
Markenstrategie Inspiration statt Rabatte: Westwings Weg aus der Krise
Westwing, einst eine E-Commerce-Plattform für Möbel und Wohn-Accessories, setzt immer stärker auf eigene Produkte und will mit guter Customer Experience die Krise hinter sich lassen.
Neue Sofakissen in den aktuellen Trendfarben gefällig? Oder doch gleich eine neue Couchgarnitur in zeitgemäßem Design? Wer auf der Seite oder in der App des Möbel-Onlinehändlers Westwing stöbert, der interessiert sich für die schönen Dinge der Einrichtung und Dekoration. Das Münchner Unternehmen, das 2011 gegründet wurde und im selben Jahr online ging, positioniert sich als Premiumanbieter von Einrichtungsgegenständen und hat neben diversen Marken, die es über die eigenen Plattform vertreibt, auch die Eigenmarke Westwing Collection im Angebot.
Doch das Leben als Online-Möbelhändler ist derzeit nicht einfach. Das Jahr 2022 war eines härtesten und schlimmsten Jahre für die Home & Living-Branche - vor allem für diejenigen, die wie Westwing auf ein digitales Geschäftsmodell setzen. Der britische Online-Möbelhändler Made.com musste Insolvenz anmelden, Home24 wurde für nur 250 Mio. Euro von XXXLutz geschluckt. Westwing blieben derartige Schicksale erspart, aber auch die Münchner mussten im August 2022 ihre Umsatzprognose anpassen. Und die anvisierte Milliarde Euro Umsatz, die Westwing noch im Mai 2021 vollmundig für das Jahr 2025 versprochen hatte, kassierte das Unternehmen damals bis auf Weiteres ein.
Und so befindet sich Westwing auch gezwungener Maßen mitten in der Weiterentwicklung zu einem Unternehmen, dass derartige Krisen künftig hinter sich lassen will. Zu Höhenflügen setzt Westwing noch nicht an, aber ein Sparplan, neue Geschäftsfelder, ein stärkerer Fokus auf die Kunden und eine Zusammenführung der Angebote sollen die Marke Westwing zukunftsfähig machen und wieder zu alter Stärke zurückführen.
Einst Profiteur der Pandemie
Wie die gesamte Möbelbranche, hat auch Westwing von der Corona-Pandemie zunächst profitiert, musste aber nach dem Einbruch der extremen Nachfrage durch das Ende der Pandemie, den Krieg in der Ukraine, die Inflation und das Wiedererstarken der Reisebranche Federn lassen. Dazu kamen wie bei allen Playern zu hohe Lagerbestände und damit verbundene Rabbattschlachten, die das Ergebnis 2022 abstürzen ließen.
Inzwischen hat Westwing nach eigenen Angaben die Talsohle der Krise überschritten und befindet sich wieder auf dem Weg nach oben. Noch sind die Umsatzzahlen verhalten, im Mai 2023 meldete Westwing für das erste Quartal 2023 einen Umsatz von 103 Millionen Euro, noch sieben Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Doch CEO Andreas Hoerning sieht das Unternehmen auf dem richtigen Weg, will die zweite Jahreshälfte 2023 mit positivem Wachstum abschließen.

CEO Andreas Hoerning will Westwing weiterentwickeln und setzt dabei auf frischen Wind und eine gute Customer Journey.
Westwing
Es weht also frischer Wind in den Büroräumen im Münchner Norden, wo Westwing seinen Hauptsitz hat. Unterstützung bekommt CEO Hoerning bei seinem ambitionierten Vorhaben unter anderem von Rik Strubel, der Anfang 2023 von Henkel als CMO zu Westwing wechselte. Hoerning selbst ist seit Juli 2022 als CEO bei Westwing, zuvor war er Chief Creative Officer im Unternehmen und löste Mitte 2022 Mit-Gründer Stefan Smalla an der Spitze ab.
Nicht nur personell hat Westwing sich von Altem getrennt. Auch die Ausrichtung des gesamten Unternehmens ist neu. Bereits in der Presseerklärung zu seiner Ernennung als CEO sagte Hoerning, Westwing solle sich "noch mehr als bisher auf das Kundenerlebnis und unsere Brand fokussieren." Konkret heißt das: Die Westwing Collection rückt in den Mittelpunkt. Die Eigenmarke ist im Premiumbereich angesiedelt, differenziert sich damit klar vom Marktführer Ikea und bietet günstige Alternativen zu den bekannten Luxus-Designmarken, die auch über Westwing erhältlich sind. "Wir sind dabei, Westwing weiterzuentwickeln", sagt Hoerning. So soll der bisherige Ansatz aus kuratierten Produkten und viel Inhalt zur Inspiration künftig noch stärker betont werden.
Die eigenen vier Wände werden wichtiger
Dafür spielen Hoerning einige Trends und Themen im Home & Living-Bereich in die Karten. "Immer mehr Menschen legen bei der Einrichtung Wert auf Design", sagt Hoerning. "Und es sind nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer, die sich für schöne Einrichtung interessieren." Gleichzeitig zeigen immer mehr Menschen gerne ihre eigenen vier Wände auf den sozialen Plattformen einer breiten Öffentlichkeit. "Wir beobachten eine starke Öffnung der eigenen Wohnräume nach außen", sagt Hoerning. "Es geht schon lange nicht mehr um Funktionalität allein, sondern sehr stark um die Ästhetik und um das Präsentieren des eigenen Stils."
Dementsprechend wichtig werden mit diesem Trend Deko-Elemente wie Kissen, Vasen und Bilder, die eine Wohnung immer wieder anders und neu aussehen lassen. Diesen Trend will Westwing für sich nutzen. "Unser Ansatz war immer Inspiration", sagt Hoerning. Die Kunden sollen auf der Seite stöbern und mit ihren Bedürfnissen abgeholt werden. Und so setzt Hoerning auf ein kuratiertes Produktportfolio, viel Content, Inspiration und Brandbuilding.
Shop und Club unter einem Dach
Zudem soll die Customer Journey auf der Seite und in der App optimiert werden. Dazu führt Westwing unter dem internen Schlagwort "OneWestwing" das Shop und den Club, der registierten Mitgliedern Themenwelten vorschlägt, zusammen. Bisher unterteilte sich das Angebot in Westwing und Westwing Now. Ab sofort sind beide Angebote auf einer Seite zu finden, Westwing Now heißt jetzt Westwing Shop.
Der Club bleibt und bietet sehr temporäre Kollektionen an - dabei geht es nicht um eine Liste an Produkten, sondern um Themen, Home Stories und Kollektionen zu einem bestimmten Thema. "Mit der Zusammenlegung vereinfachen wir die Customer Experience", sagt Hoerning. "Denn wir stellen unseren Shop und damit die Westwing Collection sowie die dort gelisteten Partnerbrands noch mehr in den Vordergrund."
Die enge Verzahnung der Angebote führt dazu, dass die Kunden stärker hin- und her wechseln - wenn auch die Motivation der Besuche eine andere ist. Wer im Shop stöbert, sucht in der Regel konkret nach meist größeren Einrichtungsgegenständen. Da hier die Entscheidungszeiträume lang sind, setzt Westwing hier auf ein permanentes Sortiment. Rund 16.000 Artikel bietet das Shop derzeit. Die Club-Besucher kommen viel häufiger, wollen sich inspirieren lassen und bei Trends up to date sein. Alle vier Tage wechselt hier die Kampagne - das Angebot ist mit einer sechsstelligen Anzahl an Artikeln pro Jahr deutlich größer und es werden mehr Dekoartikel mit kleineren Warenkörben gekauft.
Westwing Collection im Fokus
Mit dem neuen Fokus auf die Westwing Collection, die hauptsächlich Möbel umfasst und vor allem im Shop zu finden ist, stärkt das Unternehmen sein Shop - wenngleich Westwings ursprüngliche Geschäftsidee der Clubgedanke war, zu dem man sich anmeldet und dann kuratierte Angebote ausgespielt bekommt. 2015 kam der Shop hinzu, um auch den Menschen ein Angebot zu liefern, die über einen längeren Zeitraum eine Entscheidung treffen wollen. Jetzt soll der Inspirationsgedanke auch in den Shop einziehen.
Im ersten Quartal 2023 machte die Westwing Collection 46 Prozent des Umsatzes aus - künftig soll das noch mehr werden. Denn die Kollektion verspricht wie jede Eigenmarke eine deutlich höhere Marge und bindet die Konsumenten an die Marke Westwing. "Wir wollen das permanente Angebot immer mehr mit dem temporären verknüpfen”, sagt Hoerning. "Dazu gehört beispielsweise, dass wir künftig Homestories und ähnlichen Content auch im Shop aufsetzen werden." Hier soll es künftig noch mehr um Inspiration, Entertainment und eine bessere Customer Experience gehen. An einem gemeinsamen Warenkorb und Checkout beider Angebote arbeitet Westwing.
Ergänzung um den stationären Handel
Seit November 2022 können die Hamburger Kunden von Westwing die Produkt vor dem Kauf auch anfassen. Seitdem hat der erste Westwing Store am Jungfernstieg offen. "Ich bin davon überzeugt, dass ein Unternehmen, das wirklich erfolgreich sein will, die verschiedensten Arten der Customer Journey anbieten muss", sagt Hoerning. "Und je höherpreisig die Produkte sind, desto mehr spielt das physische Erlebnis eine Rolle." Zum einen gehe es darum, das Produkt anfassen zu können. Aber das ist nur ein Aspekt. "Viel mehr als um das Testen eines Möbelstücks geht es aber um das Markenerlebnis", sagt der CEO. "Deswegen haben wir den Store in Hamburg auch sehr einladend konzipiert mit Atmosphäre, Licht und Farben. Es ging darum, die Marke Westwing zu präsentieren."
Aufmerksamkeit generiert das Unternehmen mit organischem Traffic auf den Social-Media-Plattformen. Elf Millionen Follower hat Westwing über alle bespielten Kanäle hinweg - dazu zählen Instagram, Facebook, Pinterest, Youtube und Tiktok. Allein neun Millionen Follower verzeichnen die globalen Instagram-Accounts von Westwing konsolidiert. Alle zehn Minuten kommen von der 100-köpfigen internen Content-Abteilung neue Inhalte - das sind über 1000 Posts pro Woche, darunter 300 Instagram-Posts und 100 Instagram Stories. "So bleiben wir mit unseren Bestandskunden im Kontakt und gewinnen darüber auch Neukunden", sagt Hoerning. "Durch den Club haben wir immer die Möglichkeit, neue Geschichten zu erzählen und daraus neuen Content zu generieren."
Auf dem Weg zur Lovebrand
Westwing hat sich auf den Weg gemacht, eine Lovebrand zu werden. In den kommenden Jahren will Hoerning das Unternehmen als Premium Home & Living Brand in den Herzen der Konsumenten verankern. Dazu bietet Westwing mit dem Westwing Studio auch eine Einrichtungsberatung an, die die Kunden noch stärker in eine Interaktion mit der Marke bringen soll. Und für Unternehmen gibt es mit Westwing Business die Möglichkeit, Büroräume, Cafés oder Läden mit den Möbeln von Westwing auszustatten.
Schon jetzt sind die Touchpoints und Angebote der Einrichtungs-Plattform so vielfältig wie die Ansprüche der Kunden. Diese zu erkennen und zu bedienen, hat Westwing bereits verstanden. Mit der konsequenten Umsetzung dieses Wissens, einer optimierten Customer Journey, die die Kunden jederzeit abholt und viel inspirierendem Content, sollte jetzt auch der Weg aus der Krise für Westwing zu schaffen sein.
Der Artikel erschien zuerst bei unserem Schwesterportal W&V.
Text: Lena Herrmann