
Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Handel steht ganz weit oben auf der politischen Agenda der Grünen. Was sich dafür bei E-Commerce und Logistik ändern muss, beschreibt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag, Barbara Fuchs, im Interview.
Die ökologischen Auswirkungen des Online-Handels sind den Grünen ein Dorn im Auge. Immer wieder kommen aus dieser Partei Vorschläge, wie man die digitale Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit treiben kann. Barbara Fuchs ist wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag. Sie setzt sich für Konzepte zur Entwicklung der Innenstädte und des wohnortnahen Einzelhandels ein. Doch wie lassen sich diese Konzepte mit E-Commerce in Einklang bringen? Antworten darauf gibt sie in unserem Interview und am 11. November 2021 auf den Delivery Days, der Fachkonferenz rund um Logistik im E-Commerce.
Die Grünen setzen sich für Konzepte zur Stärkung und Entwicklung des Innenstadtbereichs und des wohnortnahen Einzelhandels ein. Wie passen da Online-Handel, Bringdienste und Retouren rein? Schließt sich das nicht aus?
Barbara Fuchs: Ich bin der Meinung, dass wir für die Zukunft Konzepte brauchen, die sich ergänzen. Im Idealfall bieten regionale Händler eine Online-Plattform an, auf der sich Kundinnen und Kunden informieren können, ob der gewünschte Artikel vorrätig ist, bevor sie sich auf den Weg ins Geschäft machen. Und natürlich gibt es auch viele Situationen, in denen eine Lieferung nach Hause die beste Option ist, zum Beispiel bei Menschen, die körperlich nicht mehr so fit sind.
Nicht nur, aber auch aus Ihrer Partei wurden Forderungen laut, den Online-Handel mit einer Paketsteuer zu belegen, um den stationären Handel vor Ort zu stützen. Diese Forderungen sind auf ziemlich breite Kritik gestoßen. Wie stehen Sie dazu?

Barbara Fuchs sitzt seit 2018 für die Grünen im bayerischen Landtag und ist die wirtschaftspolitische Sprecherin und Mittelstandsbeauftragte der Fraktion. Außerdem ist die gelernte Fremdsprachenfachwirtin Mitglied im Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzen.
Bündnis 90/ Die Grünen
Fuchs: Sicherlich ist es ein Gebot der Fairness, wenn zum Beispiel Steuern dort gezahlt werden müssen, wo der Umsatz entstanden ist. Da geht es nicht darum, den Online-Handel zusätzlich zu belasten, sondern letztlich darum, ein Gleichgewicht wiederherzustellen.
Aber wenn ich etwa über Amazon etwas bei einem Händler bestelle, die Ware kommt dann im Logistikzentrum in Graben bei Augsburg an und wird dann in München ausgeliefert – wo ist denn dann der Umsatz entstanden?
Fuchs: In diesem Fall wäre das dort, wo der Empfänger sitzt, also in München.
Wie hoch schätzen Sie denn die Wahrscheinlichkeit ein, dass eine solche Besteuerung auch umgesetzt werden könnte? Würde da zum Beispiel eine FDP im Bund mitmachen?
Fuchs: Ich glaube sogar, dass die zukünftige Bundesregierung eine solche Besteuerung bald umsetzen muss, allein schon um die Mittel für die notwendigen Investitionen in unsere Infrastruktur zu bekommen. Dem wird sich auch die FDP nicht verschließen können, wenn sie Steuererhöhungen ansonsten ausschließt.
"Eine Waschmaschine packt man nicht ins Auto, die lässt man sich liefern"
Gerade die City-Logistik mit ihren Paketwagen leidet häufig unter dem Ruf, zur Umweltverschmutzung beizutragen und nicht nachhaltig zu sein. Aber ist es so viel nachhaltiger, wenn Tausende von Menschen mit ihrem Auto in die großen Märkte auf der grünen Wiese fahren, um dort ihre Einkäufe zu erledigen?
Fuchs: Idealerweise kaufen die Menschen nicht im großen Markt auf der grünen Wiese, sondern im Einzelhandel in ihrer Nähe, und am besten fahren sie auch nicht mit dem Auto dorthin, sondern mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr. Natürlich stellt sich dann die Frage, wie man seine gekauften Dinge nach Hause bekommt. Doch eine Waschmaschine packt man sich auch nicht ins Auto, die lässt man sich liefern.
Also doch Lieferverkehr?
Fuchs: Ja, aber da lässt sich viel mit Lastenfahrrädern erledigen, da gibt es viele innovative Konzepte. Und bei den Strecken, die für ein Fahrrad zu lang sind, sollte mehr Lieferverkehr auf die Schiene verlagert werden.
Die Möglichkeit, online bestellte Sachen ohne Wenn und Aber bei Nichtgefallen zurückzugeben, wird ja mit dem Gedanken des Verbraucherschutzes begründet. Kunden können schließlich online bestellte Sachen nicht im Laden anschauen und ausprobieren. Gleichzeitig ist die Retourenflut vielen Menschen ein Dorn im Auge. Wie kann man diesen Widerspruch überwinden?
Fuchs: Retouren gehören im Online-Handel dazu, ohne geht es nicht. Aber schon aus ökologischer Sicht müssen diese massiv reduziert werden. Und in Anbetracht der Menge muss man über die Kosten nachdenken. Abgesehen von den ökologischen Folgen kostet jede Retoure den Händler im Schnitt zehn Euro. Deshalb müssen wir mit dem Handel über Retourengebühren sprechen, die diese Kosten zumindest zum Teil decken. Die haben aber nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn alle mitmachen. Wenn der Verbraucher Retouren nicht mehr kostenfrei zurückschicken könnte, würde das auch zu mehr Bestelldisziplin führen und letztlich dem Handel nutzen.
Und was sagt der weiße Elefant im Raum dazu - Amazon?
Fuchs: Natürlich ist Amazon ein Riese, der den Standard im E-Commerce setzt, aber auch Amazon kann sich dem Argument nicht verschließen, dass wir alle unseren ökologischen Fußabdruck verringern müssen.
"Die Dinge des täglichen Bedarfs in 15 Minuten erledigen"
Gerade unter jungen, urbanen Menschen findet die Partei der Grünen große Zustimmung. Gleichzeitig sind Online-Lieferangebote vor allem bei jungen Menschen beliebt. Ist das für Sie ein Widerspruch?
Fuchs: Nicht wirklich. Es zeigt sich ja, dass gerade junge Leute ein großes ökologisches Bewusstsein haben, viel Wert auf nachhaltige Verpackung legen. Sie wissen, worum es geht, und sie gehen diesen Weg mit. Interessant finde ich zum Beispiel das Konzept der "15-Minuten-Stadt", in der alles so nah beieinander ist, dass man alle Dinge des täglichen Bedarfs in 15 Minuten erledigen kann.
Gilt das auch, wenn dazu ein Anruf bei einem Bringdienst zählt, und nach 15 Minuten steht der Lieferfahrer vor der Tür?
Fuchs: Wenn er mit dem Fahrrad gekommen ist und nicht mit dem Lieferwagen, ist das schon besser als nichts. Ohne Kompromisse geht es nicht.
Letzte Frage: Nutzen Sie selbst auch Online-Lieferdienste?
Fuchs: Relativ selten. Nach Möglichkeiten bestelle ich etwas online beim regionalen Einzelhandel und hole es dann selbst ab. Wenn das nicht geht, lasse ich mir auch Bestellungen nach Hause liefern. Dabei achte ich aber darauf, dass die Lieferbedingungen vernünftig sind und meine Auswahl so bewusst, dass ich damit Retouren vermeide. Wenn ich etwas bestelle, ist es mir zum Beispiel nicht wichtig, dass es am nächsten Tag da ist.
Barbara Fuchs hält am 11. November 2021 auf den Delivery Days die Keynote zum Thema "Retouren-Wahnsinn eindämmen". Alle weiteren Infos unter www.delivery-days.de