
Die deutschen Paketlieferdienste schlagen Alarm: Das Paketaufkommen im aktuellen Weihnachtsgeschäft übertrifft alles bisher Dagewesene - und ist kaum zu bewältigen. Nach dem Jammern gibt es jetzt die ersten konkreten Maßnahmen.
Kaum ein Thema beherrscht die deutsche Medienwelt - Fachblätter und Publikumspresse gleichermaßen - derzeit so wie die katastrophale Lage der deutschen Paketdienstleister. Die angesichts der seit Jahren stabilen Wachstumsraten des E-Commerce eigentlich erwartbare Paketflut bringt die Kapazitäten von DHL, Hermes, DPD und Co. an ihre Grenzen. Bis zu 30 Millionen Pakete mehr als im Vorjahr werden im Weihnachtsgeschäft durch die Republik gefahren, bis zu 15 Millionen Sendungen täglich.
Den enormen Mengen stehen auf Seiten der Zusteller enorme Probleme gegenüber: Schon im September meldete die Arbeitsagentur, über 5.000 offene Stellen seien im Logistikbereich nicht besetzt. Je näher das Fest rückt, desto lauter werden die Klagen der Logistiker ob des quasi leer gefegten Arbeitsmarkts. Der physisch anstrengende und meist nur mit Mindestlohn bezahlte Beruf des Paketfahrers ist nicht sehr attraktiv. Dennoch scheuen sich die deutschen Logistiker in seltener Einigkeit, offen über Lohnerhöhungen für die Fahrer nachzudenken. Denn das würde die Kosten für die Zustellung nach oben treiben - und Logistik darf in Deutschland, dem Land des kostenlosen Versands (und Rückversands) ja nach Möglichkeit nichts kosten.
Die Situation wird immer dramatischer
Gleichzeitig wird die Situation auf den Straßen immer dramatischer: Es gibt derzeit in Deutschland einen extrem hohen Baustellenstand - und so stehen etwa auf den Duisburger Rheinbrücken nicht nur Pendler und 18-Tonner im Mega-Stau, sondern eben auch die Sprinter der Paketlaster. "Alle deutschen Paketdienstleister haben in den letzten Jahren ihre Kapazitäten enorm ausgebaut", betont deshalb Boris Winkelmann, CEO von DPD, im Interview, "aber unsere Investitionen ändern nichts daran, dass wir an Grenzen stoßen."
Es darf also mit Recht bezweifelt werden, dass die deutschen Paketdienstleister das anstehende Weihnachtsgeschäft einigermaßen akzeptabel bewältigen werden. Verschärft wird die Situation auch von dem Fakt, dass der 24. auf einen Sonntag fällt - Last-Minute-Zustellung am Morgen des Heiligen Abends wird es in diesem Jahr nicht geben. Die Sorge bei den Händlergruppen (die sich auch in den Kommentarspalten der Medien niederschlägt) nimmt fast täglich zu: Jeder zweite deutsche Online-Händler befürchtet im Weihnachtsgeschäft Lieferschwierigkeiten aufgrund der Auslastung der Paketdienste, so eine aktuelle Umfrage des Händlerbunds.
Von Obergrenzen und Parkflächen für Paketlaster
Dazu kommt, dass die Lösungsansätze einiger Paketdienstleister nicht gerade dazu taugen, die angespannten Händler-Nerven zu beruhigen. Hermes beispielsweise kündigte schon im November Mengenobergrenzen für Online-Händler an: Wer mehr Pakete versenden will als vorher vereinbar, muss dafür teuer bezahlen. Jetzt geht die Otto-Tochter noch einen Schritt weiter: Für das Weihnachtsgeschäft 2018 wurden bereits jetzt Preiszuschläge angekündigt. Wie hoch die ausfallen werden, will Hermes anhand des diesjährigen Weihnachtsgeschäfts ausrechnen.
Noch radikaler geht Konkurrent GLS in das Weihnachtsgeschäft: Der Logistiker, der im Herbst 2.500 neue Stellen ausschrieb und über 800 neue Auslieferfahrzeuge in Dienst stellte, konzentriert sich in der aktuellen heißen Phase ganz auf seine Bestandskunden: Neukunden werden in der Weihnachtszeit nicht angenommen.
Die DPD, die mittelfristig eine Erhöhung der Preise nicht mehr ausschließt, versucht, den schwarzen Peter weiterzuschieben: Die Städte und Kommunen sollten spezielle Parkflächen für Paketlaster einrichten, forderte das Unternehmen kürzlich. Dann würde sich die Zustellzeit verringern und die Paketlaster müssten nicht mit wilden Stopps in der zweiten Reihe den Verkehr behindern. Die Reaktion der Gemeinden auf diesen Vorstoß? Bisher sehr verhalten, räumt DPD-Mann Winkelmann ein. "Das Problem ist, dass wir in der Politik keinen zentralen Ansprechpartner haben, sondern mit jeder Stadt und Kommune einzeln verhandeln müssen. Wir stoßen durchaus auf Interesse, aber bei der Umsetzung hängt es noch."
Tatsächlich testen zurzeit beispielsweise Nürnberg und Hamburg in Zusammenarbeit mit DPD respektive UPS die Idee eines innerstädtischen Mini-Pakethubs, zu dem die Paketlaster ihre Fracht bringen. Von dort aus übernehmen dann elektrobetriebene Lastenräder die Auslieferung bis zur Haustür.
Das Dilemma der letzten Meile
Doch diese Pilotprojekte sind die Ausnahme: Grundsätzlich scheinen die Gemeinden eher nach Möglichkeiten zu suchen, den lästigen Lieferverkehr möglichst aus ihren Innenstädten rauszuhalten. Hier setzt wiederum der jüngste Vorstoß von Frank Appel an: Der Post-Chef sprach sich für die Bündelung der aufwendigen Zustellung auf der letzten Meile - also vom Verteilerzentrum bis zur Haustür - bei einem Unternehmen aus. "Es wäre ein erster guter Schritt, wenn eine Stadt per Ausschreibung einen Anbieter bestimmt, der tatsächlich eine ganze Stadt bedient", sagte Appel dem "Handelsblatt".
Die Reaktion der anderen Paketdienstleister auf diesen Vorstoß der DHL stieß erwartbarerweise auf wenig Gegenliebe. Dennoch ist sich die Branche weitgehend einig, dass die kostenlose Zustellung bis zur Haustür auf Dauer nicht haltbar ist. "Die Haustürlieferung mit ihren ganzen Unwägbarkeiten - der Fahrer kann nirgends parken, der Kunde ist nicht zuhause, Verkehrsströme behindert die Zustellung in kleinen Zeitfenstern etc. - wird auf Dauer nicht mehr funktionieren", meint beispielsweise Claus Fahlbusch, CEO des Versandschnittstellen-Anbieters Shipcloud, im Interview mit shopanbieter.de. "Der günstige Versand zu einer Sammelstelle, sei es an einer Tankstelle, im Supermarkt oder im Paket-Shop, von der der Kunde seine Pakete selbst abholt, könnte der kostengünstige Standard werden. Die Einzelzustellung bis an die Haustür würde dafür zum teuren Extraservice." Dieses Prinzip ist beispielsweise in den skandinavischen Ländern oder auch im Stadtgebiet von Paris seit Jahren gelernter Standard. Deshalb setzen Hermes, DHL und DPD aber auch seit Kurzem Amazon selbst mit den Amazon-Locker-Systemen zunehmend auf eine "Entlastungsinfrastruktur" in Form von Paket-Shops und Paketstationen.
Jedem Logistiker sein eigenes Süppchen
Das Problem: Um den deutschen Verbraucher zum Umdenken zu bewegen und ihm zu vermitteln, dass Logistik erhebliche Kosten verursacht, die bezahlt werden müssen, wäre eine konzertierte Aktion der deutschen E-Commerce- und Logistikbranche nötig. Doch für Händler ist es schwer, Versandkosten zu rechtfertigen, solange der Marktführer Prime-Mitgliedern jedes Produkt kostenfrei zuschickt. "Die realen Kosten für den Haustürversand sind enorm hoch - und die Versandkosten müssen sich früher oder später daran anpassen. Das ist nicht gerade Raketenwissenschaft", schimpft Fahlbusch, der damit rechnet, dass die Logistikpreise in den kommenden Jahren massiv steigen werden. "Zu uns kommen regelmäßig Händler, die klar sagen: Ich muss meine Pakete für maximal 2,50 Euro pro Stück verschicken, sonst funktioniert mein Geschäftsmodell nicht. Gleichzeitig brauchen sie maximalen Service, um beim Kunden zu punkten. Das passt nicht zusammen. Hier muss ein Mentalitätswechsel stattfinden."
Den fordert auch Oliver Lucas von Ecom Consulting. "Es fehlt an übergreifenden, wirksamen Lösungen für das Logistikproblem, weil einerseits alle KEP-Dienstleister ihr eigenes Süppchen kochen, aber andererseits auch den großen E-Commerce-Playern die Tragweite ihres Anteils an der Situation oftmals nicht bewusst ist", so der Berater. "Was wir brauchen, sind Ideen für City-nahe, Dienstleister-übergreifende Verteil- und Sammelstellen." Doch genau die scheinen in weiter Ferne, solange jeder Paketdienstleister auf seiner eigenen Last-Mile-Lösung beharrt.