
Gastkommentar Tanz zwischen den Welten: Vom aktuellen "Online-Offline-Tango"
Dörte Kaschdailis ist Handelsexpertin für strategisch-operative Geschäftsentwicklung und komplexes Umsetzungsmanagement.
Dörte Kaschdailis ist Handelsexpertin für strategisch-operative Geschäftsentwicklung und komplexes Umsetzungsmanagement.
Der Vergleich der Handelsorganisationen nach Kanälen ist obsolet, sagt Dörte Kaschdailis. Sie plädiert dafür, die Bemühungen um den "Share of Wallet" insgesamt zu verstärken, unabhängig davon, welche Transaktionskanäle angeboten werden.
Von Dörte Kaschdailis, Co-Founderin und Managing Partner von opexxia
Momentan geistert ein E-Commerce-Schreckgespenst durch die C-Etagen, das Gespenst nennt sich Einkaufsstraße. Schon ironisch. So konnte etwa der Modehandel im Jahr 2023 bisher zulegen (laut Textilwirtschaft knapp 4 Prozent im aufgelaufenen Geschäftsjahr) und - jetzt bitte festhalten - dieser Zuwachs kommt aus dem stationären Geschäft. Was ist da los bei den Kund: innen, tanzen sie doch lieber offline?
Anfang des Monats hat der HDE eine aktuelle Prognose für den Handel herausgegeben. Demnach wird overall der Onlinehandel real knapp zulegen und der stationäre Handel in Summe weiter verlieren im Jahr 2023. Wir sehen aber offenbar segmentspezifische Momentaufnahmen (siehe Modehandel), die ein anderes Bild zeigen.
Was soll man nun aus solchen Zahlen ableiten? Der bevh meldet einen Umsatzrückgang für den Onlinehandel von bummeligen -14 Prozent im aktuellen Geschäftsjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 2022. Im Vergleich zu 2019 jedoch ein Plus von 14 Prozent: "Die schlechte Konsumstimmung in Deutschland macht sich auch zur Jahresmitte im Onlinehandel bemerkbar. Gegenüber dem Vergleichsquartal 2022 sanken die Online-Umsätze mit Waren (inkl. Mehrwertsteuer, nicht preisbereinigt) von Anfang April bis Ende Juni um 12,2 Prozent auf 19,17 Milliarden Euro. Auf das gesamte erste Halbjahr gesehen, liegen die bisher aufgelaufenen Umsätze zur Jahresmitte (Q1 + Q2) sogar rund 13,7 Prozent unter dem Vergleichswert von 2022. Verglichen mit dem gesamten ersten Halbjahr 2019, also vor Ausbruch der Corona-Pandemie, schlägt weiterhin ein Plus von 14,7 Prozent zu Buche."
Da wird man meschugge… plus minus ist gleich ... was?
Meines Erachtens lassen diese aktuellen Zahlen keine Kernaussage zu und die Vergleiche der Handelsorganisationen nach Kanälen sind obsolet. Die knappe Zeit, die knappen Ressourcen und das begrenzte Know-How der Handelsunternehmen müssen in relevante Kundenmaßnahmen fließen.
Ob die Kundschaft den "Share of Wallet" digital oder analog da lässt, darf nicht die Rolle spielen, insofern sie es überhaupt da lässt. In dem Zusammenhang sprechen die Kollegen von McKinsey vom "Zero Consumer" - Zero Boundaries, Zero Loyalty, Zero Patience … Zero Everything - Gemeinheit!
Sicher ist, dass die Bemühungen um diesen "share of wallet" steigen müssen, egal welche Transaktionskanäle zur Verfügung gestellt werden. Nur offline bedeutet eben mehr Bemühung auf der Fläche, nur online mehr Bemühung in der Personalisierung, beides? Mehr Aufwand in Sachen "Zero Boundaries".
Halbherzigkeit wird bestraft, in jeder Hinsicht. Die Krise wird auch wieder vorbeigehen und die Kundschaft wird sich weiterhin verhalten, wie sie will. Die Frage wird sein, wie man sich aufgestellt hat, wie flexibel das eigene Geschäftsmodell wirklich ist und was man bereit ist, dafür zu investieren. Meines Erachtens liegt das größte Investment im "Weglassen". Weglassen ist das neue Umsetzen. Man kann nicht auf vielen Hochzeiten tanzen, dafür auf einer vielleicht richtig gut. Den eigenen Tanzstil muss man finden und perfektionieren, den Rest eben weglassen.