Auch eine Option - in die Höhe wachsen: 224.000 Quadrameter Lagerfläche, verteilt auf 24 Stockwerke, bietet das Goodman Interlink Logistikzentrum in Hongkong
Auch eine Option - in die Höhe wachsen: 224.000 Quadrameter Lagerfläche, verteilt auf 24 Stockwerke, bietet das Goodman Interlink Logistikzentrum in Hongkong
Same Day Delivery oder frische Lebensmittel: Die für die Logistik benötigten Flächen in Citynähe sind gefragt - und knapp. Die Branche erprobt jetzt neue Konzepte.
Liane hat ein Problem: In ein paar Stunden kommen die Gäste zum Abendessen. Die Marketing-Managerin hat ein italienisches Drei-Gänge-Menü geplant, doch vom Chianti, den ihre Freunde so gern mögen, ist keine einzige Flasche mehr im Haus. Zum Glück gibt es in ihrer Stadt gleich mehrere Lebensmittel-Lieferdienste, die den online bestellten Rebensaft innerhalb von zwei Stunden liefern können. Und weil Liane schon einmal dabei ist: Eigentlich könnte sie für den Abend auch ein neues Cocktailkleid gebrauchen - und weil ihr Lieblingsmodeshop Same Day Delivery offeriert, ist auch die Outfit-Frage schnell per Mausklick geklärt.
Szenarien wie diese sind schon heute keine Utopie mehr. Schließlich liefert Amazon Fresh in Berlin bis 12 Uhr bestellte Lebensmittel noch am gleichen Abend aus, und Zalando bietet in mehreren Städten Same Day Delivery an.
Logistikflächen in Citynähe
Nach einer aktuellen Erhebung des Immobiliendienstleisters CBRE erhöhen die wachsenden Bevölkerungszahlen in den Städten und das neue Konsumverhalten der Millennials den Druck, Produkte und vor allem verderbliche Waren innerhalb enger Zeitfenster in die Städte zu bringen. In Deutschland lassen sich 68 Prozent der Millennials immer oder zumindest häufig Waren bis zur Haustür liefern, so die CBRE-Studie.
Die Städte selbst wachsen immer weiter und damit nehmen auch die Herausforderungen für die Logistik zu. Im Jahr 1950 lebten circa 30 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. 2014 waren es bereits 54 Prozent und bis 2050 werden nach einer Prognose der Vereinten Nationen 66 Prozent der Menschen in Städten leben. Alle diese Menschen wollen versorgt werden.
Das Geschäft mit den Logistikimmobilien boomt: Von 2011 bis 2016 betrug der Flächenumsatz in Deutschland insgesamt 10,6 Millionen Quadratmeter, 2,9 Millionen Quadratmeter entfielen dabei auf den Sektor E-Commerce, so eine Studie der Unternehmensberatung Bulwiengesa in Zusammenarbeit mit Berlin Hyp, Bremer, Goodman und Savills.
Ende April eröffnete Hermes im baden-württembergischen Bad Rappenau das erste von neun neuen Logistikzentren, die bis Ende 2019 in Deutschland errichtet werden sollen. Durchschnittlich alle drei Monate soll ein neues Warenverteilzentrum in Bau gehen, so der ehrgeizige Plan des Immobilienentwicklers ECE, der für das Hermes-Projekt einen eigenen Prototypen entwickelt hat. Die große Version besteht aus einer 10.000 m² große Logistikhalle mit angeschlossenem Büro-, Technik- und Sozialgebäude auf ca. 2.900 m² Fläche. Die kleinere Variante umfasst 8.900 m² Logistik- und 2.500 m² Nebengebäude.
Hermes ist bei Weitem nicht der einzige Logistiker, der expandiert. Amazon sucht derzeit in ganz Europa nach Lagerfläche für seinen Prime-Service. Auch einheimische Online-Händler erweitern ihre Logistikkapazitäten, wie zum Beispiel der Bad- und Sanitärhändler Reuter, der vor Kurzem ein 100.000 Quadratmeter großes Grundstück in Bedburg (zwischen Köln und Mönchengladbach) erworben hat.
Frische Ware braucht kurze Wege
Online-Händler, die frische Lebensmittel verkaufen oder Same Day Delivery anbieten, brauchen vor allem eines: kurze Wege zum Kunden - und das geht am besten mit einem Logistikzentrum in der Nähe. Amazons kürzlich in Berlin gestarteter Lebensmittel-Lieferdienst Amazon Fresh etwa beliefert seine Kunden von einem Lager in Berlin-Tegel aus. "Für Online-Händler aber auch KEP-Dienstleister, die ihren Marktanteil ausbauen wollen, sind City-Lagen unabdingbar. Denn die breite Masse potenzieller Online-Shopper ist schließlich in den Ballungszentren verortet", sagt Kuno Neumeier, Geschäftsführer der auf Logistikimmobilien spezialisierten Beratungsfirma Logivest mit Sitz in München.
Logivest beobachtet seit 2013 eine größere Nachfrage nach Flächen in oder in der Nähe von Ballungszentren, um die Lieferzeiten zu verkürzen. Das macht sich beim Preis bemerkbar: "Online-Händler sowie KEP-Dienstleister in stadtnahen Lagen müssen auch höhere Mietkosten in Kauf nehmen. Im direkten Stadtgebiet in München werden beispielsweise Mieten von 10 bis hin zu 22 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Stadtnah liegt die Spitzenmiete am Standort München bei 6,50 bis 7 Euro pro Quadratmeter", berichtet Neumeier.
Kreative Konzepte sind gefragt
Da geeignete Flächen in Citynähe knapp und teuer sind, sind kreative Konzepte gefragt, um den Platz optimal auszunutzen. In asiatischen Megastädten wie Singapur oder Hongkong behilft man sich angesichts des chronischen Platzmangels immer häufiger mit mehrstöckigen Lagern. Das Goodman Interlink Logistikzentrum in Hongkongs Hafenviertel Tsing Yi hat zum Beispiel eine Fläche von 224.000 Quadratmetern. Die verteilen sich auf 24 Stockwerke. Lieferfahrzeuge können die Etagen ähnlich wie in einem Parkhaus über Rampen erreichen.
Auch an den Rändern deutscher Städte entstehen die ersten mehrstöckigen Logistikgebäude. In Daglfing bei München errichtet der Immobilienentwickler Segro ein Logistikzentrum für Amazon Fresh. Die mehr als 15.000 Quadratmeter große Fläche verteilt sich auf zwei Stockwerke. Auch die zweite Etage kann über eine eigene Rampe angefahren werden. In Deutschland ist allerdings die maximale Höhe eines Gebäudes durch den Bebauungsplan vorgeschrieben und daher ist dem Wachstum nach oben an manchen Standorten eine Grenze gesetzt.
Auf eine andere Art hoch hinaus will Amazon mit seinem Patent Nummer US 9,305,289 B1. Der E-Commerce-Riese hat sich ein Luftschiff als Lagerhaus patentieren lassen. Das mit Helium gefüllte Fluggerät soll über dicht besiedelten Gebieten schweben und Produkte vorhalten, die häufig nachgefragt werden. Kleine Drohnen sollen die Waren zu den Empfängern bringen. So könnte das fliegende Lagerhaus zum Beispiel über einem Sportstadion eingesetzt werden und die Zuschauer mit passenden Merchandising-Artikeln beliefern.
Amazons Luftschiff ist noch Zukunftsmusik, aber überall denkt man darüber nach, wie in überfüllten Metropolen mehr Platz geschaffen werden könnte, um Waren für einen schnellen Versand zu lagern.
Mehrfachnutzung und Sharing Economy
Eine Möglichkeit ist die Mehrfachnutzung von Gebäuden. Viele Parkhäuser werden nur benutzt, solange die Geschäfte offen haben. Nachts stehen sie leer. Unter dem Namen "eBase4Mobility" entwickelten Forscher rund um das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) bereits im Jahr 2013 ein Konzept für ein automatisiertes Parkhaus, das nachts zum Umschlagplatz umfunktioniert werden kann. Damit die Nachtruhe der Anwohner nicht gestört wird, erfolgt der An- und Abtransport der Waren mit leisen Elektrofahrzeugen. Unter anderem wegen der hohen Investitionskosten und der vergleichsweise geringen Verbreitung der Elektromobilität wurde das Projekt allerdings nicht in die Tat umgesetzt.
Auch Tiefgaragen könnten in Zukunft als Umschlagplatz genutzt werden. In einer Studie des Immobilienunternehmens JLL heißt es: "Wir gehen davon aus, dass infolge einer Kombination aus immer mehr Verkehrsstaus, höheren Kosten sowie innerstädtischen Straßengebühren und dem Umstieg auf den öffentlichen Personennahverkehr die Zahl der Autofahrer abnehmen wird. Dadurch werden viele Parkplätze in den Städten überflüssig. Im Ergebnis könnten diese Parkplatzflächen ein erhebliches Potenzial für Logistikhubs in den Herzen der Städte darstellen." In Paris betreibt etwa Chronopost bereits zwei Anlagen in einer städtischen Tiefgarage.
"Sharing Economy" für die Logistik
DHL beschäftigt sich damit, wie das Konzept der "Sharing Economy" für die Logistik genutzt werden kann. Third Party Logistics Provider (3PL) stellen bereits heute Lagerhäuser zur Verfügung, die von mehreren Kunden gleichzeitig genutzt werden können. Normalerweise mietet ein Kunde innerhalb des Zentrums einen festgelegten Lagerplatz für einen bestimmten Zeitraum an - auch wenn er vielleicht nicht immer die ganze Fläche benötigt. Das kann zum Beispiel bei saisonalen Schwankungen der Fall sein. Ähnlich wie Privatwohnungen bei Airbnb werden bei "Truly Shared Warehousing" überschüssige Lagerkapazitäten an andere Kunden untervermietet, die gerade Lagerplatz brauchen. Um die freien Kapazitäten zu vermitteln, hat DHL die Online-Plattform "DHL Spaces" ins Leben gerufen.
Auch das im US-amerikanischen Seattle ansässige Start-up Flexe vermittelt freien Lagerplatz. Nach Unternehmensangaben bieten auf der Flexe-Plattform derzeit mehr als 400 Logistikzentren über die ganze USA verteilt ihre freien Kapazitäten an. Flexe verspricht auf seiner Website, dass mit diesem Fulfillment-Netz 98 Prozent der Empfänger innerhalb eines Tages erreicht werden können.
Die Frage des Umweltschutzes
Logistik ist auch eine Frage des Umweltschutzes. Um die Verkehrsbelastung durch Diesel-Lkw zu reduzieren, erproben Paketdienste in deutschen Städten die Kombination von Mikrodepots und Elektrofahrzeugen. Die Sendungen werden vom großen Logistikzentrum auf der grünen Wiese zu Zwischenlagern in die Stadt gebracht. Von diesen Mikrodepots oder City Hubs aus übernehmen Elektrofahrzeuge die Zustellung.
Oft werden die Tests mit öffentlichen Geldern gefördert, denn auch die Kommunen haben ein Interesse daran, dass der Zustellverkehr läuft. Im Oktober 2016 startete in München im Rahmen des EU-Projekts Civitas Eccentric ein "Pilotprojekt zur Förderung der Nutzung von Lastenrädern im kommerziellen Kurierdienst". Kuriere liefern die Sendungen per E-Bike aus, diese werden vorher in flexiblen Boxen am Rand der Innenstadt deponiert. Die Mikrodepots dienen als Schnittstelle zwischen Auto- und Fahrradkurieren, welche die Sendungen austauschen können, ohne sich persönlich treffen zu müssen. Die Boxen werden flexibel aufgestellt, sodass die Lieferkette ständig weiter optimiert werden kann.
Im Rahmen des "City2Share"-Projekts des Bundesumweltministeriums setzt UPS in Hamburg und anderen deutschen Städten Mikrodepots und Lastenräder ein. Und in Düsseldorf testet GLS ein neues Lieferkonzept. Als Mikrodepot fungiert hier ein herkömmlicher GLS-Paket-Shop, zugestellt wird per E-Bike oder per Elektrotransporter.
Auch an den City Hubs selbst wird ständig weiterentwickelt und experimentiert. Im März dieses Jahres startete DHL ein neues Pilotprojekt. In Frankfurt und im niederländischen Utrecht testet der Logistiker Lastenfahrräder mit Containerboxen. Auf einem Lkw-Anhänger an einem zentralen Stützpunkt werden bis zu vier Behälter mit Express-Sendungen gelagert. Die Fahrradkuriere holen jeweils einen Container mit ihrem vierrädrigen "DHL Cubicycle" ab und machen sich auf den Weg zum Empfänger. Falls erforderlich, können sie auch Express-Sendungen beim Kunden abholen.