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Ankerkraut

Partner gesucht Wenn Corporates D2C-Brands kaufen

Die Ankerkraut-Gründer arbeiten jetzt für Nestlé.

Ankerkraut

Die Ankerkraut-Gründer arbeiten jetzt für Nestlé.

Ankerkraut

Eine steigende Zahl von Übernahmen zeigt das Interesse der Konzerne an DTC-Brands. Finden sich die richtigen Partner, können beide profitieren.

In der vergangenen Woche entfachte eine Meldung aus der D2C-Welt einen Sturm im Wasserglas: Ausgerechnet der Konsumgüterhersteller Nestlé, in der Öffentlichkeit eher mit negativen Assoziationen behaftet wie der Rodung des Regenwaldes, Ausbeutung von Wasserressourcen oder Geschäften mit Russland trotz Ukraine-Krieg, schluckte die D2C-Lovebrand Ankerkraut.

Daraufhin kündigten Influencer wie LeFloid adhoc ihre Werbeengagements und Verbraucher schworen in ihren Social-Media-Accounts, sämtliche Gläser mit Gewürzen und Gewürzmischungen - von "Aglio olio" bis "Umami voraus" stante pede auf den Müll zu werfen und nie wieder bei der Brand zu kaufen. Aus Sicht der enttäuschten Kunden hat Ankerkraut durch den Verkauf seine Werte verraten. Dabei sind die Gründer Stefan und Anne Lemcke beileibe nicht die einzigen, die im D2C-Geschäft starteten, um manches anders zu machen als die großen Corporates (z.B. ökologischer Fußabdruck, Kundennähe, Personalisierung) - und sich nach einiger Zeit dann an genau so ein Corporate verkauften.

So hatte Nestlé bereits Ende Oktober 2020 in den USA die auf ein Umsatzvolumen von rund 400 Millionen Dollar taxierte Fertiggerichtemarke Freshly für die Summe von 950 Millionen Dollar erworben. Nur wenige Wochen später folgte der nächste D2C-Zukauf, als der Konzern in Großbritannien den Kochboxversender Mindful Chef schluckte. Auch in Deutschland gab es bereits namhafte D2C-Deals: Das Start-up Air Up, das Trinkflaschen mit einer im Mundstück integrierten Aromakapsel verkauft, damit bereits die DHDL-Investoren Frank Thelen und Ralf Dümmel für sich begeistern konnte und als einen relevanten Produktvorteil den Verzicht auf Zucker postulierte, gewann im Rahmen einer neuen Finanzierungsrunde ausgerechnet den Zuckerbrause-Hersteller Pepsico als Gesellschafter. Und Kraft Heinz schluckte im Dezember 2021 den Ankerkraut-Konkurrenten Just Spices.

Hello Body

Hello Body gehört heute zu Henkel.

Hello Body

Externes Know-How

Ebenfalls in Deutschland übernahm Ende Juli 2020 der Konsumgüterkonzern Henkel eine Mehrheitsbeteiligung an HelloBody, Banana Beauty und Mermaid+Me, drei D2C-Kosmetikmarken der Berliner Invincible Brands Holding, die zu dem Zeitpunkt zusammen auf ein Umsatzvolumen von rund 100 Millionen Euro kamen. "Mit der Akquisition haben wir unser Portfolio mit schnell wachsenden Premiummarken in attraktiven Kategorien gestärkt", erklärt dazu Henkel-Vorstand Jens-Martin Schwärzler. Doch sei es nicht nur um den Zukauf von Marktanteilen gegangen: "Durch Eins-zu-eins-Beziehungen mit Konsumenten erhalten wir wertvolle Einblicke, die uns dabei helfen, relevante Innovationen für das gesamte Markenartikelgeschäft zu entwickeln."

Das externe Know-how ist hilfreich, denn das D2C-Geschäft ist für Konsumgüterkonzerne beileibe kein Selbstläufer, weil ganz andere Kernkompetenzen (etwa Resonanzmodelle statt TV-Millionen) gefragt sind als in ihrem bisherigen Geschäft. Ganz aktuell zeigt dies das Beispiel Beiersdorf. Eigenen Aussagen zufolge bleibt die Nachfrage nach der neuen personalisierbaren D2C-Hautpflege-Brand "Own" ein Jahr nach dem Launch "hinter den Erwartungen zurück".

Im Falle von Invincible Brands und Henkel konnte aber nicht nur der FMCG-Riese von dem Deal profitieren, wie Gennadi Tschernow, Co-Gründer und -Geschäftsführer erklärt. Zwar sollte ein Exit nie das vorrangige Ziel eines Start-ups sein, doch sei seit dem Einstieg des Private-Equity-Fonds Capital D im Jahr 2018 klar gewesen, dass für die Marken von Invincible Brands ein Käufer gesucht werde. "Wir haben Invincible Brands seitdem als einen Inkubator verstanden, der Marken bis zu einer gewissen Größe aufbaut und dann einen Partner sucht, der diese Marken auf das nächste Leven heben kann", erklärt Tschernow.

Neue Fähigkeiten, alte Freiheit

Das ist aus strategischer Sicht ein durchaus sinnvoller Schritt, da viele D2C-Brands irgendwann an den Punkt kommen, an dem die Kernkompetenzen eines Start-ups erschöpft und andere Fähigkeiten gefragt sind. "Dabei geht es um Dinge wie den Einstieg in neue Kanäle und neue Länder. Wir müssten uns dafür immer wieder selbst neu erfinden. Ein Partner wie Henkel bringt dagegen viel mehr Wissen und Zugangsmöglichkeiten mit und erspart uns somit die typischen Anfängerfehler", so Tschernow.

Invincible Brands hat während des Verkaufsprozesses Gespräche mit verschiedenen Traditionskonzernen geführt und dabei sehr unterschiedliche Ansätze kennengelernt. "Bei Henkel hat uns sehr gut gefallen, dass sie das D2C-Geschäft nicht mit ihrem Legacy Business verbinden wollten und uns den Freiraum lassen, unser Geschäft ohne Eingriffe weiterzuentwickeln", erklärt der Gründer. Gemeinsam habe man HelloBody, Banana Beauty und Mermaid+Me in ein neu gegründetes Joint Venture überführt und Invincible Brands so die Möglichkeit eingeräumt, weiter neue D2C-Brands im Beauty- und Food-Bereich zu entwickeln.

Das Modell hat durchaus Vorbildcharakter - und wird auch bei Nestlé und Ankerkraut so gehandhabt. Auch der Gewürzhändler ist fest entschlossen zu beweisen, "dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen: Ankerkraut bleibt Ankerkraut, wir werden weiterhin als eigenständiges Unternehmen tätig sein", zitiert dpa die beiden Gründer.

Chancen und Gefahren für D2C-Brands

Je größer die D2C-Brands werden - im Falle von Ankerkraut reden wir von Umsätzen im zweistelligen Millionenbereich -, desto interessanter werden sie für Corporates. Daher wird die Zahl der Übernahmen künftig noch weiter steigen. Doch nicht immer geht das gut. Aus der Vergangenheit sind einige Beispiele bekannt, bei denen Start-ups durch Großkonzerne aufgesogen worden sind und die Gründer nach einiger Zeit enttäuscht den Ausstieg suchten.

Little Lunch

Little Lunch hat für sich den richtigen Partner gefunden-

Little Lunch

Dass es für D2C-Brands sehr passgenaue Übernahmekonstellationen geben kann, zeigt das Beispiel Little Lunch. Der Augsburger Hersteller von Biofertigsuppen ging im Oktober an Allos Hof-Manufaktur, die deutsche Tochter des internationalen Biolebensmittelkonzerns Wessanen. Der Kaufpreis soll sich im mittleren bis hohen zweistelligen Millionenbereich bewegt haben - für die Gründer ein schöner Erfolg: "Unser Ziel war es von Anfang an, Little Lunch in Deutschland richtig groß zu machen und dann mit einem renommierten Unternehmen und dem nationalen Rückenwind international durchzustarten", erklärt Co-Geschäftsführer Daniel Gibisch. "Alleine hätten wir den Schritt nach Europa nicht so schnell gestemmt. Mit reinen Finanzinvestoren wäre dies auch nicht effizient machbar gewesen. Dazu braucht es jemanden mit internationaler Expertise samt entsprechendem Netzwerk."

Little Lunch soll innerhalb der neuen Struktur eigenständig bleiben, doch wurde neben der D2C-Marke auch die Kompetenz der Gründer mit erworben. "Wir sind jetzt Teil der Allos-Familie und bringen aus diesem Grund natürlich auch unsere Expertise zu unterschiedlichen Themen mit ein - und umgekehrt", bestätigt Gibisch.

Dass es sich Wessanen und Allos mit dem Kauf von Little Lunch in Sachen D2C einfach gemacht haben, will der Unternehmer so nicht gelten lassen. "Ich denke, dass die Übernahme von D2C-Marken für Legacy Brands in jedem Fall immer eine Herausforderung ist und sich oftmals langwieriger gestaltet als anfangs gedacht. Allerdings ist auch das Aufbauen einer eigenen Direct-Marke eine große Challenge, da es gerade bei Legacy Brands oftmals schwierig ist, flexibel und spontan zu sein. Hier haben D2C-Marken den Legacy Brands vermutlich einiges voraus."

Der Little-Lunch-Gründer erwartet deshalb, dass es in nächster Zeit noch viel mehr D2C-Übernahmen geben wird: "Ich denke, dass gerade von den in den vergangenen Jahren gegründeten Start-ups viele von Anfang an das Ziel Exit haben. Es ist heutzutage wirklich nicht einfach als kleine Brand, international erfolgreich zu sein - und das ist, in meinen Augen, das Ziel der meisten Gründer. Jeder ist stolz auf das, was er geschaffen hat und will sein Produkt natürlich so gut wie möglich vermarkten."

Relevante E-Commerce-Beteiligungen von Corporates im Jahr 2021

* Barilla kauft den Pasta-Lieferdienst Pasta Evangelist.
* Pepsico investiert in Airup.
* Miele schnappt sich Rezepte-App Kptn Cook.
* Razor Group schnappt sich Happypo.
* Vorwerk beteiligt sich an Everdrop.
* Miele schnappt sich Otto Wilde.
* Haniel steigt bei Happy Brush ein.
* Beiersdorf investiert in D2C-Start-Up für personalisierte Hautpflege Routinely.
* Unilever übernmmt Paula's Choice.
* Levi's schnappt sich Beyond Yoga.
* Melitta übernimmt die Mehrheit an der Online-Plattform Roast Market.
* Henkell Freixenet übernimmt restliche Anteile von Belvini.
* Pernod Ricard kauft The Whiskey Exchange.
* Renault steigt bei Heycar ein.
* Kraft Heinz übernimmt 85 Prozent der Anteile an Just Spices.

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