
Interview Roastmarket: "Wir sind definitiv wachstumsverwöhnt"
Stefan Scholle, CEO und CMO des Online-Kaffeehändlers Roastmarket
Stefan Scholle, CEO und CMO des Online-Kaffeehändlers Roastmarket
„Man trinkt Kaffee in guten und in schlechten Zeiten“, sagt Stefan Scholle, CEO und CMO von Roastmarket im Interview– kein Kalenderspruch, sondern eine Tatsache, die dem Online- Kaffeehändler in den vergangenen Jahren der Multikrisen solides Wachstum beschert hat.
Stefan, Du bist CEO und CMO. Klingt nach einer anstrengenden Doppelbelastung ...
STEFAN SCHOLLE (lacht) Ja, CEO und CMO in Personalunion, das erinnert natürlich an ein typisches Start-up. In der Praxis heißt das für mich nur, dass ich mehrere Aufgaben übernehme, was gut funktioniert. Wir haben in der Geschäftsführung auch einen CFO/COO, der nach dem gleichen Prinzip agiert.
Was ist das Geschäftsmodell von Roastmarket?
SCHOLLE Wir sind ein B2C-Player, ein Onlinefachhändler für Kaffee, Kaffeemaschinen und Barista Equipment. Melitta ist unser großer, strategischer Hauptgesellschafter, Burda ein starker Medienpartner und ebenfalls langfristig orientierter und investierter Mitgesellschafter. Wir sind in unseren Entscheidungen innerhalb unseres Joint-Venture-Rahmens aber autark und selbstständig. Der Hauptmarkt von Roastmarket ist Deutschland mit einem Anteil von 95 Prozent. Es folgen Österreich und die Schweiz – und wir verschicken in 38 weitere Länder, was für uns in Sachen Internationalisierung und Wachstum natürlich ungemein viel Potenzial birgt.
Kannst Du einige Kennzahlen zur Firma nennen?
SCHOLLE Wir sind jetzt im neunten Jahr und kommen aus einem Wachstumspfad mit 70 Prozent durchschnittlichem Wachstum in den Jahren 2018 bis 2023. 2019 waren wir bei 12 Millionen Euro Umsatz, wir haben 1.000 Pakete am Tag verschickt und hatten 50 Mitarbeiter. Jetzt reden wir im Plan von bis zu 50 Millionen Euro Umsatz, sind bei 120 Mitarbeitenden und verschicken 2.000 Pakete am Tag. Die Zahl kann aber am Black Friday auch mal auf 8.000 hochgehen. Wir verkaufen über 4.500 Produkte; Kaffee ist dabei unsere stärkste Säule und macht 75 Prozent des Umsatzes aus. 25 Prozent gehen auf den Verkauf von Maschinen – hier reichen die Angebote von 100-Euro-Waren bis zum 5.000-Euro-Premiummodell. Damit sind wir in Deutschland deutlich marktführend – aus Umsatzsicht, aber auch aus Kundensicht. Wir haben über 300.000 aktive Kunden. Seit Gründung haben wir über zwei Millionen Bestellungen ausgeliefert.
Seid Ihr profitabel?
SCHOLLE Nein, noch nicht, da wir uns bewusst auf Wachstum fokussieren. Man könnte theoretisch jeden Tag profitabel sein, wenn man das Marketing komplett zurückfährt. Wir müssen das aber gar nicht, da wir ja auch nicht öffentlich notiert sind.
Wer ist Eure Zielgruppe?
SCHOLLE Der Kaffee- und Maschinenmarkt in Deutschland ist groß: Im Home-Segment reden wir über einen 5-Milliarden-Markt. Aber: Nur 5 bis 6 Prozent der Kaffeetrinker kaufen online. Knapp 250 Millionen Euro sind also aktuell im Online-Kaffeesegment möglich. Hier wiederum adressieren wir unterschiedliche Profile, vor allem die Hobby-Barista und Kaffee-Enthusiasten, die bei uns knapp 48 Prozent ausmachen, und den anspruchsvollen Genießer mit etwa 28 Prozent. Mittel- bis langfristig soll der Online-Anteil im Kaffeemarkt auf rund 10 bis 20 Prozent anwachsen, da wartet also ein Milliardenumsatz im Online-Kaffeesegment. Der Maschinenmarkt indes ist eine Milliarde Euro groß und zu 40 Prozent schon online. Mit Maschinen kann man also schneller Millionenumsätze aufbauen. Das sind dann Premium-Kaffeeliebhaber, die wir adressieren.
Neukunden gewinnt Ihr dann primär über Search?
SCHOLLE Genau. Neukunden kommen zu 60 bis 70 Prozent via SEA-Maßnahmen. Auch Google Shopping oder Preisvergleichsseiten sind gerade für Maschinen wichtig. Wir haben am Tag etwa 20.000 Visits und wir müssen auch jeden Monat Neukunden finden, denn natürlich springen auch immer mal wieder Kunden ab. Die Erst-Retention-Rate liegt bei 50 Prozent, kauft man noch mal, liegt sie danach nochmals deutlich höher.
Ist das Stationäre kein Thema?
SCHOLLE Wir hatten das in der Vergangenheit bereits mit einem Minimum-Viable-Product-Ansatz lokal in unseren Räumen getestet. Recht bald aber war klar, dass die Preisschwelle ein Thema bei Kunden ist. Supermärkte bieten seit Jahrzehnten Aktionspreise, was für den Kaffeeverkauf stationär elementar ist. 80 bis 85 Prozent des Kaffees wird in Läden in der Aktion verkauft. Mit unseren Preisen hat sich der Kunde folglich schwergetan. Das ist eine Frage der Zeit, glaube ich, und auch des richtigen Angebots. Der LEH fand das super und wollte das gerne mit uns testen und Innovationen präsentieren. Insofern haben wir den Kanal noch nicht aufgegeben, wir sitzen derzeit auch an konkreten Ideen.
Wie sieht es in Sachen D2C aus, seid Ihr selbst Hersteller?
SCHOLLE Wir gehen bewusst mit Röstern in die Eigenmarkenentwicklung. Wir arbeiten mit über 130 Röstern aus Deutschland zusammen sowie einigen internationalen. Mit manchen entwickeln wir in Partnerschaften gemeinsam Produkte, auch exklusive, die dann Co-gebranded sind und als eigene Marken angemeldet werden. Wir kümmern uns um das Marketing und den Vertrieb, teils gemeinsam mit dem Röster, der nicht nur als Whitelabel-Anbieter agiert, sondern das Produkt mit uns gemeinsam denkt. Für uns ist das spannend, weil es uns einen USP gibt, der uns von anderen unterscheidet. Das Produkt haben nur wir – für Röster sind wir ein großer Partner, der viel Volumen ermöglicht. Wir haben ein eigenes Lager in Hanau, was uns hier auch zugutekommt.
Wie seid Ihr mit den Multikrisen der vergangenen Jahre umgegangen?
SCHOLLE Wir sind definitiv wachstumsverwöhnt und konnten sogar in dem Jahr vor dem Ukraine-Krieg, als der Markt schon bei minus 10 Prozent war, noch um 16 bis 20 Prozent wachsen. Die Kategorie hat also immer gut funktioniert, Kaffee ist ein Bedarfsgut. Man trinkt Kaffee in guten und in schlechten Zeiten. Zu Beginn des Krieges haben wir eine Zurückhaltung gemerkt, aber nicht so, dass wir in den Schrumpfkurs gekommen wären. Wir sind stabil geblieben und haben die Zeit für technische Verbesserungen genutzt. Jetzt sehe ich, dass das Wachstum gegenüber dem Vorjahr erstmals wiederkommt. Wir haben ja auch eine starke Gesellschafterstruktur mit Melitta und Burda, die eine sichere Bank im Hintergrund darstellen und uns eigenständig agieren lassen. Wir versuchen, uns nicht durch Konjunkturphasen verrückt machen zu lassen.
Stichwort „technische Verbesserungen“: Wie ist Euer Tech Stack aufgestellt?
SCHOLLE Wir sind sehr effizienzgetrieben, es geht viel Geld in das Marketing und in unseren Shop, unser Herzstück. Wir haben inhouse eine kleine IT-Shop-Abteilung rund um unser Shopsystem Magento 2 aufgebaut. Unsere IT arbeitet im agilen Scrum-Modus. Wir setzen auf einen Headless-Ansatz und können jederzeit über eine Product-Owner-Sicht an den Produkt-Features arbeiten. Der Maschinenraum interessiert den Kunden ja für gewöhnlich nicht, das System muss stabil laufen. Das funktioniert bei uns, wir machen NPS-Messungen im Check-out und kommen hier auf hohe Werte. Wir wollen modern und smart unterwegs sein und nutzen daher gerne Cloud-basierte Lösungen, SaaS-Lösungen und Spezialanwendungen für unsere Bestandsoptimierung, um intelligente Bestellalgorithmen zu entwickeln. Darüber haben wir auch unsere Einkaufsvolumina, Sicherheitsbestände und Bestellzyklen optimiert und damit unseren Lagerwert. Wir haben ansonsten diverse Anbieter im Einsatz sowie auch Tools für die Optimierung des Kundenservices. Man kann sich diese Wertschöpfungskette wie einen äußeren Kranz vorstellen. Hier läuft alles vom Produkteinkauf bis zum Verkauf, also die ganzen Wertschöpfungsbereiche. Dann gibt es einen inneren Kranz, das ist unser BI- und Data-Analytics-Bereich; hier kümmern wir uns um das Schnittstellenmanagement zwischen diesen Spezialanwendungen. Der mittlere Bereich entscheidet dann, ob Investments in die IT und digitale Infrastruktur gut aus Sicht der Kunden, der Supplier und Partner sind – oder nur aus Sicht der Mitarbeiter. Unser Tech Stack ist definitiv eines der Dinge, das mich am meisten fasziniert.
Inwiefern?
SCHOLLE Wir haben unsere IT komplett entlang der Wertschöpfungskette und Customer Touchpoints aufgebaut. Darunter liegen unsere Spezialanwendungen, im Applikationsbereich ist das der reine Datenbankzugriff, Software as Service und die Kernapplikationen liegen in Clouds. Daneben gibt es als Partner die BI- und Data-Analytics-Welt. Hier haben wir ein sehr modernes Data-Lake-Modell, wir können alle Originalquellen anzapfen. Darin spiegeln wir den ganzen Shop, unser ERP-System, alle Google-Analytics-Zahlen etc. Die Zahlen werden ins Datawarehouse in Power BI integriert – und diese Power BIs sind Dashboards, die wir aus Sicht der Manager und Managerinnen bei uns bauen, also beispielsweise Marketing, Einkaufsbereich, Product Category Management etc. Wir aktualisieren sechs- bis achtmal am Tag unsere Daten und sind fast im Echtzeitmodus, auch in den Applikationen und der Datenauswertung. Und das alles mit einer ganz kleinen Truppe. Wir haben drei Leute, die BI und Data Analytics bei uns machen.
Wie stehst Du zu KI-Tools und Automatisierungen?
SCHOLLE Wir testen viel, klar, auch ChatGPT und die üblichen Tools, etwa im Kundenservice; für mich ist dabei aber immer die Verknüpfung von Artificial und Human Intelligence entscheidend. Man muss immer für sich überlegen, wofür man entsprechende Anwendungen nutzt und ob sie einen weiterbringen. Bin ich schneller und effektiver, kann ich besser skalieren? Smart vorzugehen ist wichtig. Es geht nicht darum, blind Organisationen zu bauen und viele Personen für ein Thema abzustellen, bei dem der Nutzen noch nicht wirklich klar ist. Wir sind aktuell noch nicht so weit, dass wir zum Beispiel komplettes automatisiertes Machine Learning haben oder Robots im Bereich Finanzabfragen etc. Mein Wunsch wären bessere intelligente Algorithmen für Forecasts. Da sind wir noch nicht. Heute geht es darum, Datenpunkte sinnvoll zu verknüpfen, das können wir mit unserem Data Warehouse. Dabei muss man immer auch aufpassen, dass man nicht im Datenwust verschwindet.
Wo siehst Du Herausforderungen und Chancen für die Zukunft?
SCHOLLE Chancen sehe ich bei unserer Internationalisierung und unserem Tech Stack, der nun gut aufgestellt ist. Unsere Herausforderung im Management Team ist die Frage, was der nächste Schritt ist. Wir wollen nicht Best Practice, sondern Next Level – und das nächste Level musst du immer bauen, was Energie kostet und neue Kompetenzen erfordert. Man hebt also etwas auf die nächste Stufe und weiß im gleichen Atemzug schon, dass das Spiel im nächsten Jahr weitergeht. Diese Wachstumstreppe kann eine Herausforderung sein. Es ist aber eine schöne.