
Kolumne Stadt, Land, Food: Liefern auf dem Land lohnt sich
Lassen sich eigentlich nur Hipster, die in den nächsten 15 Minuten Haferjoghurt brauchen, Lebensmittel liefern? Oder warum dreht sich im E-Food alles um Städte, Gorillas und Flink - wo doch das Land viel attraktiver wäre, als die Stadt? Ein Glosse von Jochen G. Fuchs.
Die E-Commerce-Branche richtet ihr Augenmerk auf die irre spannenden Last-Mile-Konzepte wie Gorillas oder Flink in den Großstädten. Aus irgendeinem Grund scheint der Single-Haushalt, der zwei Cola und einen veganen Haferjoghurt bestellt, extrem attraktiv zu sein. Ich stelle euch nun ein verwegenes, völlig irres und disruptives Konzept vor: den Familien-Wochenendeinkauf auf dem Land!
Was ist attraktiver für den Online-Lebensmittelhandel: Stadt oder Land?
Instinktiv dürften die meisten unter uns die Frage schnell mit "Stadt" beantworten. Die hohe Bevölkerungsdichte und die kurzen Wege sind ein schlagkräftiges Argument, das für die Stadt spricht. Klar, wenn die Bevölkerungsdichte auf vier Mann und Maus pro Quadratkilometer sinkt, rentiert sich ein Gorillas-Rider nicht mehr. Oder hustet sich die Lunge aus dem Leib bei durchschnittlich drölfzig Kilometern pro Fahrt.
Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Denn eigentlich ist die Fragestellung falsch, es geht nicht um Stadt oder Land für den Lebensmittelhandel.
It's the Umsatz, stupid!
Das ist ja unheimlich toll, wenn die radelnden Exitgeier mit ihrer Lieferinfrastruktur tausende KundInnen abdecken können. Die dann für dreifuzzig zwei Cola und einen veganen Haferjoghurt bestellen. Klar, auf so ein Bike passen einige Haferjoghurts, wenn da jeder Kunde noch Liefergebühren bezahlt, kann die RadlerIn ja auch noch fair (Hustenanfall) bezahlt werden und es rentiert sich irgendwie. Aber echter Umsatz ist etwas anderes …
Der Familien-Wochenendeinkauf ist eine feste Institution auf dem Land
Auf dem Land verfügt die durchschnittliche Familie über mehrere Kühlschränke, Vorratsräume, einen Keller und eventuell noch über einen Kartoffel- oder Kohlenkeller. Sorry, mit kleinen Kindern braucht man das auch, um nicht nach 24 Stunden erneut Fruchtzwerk-Joghurtsteigen herbeischaffen zu müssen. Das bedeutet, dass in der Regel einmal in der Woche ein Großeinkauf in dreistelliger Warenkorbhöhe ansteht.
Selbst wenn zehn Kunden gleichzeitig Haferjoghurt bestellen, dürfte die Gorillas RadlerInnen eine Weile radeln, um einen dreistelligen Eurobetrag einzufahren. Gut, die RadlerInnen sollte ich jetzt ohnehin langsam aus der Geschichte heraushalten, die balancieren schließlich keine zwei Mineralwasserkästen und zwölf Flaschen Eistee auf der Lenkstange.
Aber kurzum: Die Umsätze, die Lieferdienste auf dem Land einfahren, dürften um ein Vielfaches höher als in der Stadt sein. Das Konzept des Wochenendeinkaufs (der nicht wirklich immer am Wochenende stattfinden muss) konzentriert die Umsätze auf einen Tag und macht die Logistik der Lieferdienste planbarer.
Es wird auch in der Stadt Familien geben, die einen Wochenendeinkauf machen, das ist mir klar. Die Argumentation in diesem Beitrag zielt auch nicht darauf ab, die Stadt für unattraktiv zu erklären. Sondern mal deutlich darauf hinzuweisen, dass der Online-Lebensmittelhandel auf dem Land ziemlich attraktiv werden kann. Bei den geringen Margen sind hohe Warenkörbe, wiederkehrende Bestellungen und planbare, effiziente Logistik nämlich absolute Killer-Kritierien.
Stadt, Land, Exit
Die hippen Start-ups, die hinter den RadlerInnen stehen, deren eigentliches Business ist Infrastruktur, nicht Lebensmittel. Wer Infrastruktur-Startups ins Silicon Valley verkaufen will, geht mit RadlerInnen in die Stadt. Wer Lebensmittel verkaufen will, geht mit Elektrotransportern auf's Land. Ein Blick auf das mutmaßlich milliardenschwere E-Food-Unternehmen Picnic zeigt, wie so etwas aussehen muss.
Transparenzhinweis: Bevor ich von einem Haferjoghurt-Shitstorm überrollt werde: Ich bin ein laktoseintoleranter Hipster mit Hut (ohne Bart), liebe Haferjoghurt und meine Anspielungen sind natürlich ausschließlich ein selbstironischer, selbstreferenzieller rhetorischer Hipster-Anstrich, um die deklarierte Zielgruppe der Lieferdienste zu karikieren. Also mich. Alle anderen Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind Zufall. Total.
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