
Interview mit Ralf Gernhold, DB IT-Projekt: So digitalisiert die Deutsche Bahn ihren Vertrieb
Nicht nur für den Handel, auch für die Deutsche Bahn ist Omnichannel die Kanalstrategie der Zukunft. Das Programm Vendo soll das Vertriebssystem und die Kundenschnittstellen digitalisieren. Programmleiter Ralf Gernhold gibt Einblicke in das IT-Projekt.
Die Zukunft der Mobilität digitalisieren - das ist das große Vorhaben der Deutschen Bahn seit einigen Jahren. Wesentlicher Bestandteil hierfür ist das Vendo-Programm, dessen Leiter Ralf Gernhold ist. Er war bis April 2023 zudem CTO der DB Vertrieb und ist nun Leiter der IT Sales Plattform. In der Funktion ist er für die die Weiterentwicklung der Vertriebsplattform des Personenverkehrs der Deutschen Bahn verantwortlich. Sein großes Ziel ist es, die Brücke zwischen Anbieter und User auszubauen. Im Interview erzählt er, wie das Unternehmen das Vertriebssystem und die Kundenschnittstellen digitalisiert und welche Herausforderungen ein solch millionenschweres IT-Projekt mit sich bringt.
Ralf, wir sind ein Fachmagazin für die E-Commerce- und Omnichannel-Branche. E-Commerce und die Deutsche Bahn: Wie passt das zusammen?
Ralf Gernhold: Ich kann nicht nachvollziehen, warum der Begriff "E-Commerce" in der Regel nur auf den Handel bezogen wird. Wir sehen uns als E-Commerce-Player, da wir Mobilitätsdienstleistungen über digitale Plattformen verkaufen. Unsere Kanalstrategie entspricht der vieler Handelsunternehmen: Wir haben einen Onlineverkauf über unsere digitalen Kanäle - und wir haben einen stationären Vertrieb über unsere Reisezentren und im weiteren Sinne über unsere Verkaufsautomaten. Blickt man also einmal aus der Vogelperspektive herab und sieht von Aspekten wie der Logistik beispielsweise ab, sehe ich uns als klassischen E-Commerce-Player.
Omnichannel, Customer Centricity und flexible Systeme sind die Trends im Handel. Die Begriffe charakterisieren auch das Projekt Vendo, oder?
Gernhold: So ist es. Im Programm Vendo entsteht das neue Vertriebssystem der DB für den Personenverkehr. Es ist das größte IT-Projekt der Deutschen Bahn und startete 2018. Ende 2022 brachten wir den Next Navigator und die Next Bahn.de App in die Betaphase. 2023 erfolgt nun der finale Roll-out.

Ralf Gernhold, Leiter IT Sales Plattform DB Fernverkehr AG
Sonja Herpich/INTERNET WORLD
Wie ist das Projekt damals entstanden?
Gernhold: Unser Bestandsvertriebssystem ist evolutionär gewachsen. Vor etwa 30 Jahren wurde das derzeitige Ticketing „digitalisiert“. Das heißt, der Kunde konnte ins Reisezentrum gehen, ein Fahrtziel nennen, woraufhin er Preis errechnet und das Ticket erstellt wurde. In einem zweiten Schritt wurde dieser Vorgang zu einem Selfservice weiterentwickelt: Der Automat kam hinzu. Die dritte Säule bildete sich im Jahr 2000. Heute ist der Onlineverkauf unser reichweitenstärkster und strategisch wichtigster Kanal. Mit dem alten Vertriebssystem waren wir sehr limitiert: Wenn sich der Fahrgast ein Ticket am Automaten kaufte und sein Zug Verspätung hatte, konnten wir diesen überhaupt nicht mehr erreichen, weil wir ihn schlicht nicht kannten. Er war zwar registriert, wir konnten ihn bei einem Zugwechsel auch umbuchen - nur leider hat er nie davon erfahren. Ähnliches galt beim Ticketkauf in Reisezentren. Dieser Zustand ist so in der heutigen Zeit nicht mehr haltbar. Wir haben uns daher entschieden, alle digitalen Repräsentanten des Tickets abzubilden und über alle Kanäle einheitlich auszuspielen. Das Ticket, das man im Reisezentrum kauft, findet man auch auf dem Handy wieder und vice versa. Es geht also tatsächlich um den Omnichannel, das ist der Haupttreiber, den wir für die Zukunft benötigen.
Wenn Nutzer peu à peu auf digitale Kanäle umsteigen sollen: Was passiert mit den "Offline"- Kanälen?
Gernhold: Wir wollen all unsere Produkte, etwa die Bahncard, digitalisieren - ja, das stimmt. Bei uns geht es aber nicht um das Abschaffen des Point of Sale, also des Reisezentrums. Wir incentivieren online im Gegenzug auch nicht, beispielsweise durch rabattierte Onlinetickets. Es geht eher um ein Umshiften.
Digitalisierung als strategischer Faktor
Ihr wollt euch streng auf die Kundenbedürfnisse ausrichten. Wie hilft euch hier die Digitalisierung?
Gernhold: Für uns ist Digitalisierung ein wesentlich strategischer Faktor für alle Bereiche des Unternehmens. Nicht nur im Vertrieb. Beispiel: Innerhalb des Systemverbunds Bahn im Netz haben wir einen relativ großen Investitionsrückstau. Zur Kundenzufriedenheit gehört nun nicht nur, das Produkt und das Ticket selbst zu verkaufen. Das bekommen wir einigermaßen zufriedenstellend hin. Es geht vielmehr darum, den Kunden auf seiner Reise zu begleiten, Prognosen zu liefern und Probleme zu lösen, die in diesem Zusammenhang eventuell aufkommen. Hier kann nur Digitalisierung helfen. Das gilt auch in den After-Sales-Prozessen, etwa bei den Fahrgastrechten. Wir haben m vergangenen Jahr digitale Fahrgastrechte eingeführt, damit der Kunde seine Rechte schneller in Anspruch nehmen kann. Wenn es Schwierigkeiten gibt, etwa wie wir sie zu Beginn der Corona-Krise hatten, als wir unzählige Tickets erstatten mussten, ist digitale Unterstützung ebenfalls unerlässlich.
- monatl. digitale Commerce Briefings
- tägl. Commerce Shots Newsletter
- alle digitalen plus-Inhalte
- 1x Magazin in Print und Digital
- exklusive Rabatte der INTERNET WORLD Events & Academy
*danach 24,92 € pro Monat im Jahres-Membership; monatlich kündbar.
INTERNET WORLD Abonnenten können im Rahmen ihres Memberships auf alle Inhalte zugreifen. Noch keine Zugangsdaten? Dann schreib uns an: kundenservice@ebnermedia.de.
Weitere Angebote findest du hier.
- Unser daily-Newsletter informiert einmal täglich mit News, aber auch tiefen Insights und Analysen über die wichtigsten Themen aus der digitalen Commerce- und Marketing-Branche. Jetzt kostenlos abonnieren!
- Early birds, die bereits am frühen Morgen wissen wollen, was im nationalen und internationalen E-Commerce alles los ist, legen wir die Commerce Shots ans Herz: Jetzt abonnieren!