
Lena Jüngst im Interview Von 0 auf 160 Millionen: Die Erfolgsstrategie von "air up"
Gründerin Lena Jüngst
Gründerin Lena Jüngst
Es war eine völlig neue Produktidee: eine Trinkflasche mit reinem Wasser, das trotzdem Geschmack annimmt. Dahinter steckt ein duftbasiertes Trinksystem, das vom Münchner Start-up "air up" erfunden wurde und nach wie vor für Furore sorgt.
So verblüffend wie die Idee ist auch die Erfolgsstory des Start-ups. Erst 2019 gegründet, war es bereits ein Jahr später profitabel. Inzwischen liegt der Umsatz bei knapp 160 Millionen Euro. Höchste Zeit also für ein Interview mit der Gründerin Lena Jüngst. Im Gespräch erklärt sie, warum air up vor allem online verkauft, wie verschieden die einzelnen Märkte ticken und warum - trotz des Erfolgs - das Unternehmen einen eher konservativen Spirit hat.
Lena, das Unternehmen air up hat in den vergangenen Monaten eine beeindruckende Entwicklung vollzogen: Die Zahl der Mitarbeitenden stieg auf über 300, die Umsätze auf 159 Millionen Euro (2022) und jetzt habt ihr in München auch ein neues Büro bezogen - mit über 140 Arbeitsplätzen. Worauf führst du dieses rasante Wachstum in erster Linie zurück?
Lena Jüngst: Darauf, dass das Produkt anscheinend relevant ist. Daran haben anfangs nicht viele geglaubt. Wir sind 2019 in Deutschland gestartet und hatten von Anfang an vor, zu expandieren. Allerdings gab es immer viel Gegenwind, das ist ein deutsches Phänomen. Es hieß immer: Das wird garantiert nicht fliegen.
Inzwischen aber fliegt air up, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Märkten.
Lena: Wir wissen von anderen Start-ups, dass es durchaus schwierig ist, in neue Märkte zu gehen, weil es doch kulturelle Unterschiede gibt. Entsprechend bescheiden sind wir an die Sache rangegangen, ohne viel zu erwarten. Aber seit Anfang dieses Jahres beziehen wir 65 Prozent aller Umsätze aus den anderen Märkten. Das heißt also: Die Expansion ist sicher ein Grund für unsere steigenden Zahlen. Man kann nicht genug Leitungswasser trinken. Das ist nicht nur für uns Deutsche ein Thema, sondern auch für ÖsterreicherInnen, SchweizerInnen, NiederländerInnen und BritInnen. Die Zahl unserer KundInnen ist in den letzten zwei Jahren von einer Million auf knapp sechs Millionen gestiegen. Damit konnten wir natürlich auch mehr Leute einstellen.
Das richtige Produkt zur rechten Zeit. So einfach ist es also?
Lena: Genau, damit fängt alles an. Wenn du kein relevantes Produkt hast, dann kannst du noch so gut im Marketing sein. Das bringt alles nichts, das ist meine persönliche Überzeugung.
Umgekehrt gehört Marketing natürlich dazu. Das Produkt kann so gut sein, wie es will: Wenn es niemand kennt, wird es auch niemand kaufen.
Lena: Unser Marketing beruht in erster Linie auf digitalem Marketing, dazu haben wir uns bereits recht früh entschlossen. Wir wollten ein Business aufbauen und, soweit es nur irgendwie geht, die Kontrolle über die Kommunikation mit den KundInnen behalten, weil uns das große Vorteile verschafft. Wir haben unser Produkt ganz am Anfang auch im Retail verkauft. Dann haben wir aber gemerkt, dass wir das eigentlich gar nicht brauchen, um das Interesse an air up zu wecken, auch wenn es um eine neue Technologie geht. Wenn man ein gutes Video hat, wenn die Leute nachvollziehen können, wie das Produkt funktioniert, dann ist ihr Interesse so weit geweckt, dass sie es ausprobieren möchten. Entsprechend machen wir heute den Großteil unseres Umsatzes, mehr als 80 Prozent, über unseren Onlineshop.
Der stationäre Handel ist also kein großes Thema?
Lena: Wir gehen nur noch in Märkten in den Retail, wo wir wirklich schon etabliert sind. Aber alles andere soll im Webshop passieren. Das ist auch der Grund, warum sich unsere Kundenkommunikation auf digitale Kanäle konzentriert.
"YouTube war für uns immer wichtig"
Auf welche Kanäle genau setzt Ihr in dieser Kommunikation?
Lena: Unsere Zielgruppe hat sich im Laufe der Zeit verändert, wir haben unter älteren und jüngeren Menschen Zuwachs. Entsprechend verfolgen wir ein digitales Marketing, das flexibel ist und nicht von einem Kanal abhängig. Wir arbeiten mit Social Media Marketing, Content Creator Marketing und Google Search, und das ist eine sehr gute Kombination. Gerade Content Creator haben ein großes Potenzial bei älteren Zielgruppen. Sie sind kreativ und haben ihre Community, die sie ganz spezifisch ansprechen. Das kann man als Außenstehende manchmal gar nicht richtig nachvollziehen. Das ist teils sehr speziell, aber funktioniert sehr gut. Deshalb werden wir das weiter verstärken. Vor allem YouTube war für uns immer wichtig und wird es auch in Zukunft sein.
Wenn air up auch unter der jüngeren Generation wächst: Spielt dann TikTok eine zunehmend wichtige Rolle?
Lena: Wir sind auch auf TikTok. Aber wir haben ein Produkt mit einer neuen Technologie, bei der man viel erklären kann. Und wir sind im Bereich Gesundheit unterwegs, da geht es beispielsweise um Themen, wie viel ich am Tag trinken sollte. YouTube ist für uns sinnvoll, weil da die Leute auch gewillt sind, längere Videos anzuschauen. Auf TikTok sind die Ausschnitte halt recht kurz, dort ist die Erwartungshaltung eine andere.
Wie viel macht Ihr intern beim Marketing und welche Aufgaben lagert Ihr aus?
Lena: Beim Thema Produktion arbeiten wir mit einer Agentur zusammen. Im Grundsatz versuchen wir aber, die strategischen Themen und Konzepte intern zu entwickeln. Wir haben mittlerweile ein sehr starkes Kreativ-Team aufgebaut, dessen Expertise auf Online-Marketing liegt. Wir verstehen sehr gut, wie wir Content modular und effizient einsetzen können.
Inwiefern lässt sich das zentral steuern? Die einzelnen Märkte ticken doch bestimmt anders.
Lena: Deswegen setzen wir vor Ort auch immer eigene Creator ein. In Frankreich sind die Leute zum Beispiel weniger daran interessiert, ob kein Zucker oder keine Zusatzstoffe in dem Produkt sind. Es ist eine Kultur, die gerne genießt und in Kauf nimmt, dass man dabei Zucker konsumiert. Dafür ist in Frankreich sehr wichtig, dass die Inhaltsstoffe natürlich sind, also beispielsweise aus heimischen Pflanzen gewonnen werden. Die NiederländerInnen sind dagegen sehr innovationsbegeistert und haben gleichzeitig eine sehr starke Awareness zum Thema "genug Wasser trinken". Also das ist von Markt zu Markt ganz unterschiedlich.

Neues Office in München
air up
Beschwerden und Wünsche
Bindet ihr die Kundinnen auch in die Produktentwicklung ein?
Lena: Bisher noch nicht aktiv. Aber wir hören sehr genau zu und sehen genau hin. Wir haben ein Customer Engagement Team, das trackt, welche Beschwerden auftreten und welche Wünsche bestehen. So sind wir auch darauf gekommen, eine doppelwandige Stahlflasche einzuführen, die sehr gut kühlt. Wir haben jetzt auch eine größere Flasche auf den Markt gebracht, weil das aus Rückmeldungen kam.
Wie sehen eure weiteren Zukunftspläne aus?
Lena: Wir waren in den letzten Jahren viel damit beschäftigt, unsere Produktion so nachhaltig wie möglich weiterzuentwickeln. Wir haben am Anfang aus Kapazitäts- und aus finanziellen Gründen unsere Produktion in China gehabt. Wir haben aber immer gesagt, die Produktion nach Europa holen, sobald es möglich ist, und das haben wir jetzt auch schon größtenteils gemacht. Bis Ende des Jahres werden wir dann komplett in Europa produzieren. Damit können wir unseren CO₂-Abdruck weiter reduzieren, einfach weil lange Transportwege wegfallen.
Was ist denn die größte Herausforderung in den nächsten Monaten? Müsst Ihr damit leben, dass euch jemand kräftig Konkurrenz macht?
Lena: Das Schöne bei unserem Produkt ist ja, dass wir damit ein ganz neues Segment eröffnen konnten. Mit dem duftbasierten Trinkgenuss haben wir eine ganz neue Kategorie aufgemacht, an die sonst niemand geglaubt hat. Viele haben gesagt: Jetzt warten wir mal ein Jahr ab, und dann sind die ohnehin wieder von der Bildfläche verschwunden. Unser Ziel war immer, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu behalten. Dafür haben wir viele Prozesse einführen und die richtigen Leute finden müssen. Jetzt geht es stark um das Thema Branding. 50 bis 60 Prozent unserer Produkte werden über Word of Mouth gekauft. Um das zu halten, investieren wir jetzt wieder stärker in Brand Awareness.
Aber bei allem muss ich sagen: Wir haben als Scale-up eine eher konservative Brille auf. Man merkt schon, dass wir irgendwie aus Deutschland kommen und so ein bisschen das klassische, eher mittelständische Unternehmen vertreten. Wir achten sehr stark auf Profitabilität und nachhaltiges Wachstum. Als wir angefangen haben, hieß es oft: Guckt in die USA, Ihr müsst mutiger sein und euren Businessplan aufpumpen. Wir aber haben gesagt: Wir wollen, dass unser Geschäft langfristig funktioniert. Wir sind seit Ende 2020 profitabel. Unser größter Vorteil ist, dass wir nicht auf externes Geld angewiesen sind und dass wir ein stabiles Fundament für unser Business aufbauen konnten.