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Franziska Leonhardt

Gründerin Franziska Leonhardt Ave & You: "KI wird den Kosmetikmarkt revolutionieren"

KI werde zu Demokratisierung und mehr Transparenz in Sinne der Konsumenten führen, sagt Ave-&-You-Gründerin Franziska Leonhardt.

Ave & You

KI werde zu Demokratisierung und mehr Transparenz in Sinne der Konsumenten führen, sagt Ave-&-You-Gründerin Franziska Leonhardt.

Ave & You

Künstliche Intelligenz wird massive Veränderungen in allen Industrien bringen. Und riesige Chancen für neue Geschäftsmodelle. Ein Beispiel ist die Kosmetik und eines der besten KI-Start-ups Deutschlands.

Sprachmodelle, Marketingautomation und Industrieprozesse. Darum geht es meist, wenn wir über KI sprechen. Kosmetik verbinden dagegen die wenigsten mit Künstlicher Intelligenz. Dabei arbeitet das Start-up Ave & You schon seit fünf Jahren daran, mit KI die Gesichtspflege zu revolutionieren. Das Geschäftsmodell ist also, im Gegensatz zu vielen anderen, viel mehr als ein PR-Coup im Windschatten von ChatGPT. 

Hinter Ave & You stecken Franziska Leonhardt, Anwältin und BWLerin, sowie Dominik Michels, Informatiker. Beide promoviert, beide mit Lehrstuhl an der Uni - sie für Digital Entrepreneurship in Berlin und er für Intelligente Algorithmen in Darmstadt. Doch ihr Hauptjob ist es seit fünf Jahren, Cremes, Seren und Reinigungsgele zu verkaufen. 

Ein Algorithmus mischt die Creme

Dabei machen sie eines grundlegend anders als andere Kosmetikhersteller. Ihre Formulierungen basieren auf 30 Millionen Datenpunkten. Dahinter steckt eine riesige Datenbank mit Informationen zu mehreren Tausend Wirkstoffen. Diese Sammlung haben sie mühsam mithilfe von Dermatologen zusammengestellt. Und jetzt kommt die KI ins Spiel: Algorithmen entwickeln auf Grundlage dieses Wissens die Rezepturen von individuellen genauso wie von massentauglichen Produkten. Werden neue Zutaten entdeckt, lizenziert oder neue Erkenntnisse zur Wirksamkeit gemacht, können sich die Rezepturen verändern.

Team-Ave-You

Franziska Leonhardt, Anwältin und BWLerin, sowie Dominik Michels, Informatiker, haben Ave & You gegründet.

Ave & You

Der Wirkstoffwissensschatz ist das Herz von Ave & You. Er, davon ist Franziska Leonhardt fest überzeugt, versetzt das Unternehmen in die Lage, bessere Produkte für jeden einzelnen anzubieten - weil nicht einfach nur werbewirksame Modezutaten mit Erdöl gemischt werden. Sondern, weil die passendsten Zutaten abhängig von der gewünschten Wirkung kombiniert werden können. 

Leonhardt unterteilt die Produktpalette in "personalisiert" und "semipersonalisiert". Wer sich eine personalisierte Creme erstellen lassen möchte, muss vorher einen umfangreichen Test durchlaufen und ein Foto der eigenen Haut hochladen. Auf Basis der Angaben und der Analyse des Fotos stellt der Algorithmus eine individuelle Rezeptur zusammen. Die Creme bekommt einen persönlichen Namen, "Ave & Max" oder "Ave & Annabell" zum Beispiel.  

Die Marke bezeichnet sich selbst als genderneutral. Mit dem "You" im Markennamen hat das Gründerteam absichtlich Raum für Individualisierung der Marke gelassen. "Jede und jeder soll Teil der Marke werden können", erklärt Leonhardt.

Ave-You-Cremes

Jede und jeder soll Teil der Marke werden können, in dem der eigene Name in den Produktnamen einfließt.

Ave & You

Die "semipersonalisierten" Produkte sind nicht auf jeden einzelnen zugeschnitten. Aber "es stecken immer noch viel mehr Daten darin als in den Standardprodukten im Handel", sagt Leonhardt. Für sie wendet das Start-up das Wissen der Datenbank, um die nach ihrer Auffassung besten Produkte für die breite Masse herzustellen. Sie nennt das die KI-basierte Demokratisierung des Kosmetikwissens.

"Das Marketing macht es nur noch schlimmer"

Leonhardt selbst ärgerte sich irgendwann darüber, dass ihr Bad überquoll vor lauter Cremes und Tiegel und Tuben, die geöffnet waren, aber die sich nicht aufbrauchte, weil sie doch nicht zu ihr passten. "Der Markt ist so undurchsichtig und das Marketing macht es nur noch schlimmer." Die angefangenen Produkte landeten im Müll - alles andere als nachhaltig. Sie stellte sich die Frage, warum es nicht die eine perfekte Kosmetik gab, die genau ihren Bedürfnissen entsprach.

Und dann lernte sie in den USA Dominik Michels kennen und sie beobachteten gemeinsam, dass personalisierte Kosmetik dort schon verbreitet war. Also warfen sie ihre beiden Expertisen zusammen und beschlossen, eine solche Marke für Europa zu gründen. "Wir wollen mit unserer Marke die Lösung für den undurchsichtigen Markt und die vielen Fehlkäufe bieten, weil man bei uns das perfekte Produkt bekommt."

Semipersonalisiert

Nicht individuelle Produkte heißen bei Ave & You "semipersonlisiert".

Ave & You

Der hiesige Kosmetikmarkt ist kein einfacher. Schließlich ist er gesättigt und von wenigen großen Playern dominiert. Doch Leonhardt ist überzeugt: "Innovation hat immer eine Chance". Dass Ave & You eine solche Innovation mit Potenzial ist, bestätigte zumindest Die Welt: 2020 kürte die Zeitung das Unternehmen als eines der drei besten KI-Start-ups Deutschlands.

Nachhaltigkeit ist auch jenseits der Produktverschwendung ein wichtiges Thema. "Die Herstellung der meisten Kosmetikprodukte ist nicht nachhaltig. Sie werden auf die maximale Marge hin optimiert, weshalb die Inhaltsstoffe oftmals um die ganze Welt transportiert werden, bevor sie in der Creme landen. Dasselbe gilt für die Komponenten der Verpackung", kritisiert Leonhardt.

"Unser Anspruch ist es, nur auf das beste Produkt hin zu optimieren. Wir planen unsere Produktion techbasiert und stellen nur nach Bedarf her. Wir produzieren in Deutschland, beziehen viele Rohstoffe wie auch die Verpackungen von hier oder aus Europa." Dass die Marge dadurch geringer ausfällt, nehmen sie in Kauf.

Buzzwords

Das Trendthema KI war für Ave & You bisher kein strategischer Teil des Storytellings. Weil es ein Buzzword sei, und Leonhardt mag keine Buzzwords. In Zukunft aber soll der Algorithmus Teil des Storytellings werden: "Wir wollen mehr Transparenz in den Markt reinbringen und mutiger kommunizieren, was eigentlich hinter der Marke steckt." Bisher waren die Community und User-generated Content die wichtigste Marketingstrategie. Hinzu kamen ein bisschen Performance Marketing, Social mit Testimonial Leonhardt als Gesicht der Marke und nur sehr wenig Google. Sie seien einfach keine Search-Brand.

Ein weiteres strategisches Ziel hat sich Ave & You gesetzt: Die einstige Pureplay-D2C-Brand will den Schritt in den stationären Handel schaffen. Ausschließlich mit den nicht-individualisierten Produkten selbstverständlich. Aktuell ist das Start-up auf der Suche nach einem Handelspartner. Dabei kommt es ihnen nicht auf die Größe der Handelskette an, sondern darauf, dass der Partner an sie glaubt und der Marke Vorschussvertrauen gibt. Damit sich die Demokratisierung auch im stationären Handel nachhaltig entwickeln kann.

Welche Potenziale hat KI in der Personalisierung?

Drei Fragen an Ave-&-You-Mitgründerin Franziska Leonhardt:

Frau Leonhardt, wird KI den Kosmetikmarkt revolutionieren?
Franziska Leonhard: Zu 100 Prozent ja. KI wird jeden Markt revolutionieren. Es wird keinen Markt geben, der von den technischen Fortschritten unangetastet bleibt. Alle Bereiche werden angefasst. ChatGPT hat bewiesen, dass KI eine Daseinsberechtigung in der breiten Masse hat. Trotzdem verstehe ich natürlich, dass es Ängste gibt. Aber für unseren Markt, der sehr undurchsichtig ist, wird KI zu Demokratisierung und mehr Transparenz in Sinne der Konsumenten führen. 

Lässt sich das Modell der KI-basierten Personalisierung auch auf alle anderen Bereiche übertragen? Kleidung, Lebensmittel, Medikamente, Nahrungsergänzung?
Leonhard: Ja, natürlich. Plattformen, wie wir sie gegründet haben, werden immer mehr werden. Dass sich die Menschen individuell ausdrücken wollen, ist nichts Neues. Schon früher haben Apotheken individuelle Cremes für die Menschen zusammengerührt. Aber sie waren aufgrund der Kosten nur wenigen Wohlhabenden vorbehalten. Die Technologie wird uns helfen, diese Kosten zu senken, sodass sich bald auch die breite Masse die Individualisierung leisten kann. KI bedeutet in dem Fall Demokratisierung. 

Was sind eure Ambitionen für Ave & You?
Leonhard: Mein Traum ist es, nachhaltigere und bessere Produkte wie die von Ave & You für so viele Menschen wie möglich zugängig zu machen. Da denke ich über Kosmetik hinaus. Wir werden sehen, welche weiteren Verticals mit unserem Technologieansatz möglich sind. Gesichtspflege ist nur der Anfang.

Der Artikel erschien zuerst beim INTERNET WORLD-Schwesterportal W&V.
Text: Verena Gründel

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