen Google und Facebook: Konkurrenz um Werbebudgets
Andreas Kleiser, Sprecher des Vorstands, Virtual Minds
Andreas Kleiser, Sprecher des Vorstands, Virtual Minds
Im Interview skizzieren die Vorstände von Virtual Minds die Entwicklung im Programmatic TV und beschreiben, wie sie ihr Unternehmen aufstellen, damit die Werbebudgets künftig nicht nur zu Google und Facebook wandern.
Das digitale Werbegeschäft wird von US-Playern beherrscht, dennoch bieten einige deutsche Unternehmen den amerikanischen Anbietern die Stirn, beispielsweise die Virtual Minds AG. INTERNET WORLD Business hat mit den Vorständen Andreas Kleiser und Joachim Schneidmadl über Zukäufe, Wettbewerber und das Verhältnis zu dem Investor ProSiebenSat.1 gesprochen.
In den ersten drei Monaten des Jahres hat es bei den Unternehmen der Virtual-Minds-Gruppe einige Übernahmen gegeben. Zum Beispiel hat die Holding im Januar 2017 den Data-Management-Spezialisten The Adexchange übernommen. Im Februar hat sich der Adserver-Anbieter Adition Mov.ad einverleibt. Welches Ziel verfolgen Sie mit diesen Übernahmen?
Andreas Kleiser: Wir verfolgen bei Virtual Minds seit jeher ein sehr ausgeprägtes Beteiligungs- und Übernahmegeschäft und fahren eine zweigleisige Strategie. Zum einen entwickeln wir Unternehmen selbst, zum anderen beteiligen wir uns in frühen Phasen an Unternehmen. Wenn wir sehen, dass sie "funktionieren" und in ihrer DNA zu uns passen, kaufen wir sie. Die Übernahmen von The Adex durch Virtual Minds und von Mov.ad durch Adition waren nicht die letzten Transaktionen. Wir sehen eine deutliche Konsolidierung im Adtech-Markt, eine Konzentration zu großen Technologie-Stacks. Am Ende werden nur einige wenige Player übrigbleiben.

Joachim Schneidmadl, Vorstand Virtual Minds
Virtual Minds
Joachim Schneidmadl: Wir erwerben dabei nie nur ein Unternehmen an sich, sondern sichern uns vor allem immer spezielles Know-how und starke Teams. Mit Mov.ad beispielsweise erweitern wir Adition konsequent in die Bereiche Rich Media und Videostreaming. Bei The Adex waren wir seit Gründung beteiligt, haben das Unternehmen begleitet und mitentwickelt und alle Phasen gesehen, die ein Start-up typischerweise so durchmacht. Wir hatten das Unternehmen 2013 mit auf den Markt und schnell in Wachstum gebracht. Dann kam genau durch das rasante Wachstum eine schwierigere Phase, aber als wir gesehen haben, dass The Adex die Herausforderungen im Griff hatte und das Geschäftsmodell erfolgreich skalierte, war für uns der richtige Zeitpunkt für die Übernahme. Zum einen, weil es strategisch wichtig ist, eine eigene Data-Management-Plattform im Portfolio zu haben und in unseren Technologie-Stack zu integrieren, zum anderen weil wir gesehen haben, dass The Adex mit seinem Management, Team und seiner Entwicklung gut zu uns passt.
Die Virtual-Minds-Tochter Myloc Managed IT hat im Februar das fünfte Rechenzentrum gekauft. Laufen die Ad-Technologie-Lösungen der Töchter von Virtual Minds in ihren eigenen Rechenzentren?
Kleiser: Der Kauf eines weiteren Rechenzentrums war ein Infrastrukturthema. Wir wachsen nicht nur im Adtech-Bereich, sondern auch im Hosting-Bereich. Die Ad-Technologie-Firmen von Virtual Minds sind große Kunden von Myloc, aber natürlich nicht die einzigen. Myloc vermietet Rechenzentrumskapazitäten unter anderem auch an andere Adtech-Unternehmen und wächst seit Jahren enorm. Die Nachfrage nach digitaler Infrastruktur - ob für unsere eigenen Angebote oder für Dritte - steigt stetig, und dafür stellen wir uns auf.
Schneidmadl: Über ein eigenes großes Rechenzentrum in Deutschland zu verfügen bietet uns zahlreiche Vorteile, besonders im Hinblick auf Flexibilität, Skalierungsgeschwindigkeit und Kontrollmöglicheiten. Zum einen sind die Server unserer Adtech-Firmen, die lösungstechnisch immer enger zusammenarbeiten, über interne Leitungen im Rechenzentrum verbunden, so dass wir auch in der Auslieferung schneller sind. Zum anderen, und das ist ganz entscheidend, behalten wir und unsere Kunden so bis in die letzte Instanz die Hoheit und die Kontrolle über die Daten. Darüber hinaus können wir hard- und softwaremäßig auf der Basis unserer Infrastruktur viel experimentieren: Als weltweit einer der größten Partner von Hewlett Packard haben wir Zugriff auf neue Server-Generationen und -Technologien, lange bevor sie auf den Markt kommen. Damit sichern wir uns einen Wissensvorsprung und können frühzeitig wertvolle Optimierungspotenziale ausschöpfen.
Wie hat sich der Umsatz bei der Virtual Minds AG entwickelt?
Kleiser: Wir nennen keine konkreten Umsatzzahlen. Konsolidiert in der Gruppe erwirtschaften die Unternehmen der Virtual Minds AG einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Wir wachsen konstant im mittleren zweistelligen Prozentbereich. Ein Wachstum in dieser Größenordnung halten wir für gesund.
Was werden Ihre nächsten Zukäufe sein?
Kleiser: Wir arbeiten permanent an M&A-Themen Bei dieser Frage vergleiche ich uns aber immer gerne mit dem SC Freiburg: Wenn ein guter, talentierter junger Spieler auf dem Markt ist und der Verein mit ihm verhandelt, muss man sehr darauf bedacht sein, dass das nicht zuviel Wind verursacht und kein großer Club ihn vom Markt kauft. Deswegen will ich dazu nicht mehr sagen.
Künstliche Intelligenz gewinnt an Relevanz
Aber Sie können zumindest benennen, in welchen Bereichen Sie sich umsehen.
Kleiser: Im weitesten Sinn im Bereich Analyse, da Daten und Datenintelligenz im digitalen Werbegeschäft bereits heute ein zentraler Faktor sind und Themen wie künstliche Intelligenz künftig immer weiter an Relevanz gewinnen werden.
Was fehlt denn noch in Ihrem Portfolio?
Schneidmadl: In unserem Adtech-Stack versuchen wir natürlich, die gesamte Wertschöpfungskette digitaler Werbung abzudecken - alle Formate, alle Kanäle, alle Endgeräte. Dafür wollen wir die technologische Auslieferungsstrecke und die relevanten Daten- und Analysesysteme liefern. Aktuell liegt ein Fokus darauf, TV programmatisch abbilden zu können.

INTERNET WORLD Business
Digitale Bewegtbildwerbung wächst stark und das Medienhaus ProSiebenSat.1 Group ist mit 51 Prozent an der Virtual Minds AG beteiligt ist. Kein Wunder also, dass Sie einen starken Fokus auf Video und Bewegtbild haben. Was gab den Ausschlag für die Beteiligung des Medienkonzerns an Virtual Minds?
Kleiser: Das Ziel ist, in Europa eine eigenständige, neutrale Adtech-Plattform zu etablieren, um die technologische Unabhängigkeit von den großen US-amerikanischen Playern sicherzustellen. Das war auch genau der Punkt, an dem wir zusammengefunden haben. Wir wollten einen Shareholder, der auf unabhängige Technologie baut und diese Idee mit uns weitertreibt und langfristig weiterentwickelt, weil der deutsche Markt ansonsten in Abhängigkeitsverhältnisse gerät, die eigentlich niemand haben möchte.
Wie unabhängig sind denn die Unternehmen der Virtual-Minds-Gruppe noch, wenn ProSiebenSat.1 die Hälfte der Anteile besitzt?
Kleiser: Sehr unabhängig. Das haben wir in unserem Geschäftsinteresse und damit letztlich auch im Interesse aller unserer Shareholder sichergestellt. Und wir haben ja nicht nur einen großen Anker-Shareholder, sondern drei Shareholder-Gruppen: die "Alt-Shareholder", United Internet mit 25,1 Prozent und ProSiebenSat.1 mit 51 Prozent.
Schneidmadl: Die Virtual Minds ist eine AG, das heißt der Vorstand führt das Geschäft und wir müssen zum Wohl der Firma agieren, nicht im Interesse einzelner Gesellschafter. Das Ziel unserer Gesellschafter war und ist unverändert, einen neutralen, allen Marktteilnehmern offenstehenden Player im Adtechnologie-Markt als Gegengewicht zu den Walled Gardens der US-Plattformen zu erhalten. ProSiebenSat.1 hat einen strategischen Bedarf an Adtechnologie für sein Kerngeschäft. Im TV-Markt entsteht gerade einer der größten programmatischen Märkte der Zukunft, auch wenn es vielleicht noch drei bis fünf Jahre braucht, bis sich Programmatic TV durchsetzt. Aber dann ist es ein Milliardenmarkt. An diesem Punkt treffen sich deren Strategie und unsere und zusätzlich die Nachfrage des Marktes. Aber es gab nie und von keiner Seite Bestrebungen, an unserer Unabhängigkeit etwas zu ändern.
Wechsel der Adserving-Technologie bei Pro Sieben Sat1
Setzt ProSiebenSat.1 eigentlich selbst die Adserving-Technologie der Virtual-Minds-Gruppe ein?
Schneidmadl: In Österreich und in der Schweiz tun sie das bereits, in Deutschland sind wir dabei, den Wechsel vorzubereiten.
Warum hier noch nicht?
Schneidmadl: Wenn ein Publisher seit zehn oder 15 Jahren einen Adserver nutzt, ist der sehr tief in die eigene Systemlandschaft und die internen Prozesse eingebettet. Entsprechend hoch ist der Aufwand, ihn technisch wieder herauszulösen. Daran wird gerade gearbeitet, und wir werden in absehbarer Zeit noch mehr Technologie an Pro Sieben Sat1 liefern.
Mit Programmatic TV werden auch Targeting und Personalisierung Einzug in die Fernsehwerbung halten. Werden wir dann alle individuelle TV-Werbeslots sehen?
Schneidmadl: Ja. Dazu müssen zwar erst noch die rechtlichen Rahmenparameter angepasst, d.h. insbesondere der Rundfunkstaatsvertrag geändert und die technischen Voraussetzungen - Standards, Endgeräte etc. - in der Breite geschaffen werden. Aber die Entwicklung wird dorthin gehen. Das, was wir heute im Internet an Struktur üben, wird irgendwann in fünf bis zehn Jahren auf dem Big Screen im Wohnzimmer die Normalität sein.
Wird uns dann im Fernsehen die Werbung des lokalen Geschäfts verfolgen, in dem wir vorher waren und Schuhe oder Hosen anprobiert oder vielleicht auch gekauft haben?
Schneidmadl: Ja, das wird mit Sicherheit passieren. Die Frage dabei ist nur: Wer setzt es um und wer macht das Geschäft? Denken Sie beispielsweise an Amazon: Der Retailer hat Nutzerdaten, verkauft Produkte und hat ein Streaming-Angebot. Sicher ist: Die Werbegelder werden sich dorthin verlagern, wo die Nutzer am effizientesten angesprochen werden können. Wir müssen endlich anfangen, in der Wahrnehmung von Unternehmen mit gleichem Maß zu messen. Oft wird bei US-amerikanischen Unternehmen etwas akzeptiert bzw. für toll befunden, wofür deutsche Unternehmen kritisiert werden.
Kleiser: Hier, beim Thema Daten und Infrastruktur schließt sich der Kreis wieder. Wir arbeiten nach deutschem und europäischem Datenschutzrecht, das heißt, hier habe ich als Nutzer ein hohes Maß an Kontrolle, was mit meinen Daten geschieht. Amazon, Google und Facebook können mit ihren Login-Daten und den Datenmengen, die sie haben, nicht nur Personen identifizieren, sie machen es auch, sprich sie verknüpfen Verhalten mit realen Personen. Hier müssen wir den Rahmen schaffen, dass deutsche und europäische Firmen gleichermaßen agieren können und dies auch vom Nutzer akzeptiert wird.
Wie nehmen Sie Amazon als Vermarkter wahr?
Schneidmadl: Laut Schätzungen in der Branche dürfte Amazon im Digitalbereich inzwischen der drittgrößte Vermarkter in Deutschland sein. Das Vermarktungsteam soll um die 100 Mitarbeiter groß sein. Im Suchmaschinenmarketing sind sie bereits eine sehr starke Nummer 2 hinter Google. Amazon betreibt ein extrem erfolgreiches Retargeting-Geschäft und bietet in einer eigenen Demand Side Plattform Nutzerdaten an. Interessanterweise wird das Unternehmen trotzdem nicht als Vermarkter wahrgenommen.
Im Februar hat die Ströer Digital Group verkündet, künftig einheitlich die Adserving-Technologie von Google Doubleclick einzusetzen. Wie schmerzhaft ist so eine Entscheidung für die Virtual-Minds-Tochter Adition?
Schneidmadl: Mich wundert es, dass Ströer auf den Google-Tech-Stack setzt, da sie die Marktentwicklung ähnlich einschätzen wie wir und eigentlich auch auf die Hoheit über ihre eigene Wertschöpfungsstrecke bedacht sind. Diese Entscheidung muss man aber vermutlich weniger als Änderung ihrer Technikstrategie, sondern eher aus dem operativen Blickwinkel heraus betrachten. Ströer hat zuletzt ja die Vermarkter Interactive Media, OMS und mehrere weitere Angebote zugekauft. Die Technik von allen Assets unter einen gemeinsamen Hut zu bringen, ist sicherlich eine Herausforderung, bei der letztlich wohl auch der operative Aufwand einer Systemvereinheitlichung mitentscheidend war.
Kleiser: Wir finden es schade, weinen aber nicht darüber. Letztlich wissen wir alle, dass die eigentlichen Mitbewerber nicht in Deutschland sitzen. Dazu muss man über den großen Teich schauen: Google, Amazon und Facebook sind die Konkurrenz. Ströer treibt die Konsolidierung des Marktes wesentlich voran. Vor diesem Hintergrund ist das aus meiner Sicht ein Spiel mit dem Feuer.
Kombination aus Reichweite, Media, Daten und Technik gewinnt
Wie positionieren Sie sich in diesem Markt?
Schneidmadl: Wenn wir sagen, dass wir Appnexus oder Adform gar nicht als unsere Wettbewerber sehen, wundern sich viele. Die Erklärung ist einfach: Der Wettbewerb dreht sich darum, wohin künftig die Mediabudgets fließen werden. Heute gehen schon 20 Prozent des weltweiten Werbebudgets zu Google und Facebook - Tendenz stark steigend. Wir warten noch darauf, dass Amazon, Apple oder zum Beispiel Alibaba richtig loslegen. Was sind die Treiber dieser Entwicklung? Reichweite, Media, Daten, Technik und ein starker Vertrieb - in Kombination. Dieses Gesamtpaket saugt immer mehr Geld von den klassischen Publishern und Medien weg.
Was wollen Sie dem entgegensetzen?
Schneidmadl: Mit der Frage, wie man Werbebudgets anzieht, damit sie nicht zu Google oder Facebook wandern, werden sich primär alle Publisher beschäftigen müssen. Auch die TV-Budgets werden früher oder später abwandern. Print- wie auch TV- und die Publisher anderer Mediengattungen müssen sich darum kümmern, äquivalente Angebote aus reichweitenstarken Medienangeboten, Daten und Technik zu schaffen und diese mit entsprechender Sales-Power in den Markt zu bringen. An diesem Punkt schließen wir uns mit unseren Gesellschaftern und unseren strategischen Kunden zusammen: Wir stellen dafür die Technik zur Verfügung und bündeln in ihr Reichweite, Media und Daten. Auf unserer Supply-Side-Plattform Yieldlab bspw. wird heute bereits ein Großteil des Inventars der Top-Publisher in Deutschland angeboten. Seit letztem Jahr haben wir in unsere Technologie-Plattform Programmatic Adressable TV integriert. Das ist der Weg, den wir gehen wollen: In unsere Tech-Strecke immer mehr reichweitenstarke Media- und Datenprodukte für unsere Kunden zu integrieren, um hier langfristig ein Äquivalent und eine Alternative zu den US-Playern zu bieten.
Zum Schluss noch ein Themenwechsel und ein Ausblick: Bis Mai 2018 muss die neue EU-Datenschutzgrundverordnung umgesetzt werden. Wie betrifft das Unternehmen, die Adserving-Technologien anbieten?
Schneidmadl: Das ist für alle Adtech-Unternehmen ein Kernthema, weil es einen Paradigmenwechsel hin zu einem Nutzer-Login- und Opt-In-Regime geben wird. Das ändert grundsätzliche Mechaniken, mit denen der Markt bisher gearbeitet hat. Die genaue Ausgestaltung der Verordnung fehlt noch. Doch es ist absehbar, dass die Art und Weise, wie heute Cookies weiterverarbeitet werden, sich ab Mai 2018 deutlich ändern wird. Wir haben für das zweite Halbjahr 2017 für die mit diesem Thema verbundenen technischen Aspekte Ressourcen eingeplant und ein klares Ziel: Wir wollen die Adtech-Plattform sein, mit der unsere strategischen Kunden und Partner im deutschen bzw. europäischen Markt ihr Media-Technik-Datengeschäft entsprechend den dann geltenden rechtlichen Anforderungen optimal umsetzen zu können. Noch viel mehr als die Adtech-Anbieter betrifft das Thema aber alle Unternehmen, die künftig datengetriebenes Marketing betreiben wollen. Sie müssen für die entsprechenden Opt-Ins sorgen, wenn sie gegen die großen Walled Gardens nicht endgültig ins Hintertreffen geraten wollen.