Die Zustelllogistik ist der Flaschenhals des E-Commerce. Amazon, Zalando und Co. müssen jetzt neue Ideen umsetzen, findet INTERNET WORLD-Autor Matthias Hell.
Geht es um Pilotprojekte für zukünftige Innovationen, ist die Logistikbranche ganz vorn dabei. Jeder der großen Paketdienstleister hat inzwischen sein eigenes Zukunftsprojekt am Start, seien es Zustellroboter, autonom fahrende Lieferautos oder Drohnen, die Pakete künftig aus der Luft direkt vor der Haustür abstellen sollen. Man muss sich jedoch nicht erst mit den Feinheiten der deutschen Luftverkehrsordnung auseinandersetzen, um zu erahnen, dass es noch lange dauern könnte, bis diese Zukunftsvisionen Wirklichkeit werden – sollte es überhaupt je dazu kommen.
Versand- und Zustelllogistik bleibt eine Variable
Fragt man die Paket-Carrier dagegen nach unmittelbar umsetzbaren Plänen für die nähere Zukunft, bekommt man erstaunlich wenig zu hören. Das Lieferauto mit dem eigenen Logo scheint für alle Player unverzichtbar. Und selbst neue Akteure wie die Getränke- und Lebensmittellieferdienste Flaschenpost, Gorillas und Co. bewegen sich in den gleichen eingefahrenen Bahnen. Die Kreativität geht hier gerade noch so weit, dass die
Bestellung per Fahrrad statt mit dem Auto zugestellt wird. Doch an der eigenen Lieferflotte kann und will niemand rütteln. Das mag aus Branding-Gesichtspunkten nachvollziehbar sein, ist jedoch erstaunlich, weil die Letzte Meile anerkanntermaßen der Flaschenhals in der E-Commerce-Wertschöpfungskette ist.
In einer Branche, die weiterhin klar auf Wachstum ausgerichtet ist, bleibt die Versand- und Zustelllogistik eine Variable, die nicht beliebig skalierbar ist. Den Städten droht angesichts einer immer größeren Anzahl von Lieferfahrzeugen der Verkehrskollaps. Dass die Branche mit einem Personalproblem kämpft, merkt man nicht nur an der immer öfter fragwürdigen Qualität der Zustellservices, sondern auch an den sich häufenden Streiks und Protestaktionen der unter höchst prekären Zuständen agierenden Logistikmitarbeiter und Zusteller. Und schließlich ist das System der immer schnelleren, aber stets kostenfreien Zustellung an die Haustür auch ökologisch ein Luxus, den wir uns eigentlich schon längst nicht mehr leisten dürften.
Die Konzepte liegen auf dem Tisch
Statt mit einer Handvoll Paketstationen das System notdürftig zu stützen, braucht es also einen Systemwechsel. Die Konzepte dafür liegen seit geraumer Zeit auf dem Tisch und sind sich auffallend ähnlich: Statt Wettbewerbsdenken und halbvoller Lieferfahrzeuge braucht es die Kooperation der Anbieter und eine smarte Auslastung der bestehenden Lieferkapazitäten.
Die Haustürzustellung – und die damit verbundene hohe Quote von fehlgeschlagenen Lieferversuchen – muss zurückgefahren werden und zum Premiumservice werden. Seit Corona gibt es genug freie Handelsflächen, die als anbieterübergreifende Versand und Abhol-Hubs genutzt werden können. Mit ein bisschen Kreativität lassen sich daraus sogar Nutzungskonzepte erstellen, die für Endkunden, Handel und Immobilienwirtschaft gleich attraktiv sind. Und schließlich muss Schluss sein mit dem Wahnsinn des "Schrei vor Glück oder schick’s zurück": Pakete kosten schon heute etwas, nur werden die Kosten so versteckt, dass es bei den Verbrauchern zu keiner Meinungsbildung kommt. Es braucht einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema Lieferlogistik, damit der E-Commerce weiter nachhaltig wachsen kann. Und es braucht die Großen, die bei dieser Entwicklung vorausgehen. Amazon, Otto, Zalando: Ihr seid gefragt!
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