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Florian Heinemann

Interview Project-A-Chef: "Wir wollen profilierte Eigenmarken"

Project-A-Chef Florian Heinemann

Project-A-Chef Florian Heinemann

Warum Project A mit Brand Ventures auf die Entwicklung von Eigenmarken setzt, erklärt Project-A-Chef Florian Heinemann im Interview mit INTERNET WORLD Business.

Horizn Studios heißt die erste Eigenmarke der Unternehmensschmiede Project A. Doch der Produzent smarter Taschen, der schon vor einigen Wochen erste Lebenszeichen von sich gab und unter anderem auch von Vorwerk Ventures und dem ehemaligen Puma-Chef Franz Koch finanziell unterstützt wird, soll nicht die einzige eigene Marke des Early-Stage-Investors bleiben. INTERNET WORLD Business sprach mit Project-A-Chef Florian Heinemann über die neue Strategie der neuen Tochter.

Herr Heinemann, Project A hat mit Brand Ventures den Einstieg in den Handel mit Eigenmarken angekündigt. Warum tun Sie sich den Stress an?
Florian Heinemann: Weil wir sehen, dass man, um im E-Commerce erfolgreich zu sein, heute mehr machen muss, als Drittmarkenhandel zu betreiben. Der Markt ist inzwischen größer und komplexer geworden, es geht um weitaus mehr als um die Verfügbarmachung von Produkten. Drittmarken sind heute überall verfügbar, man unterliegt einem direkt vergleichbaren Wettbewerb und da verkauft man nur über Preis. Bis zu einer gewissen Umsatzhöhe, sagen wir im kleinen einstelligen Millionenbereich, kann man mit Drittmarken, die nicht so im Fokus sind, natürlich noch Geld verdienen. Aber wenn Sie die Ambition haben, eine gewisse Umsatzflughöhe zu erreichen, wird das rein margentechnisch mit einem reinen Drittmarkenportfolio relativ schwer. Da ist es für Händler der logische erste Schritt, eigene Marken unter ein Portfolio von Drittmarken zu mischen. So macht es Zalando, so macht es unser Portfolio-Unternehmen nu3, der europäische Marktführer für intelligente Ernährung. Der Extremansatz ist dann die vertikal integrierte Marke, wo verschiedene Produkte unter einem Namen monothematisch in einem Shop verkauft werden. Erfolgreiche Beispiele sind unter anderem der Brillenhersteller Warby Parker oder die Rasurmarke Harry’s.

Herrenhandtasche

Die Herrentasche von Horizn Studios hat nicht nur ein Ladefach, sondern bietet auch einen 12-Monats-Zugang zu einem Personal Travel Assistant.

Ihre erste Eigenmarke, Studios, ist ja sehr speziell. Unter anderem entwickeln Sie Taschen, die das Smartphone aufladen - wie kommen Sie denn auf solche Produkte?
Heinemann: Gehen wir vielleicht noch einen Schritt zurück. Wir unterscheiden zwischen profilierten und unprofilierten Eigenmarken. Die meisten Eigenmarken, die Sie im Handel sehen, sind unprofiliert. Die werden gekauft, weil sie günstiger sind als ein Markenprodukt, aber da haben Sie keine Markenrendite, das wird halt mitgenommen. Wir und auch Zalando versuchen, profilierte Eigenmarken zu schaffen, die für den Kunden einen gewissen Wert haben. Denn dann ist die Preiswahrnehmung eine andere und es können Wiederholungskäufe generiert werden. Eine Eigenmarke zu launchen, reicht nicht. Sie müssen den Anspruch haben, eine gewisse Profilierung zu erreichen. Andernfalls haben Sie nur den Cross-Selling-Vorteil, dass da eine Eigenmarke ist, die genauso aussieht wie eine etablierte, aber fünf Euro weniger kostet. Das ist aber ein einmaliger Akt. Wir wollen, dass das Produkt so gut ist, dass es noch einmal gekauft wird, und wir nicht nur einen einmaligen Markenvorteil erzielen, sondern einen Lifetime-Value schaffen. Natürlich gelingt das nicht immer. Bei nu3 beispielsweise starten wir einige Konzepte. Davon funktionieren einige, die Kunden kaufen das, das Produkt hat eine konsistente Story insbesondere durch hochwertigen Content wie die nu3-Diätstudie, den Abnehmberater und die Beratung durch Nährstoffexperten via Chat und Telefon - und die Leute kommen wieder. Aber diese Profilierung ist das schwierigste. Das ist die größte Herausforderung: Auf dem Reißbrett ein Produkt zu entwerfen, das eine gute Qualität und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis hat und ein Storytelling zu entwickeln, das die Marke dann emotional auflädt. Wir beanspruchen für uns zwar keine Prognosegarantie dafür, dass etwas funktioniert. Aber wir erkennen relativ schnell, wenn wir auf dem Holzweg sind, weil wir sehr datengetrieben vorgehen. Wir testen zunächst ein Konzept in einer kleinen Menge, generieren über Testmärkte wie Facebook oder den Amazon Marktplatz reale Online-Reichweite und prüfen, ob die Produktkonfiguration vom Kunden angenommen wird. Erst wenn das gegeben ist, packen wir mehr Media darauf. Das ist die Idee: Nur wenn bestimmte Treshholds erreicht werden, geht es weiter.

Sind kleine Mengen auf dem Amazon-Marktplatz nicht auch gefährlich? Wenn das Produkt reißenden Absatz findet, sind Sie ja ganz schnell nicht mehr verfügbar.
Heinemann: Das kommt auf das Produkt an. Bei Fashion oder Taschen haben Sie natürlich gewisse Produktionszyklen. Allerdings können Sie sich, wenn Sie nearshore produzieren und ein funktionales Sample haben, Bestellungen innerhalb von vielleicht zwei Wochen schicken lassen. Natürlich sind das dann andere Stückkosten als wenn die Ware aus China kommt. Aber bei kleinen Stückmengen macht das keinen großen Unterschied. Deswegen produzieren viele Eigenmarkenhersteller erst einmal nearshore, um schnelle Reaktionszeiten zu haben. Und erst wenn ein Produkt funktioniert, geht man in entferntere Produktionsstandorte mit längeren Vorlaufzeiten. Die können auch schnell mal bei einem halben Jahr liegen. Zalando beispielsweise plant seine Kollektionen zum Teil mit erheblichem Vorlauf.

Viele datengetriebene Experimente

Woher wissen Sie, was dann gerade angesagt sein wird?
Heinemann: Sie müssen es schaffen, mit möglichst geringen Kosten reale und valide Erkenntnisse zu generieren, was funktioniert und was nicht funktioniert. Und dazu brauchen Sie ein sehr rigoroses KPI-Set. Wenn es dann funktioniert, müssen Sie flexibel und schnell nachproduzieren können. Die Kunst besteht im Prinzip darin, den richtigen Testing Ground zu finden. Der Amazon-Marktplatz ist für eine Highend-Marke wie Horizn Studios vermutlich nicht brandkonform. Sie müssen sich schon gut überlegen, welche Marke mit welchem Positionierungsanspruch und welcher Zielgruppe in welchem Umfeld testweise platziert werden kann. Unser Pitch ist nicht, jedes Mal zu treffen. Unser Pitch ist, relativ schnell zu iterieren und relativ schnell herauszufinden, wenn wir auf dem Holzweg sind. Wenn Sie so wollen, machen wir einfach relativ viele datengetriebene Experimente. Und da sind wir nicht allein. Das machen beispielsweise Inditex und Zalando ähnlich. Aber anders als beispielsweise ein großer Konsumgüterkonzern führen wir eine Marke nicht in einem Gfk-Testmarkt ein, sondern im realen Markt. Wenn wir das gut machen, kostet uns das 50.000 bis 100.000 Euro und wir iterieren dann, bis wir glauben, dass die Response und das Kundenverhalten gut genug sind. Und nur dann gehen wir weiter. Dieser Prozess funktioniert für vertikal integrierte Marken genauso wie für unsere Eigenmarken bei nu3.

Wie schwierig ist die Suche nach dem richtigen Hersteller?
Heinemann: Das ist nicht einfach, aber es ist einfacher systematisierbar. Es gibt für jede Branche, ob es nun Elektronik, Fashion oder Nahrungsergänzungsmittel sind, Dutzende von Lohnfertigern, die in der Lage sind, Produkte für einen zu produzieren. Qualitätskontrolle ist dabei ein wichtiger Punkt. Alle großen Einkäufer haben Qualitätskontrollen vor Ort in der Fabrik, denn wenn ein Produkt mal im Container ist, ist der Bob in der Bahn. Und wenn Sie eine Saison versauen, nützt es Ihnen auch nicht, wenn Sie hinterher vor Gericht recht bekommen. Allerdings können Sie beim Sourcing auf Hunderte bis Tausende von Experten zurückgreifen, die das Supplier Management von Lohnfertigern perfekt beherrschen. Anders als beim Brandbuilding, wo man sich erst herantasten muss, gibt es dort etabliertes Wissen, an das man anknüpfen kann.

Haben Sie Tipps zur Stückzahlenprognose? Schließlich muss man versuchen, die Kapitalbindung möglichst gering zu halten, ohne die Gefahr zu laufen, bis zur nächsten Lieferung aus China nicht  mehr lieferbar zu sein.
Heinemann: Das ist bei Fashion ein Riesenthema. Wir werden versuchen, ganz harte Saisonware erst einmal zu vermeiden. Bei Nahrungsergänzungsmitteln haben Sie zwar Mindesthaltbarkeitsdaten, aber da reden wir von vier Jahren. Und das ist ein Unterschied zu sechs Monaten. Sie benötigen auf jeden Fall einen sehr systematischen, datengetriebenen Ansatz mit guten Prognosemodellen. Aber darin sehen wir ja auch genau unsere Kompetenz, dass wir Predictive Analytics praktisch umsetzen können und auf Basis von Signalen aus einer relativ frühen Basis auf 180 Tage Absatzkurven mit einer gewissen Vorhersagekraft bauen können.

Ist bei Eigenmarken der Preis oder die Qualität wichtiger?
Heinemann: Das Ziel ist ja, sich in die Lage zu versetzen, dass der Preis immer unwichtiger wird. Die Relevanz des Preises ist invers korreliert mit der Brand-Stärke. Und das ist das Ziel, das wir erreichen müssen.

Apropos Brand-Stärke: Das Marketing für Eigenmarken dürfte auch seine Tücken haben. Schließlich sucht die ja erstmal kein Kunde bei Google.
Heinemann: Das stimmt. Sie müssen Nachfrage über Google Display generieren. Auch Facebook funktioniert super, weil sie da genau aussteuern können, wen Sie ansprechen wollen. Letztendlich muss einem aber klar sein, dass Eigenmarken tendenziell natürlich eine höhere Rohmarge haben. Ein Teil davon wird aber aufgefressen von den initial höheren Marketingkosten. Wenn Sie zum  Beispiel auf Tommy Hilfiger SEA-Traffic einkaufen, ist die initiale Conversion erst einmal billiger, auch wenn 57.000 andere auch darauf bieten. Letztendlich müssen Sie es schaffen, eine Marke so aufzubauen, dass Nutzer bei Google danach suchen und dass Sie Wiederholungskäufe generieren. Denn die Marketingkostenquote sinkt proportional mit der steigenden Re-Order-Quote der Bestandskunden. Wenn wir das schaffen, wird es viel Spaß machen, denn dann ist eine Eigenmarke auch viel profitabler. Aus diesem Grund funden ja auch Investoren wie Accel oder Index solche Modelle. Die investieren allerdings erst, wenn die Aufbauarbeit geleistet ist. Doch den wenigsten Eigenmarken gelingt, was beispielsweise Warby Parker oder Harry’s geschafft haben. Wir behaupten, dass wir das datengetrieben wahrscheinlich besser können, Verluste in Grenzen halten können und mehr Chancen haben, das auszuprobieren.

Horizn Studios ist die erste Marke, die publik wurde. Was planen Sie noch?
Heinemann: Die Idee von Brand Ventures ist es, nach und nach weitere Brands - in ganz unterschiedlichen Bereichen - zu launchen. Zudem werden wir in Zukunft auch in diesem Bereich in Start-ups investieren. Wenn wir sehr früh gute Marken mit einer guten Konfiguration finden, dann beteiligen wir uns da auch. Denn vertikal integrierte Eigenmarken sind wahrscheinlich einer der wenigen VC-tauglichen E-Commerce-Segmente. Zu diesem Thema wird es bei uns bald Neuigkeiten geben.

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