
Neues Logistik-Zentrum Dirk Rahn von Hermes: "Logistik heißt immer auch Konsolidierung"
Dirk Rahn, Geschäftsführer Operations Hermes Germany
Dirk Rahn, Geschäftsführer Operations Hermes Germany
Das Wachstum des E-Commerce bringt die Logistik an ihre Grenzen. Gefragt sind neue Ideen und Mut zu unpopulären Maßnahmen - nicht nur von den Logistikern, sondern auch von der Politik und dem Handel.
Der Ort Graben bei Augsburg ist bekannt durch das Auslieferungslager von Amazon. Nun hat Hermes dort das vierte von insgesamt neun neuen Logistikzentren eröffnet. Wir sprachen mit Dirk Rahn, Geschäftsführer Operations Hermes Germany, über Herausforderungen wie die Skalierbarkeit der Logistik, Fahrermangel und höhere Preise.
Wie wichtig war bei Wahl des Standorts in Graben die Nähe zu Amazon?
Dirk Rahn: Die Nähe zu unseren Auftraggebern ist immer wichtig. Und Amazon ist natürlich ein großer Auftraggeber. Dennoch war das hier nicht der ausschlaggebende Punkt. Wir müssen immer die Balance finden zwischen der Nähe zu unseren Auftraggebern und der Nähe zu unserer Endkundschaft, die wir beliefern. Zusätzlich spielen Faktoren wie die infrastrukturelle Anbindung an das Straßennetz, die Bereitschaft der Kommune, einen Logistikdienstleister anzusiedeln, und der lokale Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle.
Ihr Wettbewerber DHL hat in Graben eine direkte Anbindung an das Amazon-Lager. Hat Hermes auch so eine Verbindung?
Rahn: Nein, eine solche Anbindung war rein örtlich nicht machbar. Aber wenn Amazon Pakete über uns distribuieren möchte, könnten wir sie mit dem Lkw hierher shutteln und sortieren. Das wäre kein Problem.
Sie sprechen im Konjunktiv. Heißt das, Sie haben noch keinen Auftrag von Amazon für den Standort Graben?
Rahn: Nein, im Moment noch nicht. Wir arbeiten ja schon lange mit Amazon zusammen und übernehmen auch Direkttransporte in Graben. Falls Amazon künftig auch Sortierleistung hier in Graben benötigt, stehen wir natürlich zur Verfügung. Aber das hängt von den Planungen von Amazon ab.
Hermes will bis 2020 rund 300 Millionen Euro in neun neue Logistikzentren investieren. Wie stemmen Sie diese Investitionen?
Rahn: Hinter diesen Investitionen steht ein Masterplan mit einer groß angelegten Restrukturierung, das heißt, wir setzen künftig auf weniger, dafür aber größere Standorte. Logistik heißt immer auch Konsolidierung. Wir müssen versuchen, so viel zu verdichten und zu bündeln wie möglich, um möglichst niedrige Produktionskosten zu erreichen. Zum anderen stemmen wir das Investitionsvolumen sehr stark aus der Otto-Gruppe heraus, wo wir mit der ECE einen starken Partner an unserer Seite haben.
Welche Aufgaben übernimmt die ECE Projektmanagement GmbH konkret?
Rahn: Die ECE ist ein Schwesterunternehmen der Otto-Gruppe. Sie hat sich unter anderem auf die Entwicklung und den Bau von Gewerbeimmobilien spezialisiert und ist für alle unsere neuen Logistikzentren verantwortlich. Als Partner sucht die ECE für uns nach Standorten, kauft die Grundstücke und finanziert den kompletten Bau. Wir als Hermes mieten diese Gebäude langfristig an und statten sie innen mit unserer eigenen Logistiktechnik aus. Das ist unsere Investition. Die ECE ihrerseits hat unlängst sechs unserer Logistikzentren mit uns als Mieter an den Investor Fraser Property Investments Euope verkauft.
Welche Vorteile hat Hermes von einem solchen Konstrukt?
Rahn: Der größte Vorteil ist, dass wir nicht Hunderte Millionen Euro direkt investieren müssen. Als Mieter haben wir über 15 Jahre gestreckt monatliche laufende Kosten, die wir an die ECE oder jetzt an den Investor bezahlen. Wir selbst investieren lediglich in die Sortieranlagen in den Gebäuden.
"Neue Produkte - die Königsdisziplin der Digitalisierung"
Sie sagten, niedrige Produktionskosten sind immer ein Ziel. Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz?
Rahn: Das spielt eine sehr große Rolle. Auch wir bündeln alle Informationen, die wir zu Paketen bekommen können, in einen großen Zentralrechner. Wenn man mit klugen Algorithmen und schnellen Prozessoren arbeitet, ist es unglaublich, was man mit diesen Daten alles machen kann. Uns sind bei dieser Digitalisierung zwei Dinge besonders wichtig: Das eine ist das Optimieren von Prozessen, um Effizienz zu steigern und Kosten zu senken. Nur dadurch entsteht der Gewinn, den ich für neue Investitionen brauche. Das Zweite ist, aus all diesen Daten neue Produkte und Mehrwerte für die Kunden zu schaffen, die sich monetarisieren lassen - und das vielleicht sogar mit Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb. Das ist aus meiner Sicht die eigentliche Königsdisziplin der Digitalisierung.
Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Rahn: Ein Beispiel ist die Analyse von Daten zum Ermitteln und Prognostizieren von sinnvollen Standorten von Paket-Shops. Ein anderes ist das Erarbeiten möglichst effizienter Zustellrouten, indem Sie über die Datenanalyse und selbstlernende Algorithmen herausfinden, wann und wo mit großer Wahrscheinlichkeit jemand zu Hause ist, um ein Paket anzunehmen.
Ist das noch Zukunftsmusik oder setzen Sie solche Analysen heute schon ein?
Rahn: Wir testen solche Dinge in räumlich begrenzten Zellen und wenn sie ausrollbereit sind, dehnen wir die Nutzung auf die Fläche aus. Die Optimierung der Zustellrouten auf Basis einer intelligenten Verwendung unserer Daten beispielsweise steht kurz vor dem bundesweiten Einsatz. Auch bei der Prognose, wann wie viele Lastwagen an einem Standort eintreffen werden, inklusive Verkehrsbehinderungen und Staus, setzen wir schon künstliche Intelligenz ein, um zur richtigen Zeit über die nötigen Kapazitäten zum Entladen zu verfügen. Das ist also keine Zukunftsmusik mehr.
"Wir stoßen heute schon an unsere Grenzen"
Welchen Stellenwert haben Automatisierung und Robotik?
Rahn: Ich rechne damit, dass wir auch in der Robotik in den nächsten Jahren deutliche Entwicklungsschritte machen werden, also weg von manuellen Prozessen hin zu automatisierten Prozessen. Wir forschen gemeinsam mit unseren Fördertechnik-Lieferanten daran, neben der Sortiertechnik weitere Prozessschritte zu automatisieren, zum Beispiel was das Entladen der Lkw angeht.
Sie sagten, es geht weg von manuellen hin zu automatisierten Prozessen. Sind Menschen in der Logistikhalle künftig die Ausnahme?
Rahn: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Wir haben natürlich auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und bieten Arbeitsplätze auch für eher gering qualifizierte Menschen an, die ja ebenfalls einen Job suchen. Die große Gefahr bei Automatisierung ist immer, dass es genau diese Jobs wegrationalisiert.
Auf der anderen Seite hatten im Weihnachtsgeschäft viele Dienstleister Mühe, genügend Fahrer zu bekommen. Wird die Logistik hier künftig an ihre Grenzen stoßen?
Rahn: Wir stoßen hier heute schon ein Stück weit an unsere Grenzen. Das Wachstum des Paketvolumens durch den E-Commerce ist stärker als das Wachstum der Kapazitäten, mit dem wir auf der Logistikseite nachziehen können. Ein Thema, das uns in der Tat sehr umtreibt, ist die Fahrerknappheit. Und das betrifft nicht nur die letzte Meile, sondern mittelfristig auch den Bereich der Lkw-Fahrer. Denn der Beruf des Lkw-Fahrers ist nicht mehr sehr beliebt, es fehlt der Nachwuchs.
"Haustürbelieferung anders bepreisen"
Wie lässt sich das lösen?
Rahn: Wir müssen über verschiedene Dinge nachdenken, zum Beispiel ob die Haustürbelieferung als Standard noch zeitgemäß ist oder ob wir hier nicht andere Alternativen anbieten müssen. In Skandinavien ist es üblich, dass der Kunde seine Post in Post-Shops abholt. So etwas müssen auch wir unseren Kunden verstärkt anbieten - und zwar durchaus auch preisdifferenziert, sodass eine Haustürbelieferung anders bepreist ist als eine Paket-Shop-Belieferung. Es wird ein permanenter Prozess sein, hier offen zu bleiben und ständig zu lernen. Und das wird ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor in der Zukunft sein - gerade auch in unserer Branche.
Inwieweit werden Wettbewerber künftig stärker kooperieren müssen, um Herausforderungen wie die letzte Meile zu meistern?
Rahn: Ich glaube an Kooperationsmodelle, um Verkehr zu vermeiden und Emissionen zu reduzieren. Aber solche großen Herausforderungen wie die der letzten Meile können die Paketdienstleister nicht alleine bewältigen. Da sind auch die Kommunen gefragt, indem beispielsweise E-Fahrzeuge Vorrang auf Busspuren erhalten. Die Kommunen müssen hier auch zu Treibern innovativer Lösungen werden.
Sind auch Modelle wie ein Echtzeiteinkauf von Transport- und Zustellkapazitäten beispielsweise über eine Art Auktionsplattform denkbar?
Rahn: Ja, so etwas kann ich mir vorstellen - wenn auch noch nicht morgen. Wir sind in einer Zäsur und werden gezwungen sein, neue Lösungen zu finden. Derzeit hat der B2C-Markt in Deutschland ein Volumen von 1,6 Milliarden Paketen jährlich. Bis 2025 rechnen Experten mit einer Verdopplung auf über drei Milliarden Sendungen. Eine einfache Skalierung der heutigen Systeme, sprich einfach eine Verdoppelung der heutigen Logistikkapazitäten, wird nicht funktionieren. Das wird kollabieren. Ein Mix aus alternativen Abhol- und Zustellsystemen, Automatisierung, Kooperation und intelligenten Plattformen wird daher die alten Strukturen ergänzen müssen. Ein anderer Punkt ist die Wertschätzung: Wenn Logistik nicht funktioniert, kollabiert unser Wirtschaftssystem, das ist den meisten überhaupt nicht klar. Da ist auch die Politik gefragt, steuernd einzugreifen.
"Problemlösung durch vier Akteure: Kunde, Händler, Politik, Logistik"
Aber wie ist es mit der Wertschätzung: Wenn Sie zu dem Lohn, den Sie anbieten, keine Fahrer finden, müssen Sie dann nicht den Beruf über bessere Konditionen und höhere Bezahlung attraktiver machen? Dann wird der Versand insgesamt teurer, entspricht damit aber eher seinem tatsächlichen Wert.
Rahn: Ich erwarte, dass genau das passieren wird. Das sind ganz normale Marktmechanismen. Wenn Fahrer knapp werden, dann steigen die Löhne und damit die Preise. Wir müssen schon heute immer mehr bezahlen, um überhaupt noch Menschen für diese Jobs rekrutieren zu können. Dennoch müssen wir versuchen, unsere Dienstleistung so kostengünstig wie möglich anzubieten, um im Wettbewerb zu bestehen. Am Ende wird der überleben, der hier die intelligentesten Ideen hat. Die Märkte werden im Moment sehr durchgeschüttelt.
Werden Kunden höhere Preise akzeptieren?
Rahn: Bei uns hat eine Gratisversand-Mentalität Einzug gehalten. Durch den kostenlosen Versand, den viele Händler anbieten, ist der Wert der Versanddienstleistung für die Kunden nicht mehr transparent. Es macht einen Unterschied in der Wertigkeit, ob ein Händler sagt, 'Der Versand ist kostenlos' oder 'Wir übernehmen die Versandkosten für Sie'. Auch deswegen sind die Herausforderungen durch das rasante Marktwachstum nicht durch die Paketdienstleister allein zu lösen. Kunde, Händler, Politik, Logistik: Das sind die vier Akteure, die gefragt sind. Dazu gehört auch der Mut, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen.