
USA versus Europa Start-ups: der "Unicorn Club" wird größer
Start-ups mit einer Bewertung in Milliardenhöhe kommen immer häufiger auch aus Europa. Deutschland spielt zwar keine Führungsrolle, holt aber langsam auf.
Dass ein Start-up ab einer Bewertung von einer Milliarde US-Dollar als "Einhorn" bezeichnet wird, geht auf Aileen Lee zurück. "Welcome to the Unicorn Club" überschrieb die Gründerin von Cowboy Ventures Ende 2013 einen Artikel im US-Techblog Tech Crunch, in dem sie über die Faszination von Start-ups schrieb, die eine Bewertung von einer Milliarde US-Dollar erreicht haben - entweder durch einen erfolgreichen Exit der Gründer oder durch einen Börsengang.
Der umstrittene Taxi-Killer Uber soll inzwischen 40 Milliarden US-Dollar wert sein und die Zimmervermittlungsbörse AirBnB 25 Milliarden. Nicht nur Einhörner sind selten, die Mitglieder des Unicorn Club sind es auch. 39 Tech-Start-ups mit einer Unternehmensbewertung von über eine Milliarde US-Dollar zählte Lee vor zwei Jahren; nach ihren Berechnungen weniger als 0,7 Prozent aller Unternehmen, die in den USA mit Venture Capital gepäppelt wurden.
Doch nicht nur in den USA, auch in Europa wird der von Start-ups gefüllte Club langsam größer. Eine Studie der Investment-Firma GP Bullhound hat 40 Start-ups ausgemacht, die die Voraussetzungen erfüllen, um als europäisches Einhorn gelten zu dürfen: Hauptsitz in Europa, nach 2000 gegründet, Schwerpunkt auf Internet und Technologie und eine Firmenbewertung (Equity Evaluation) von mehr als einer Milliarde US-Dollar.
Die Liste der "Bewertungsmilliardäre" reicht von Skype aus Schweden (8,5 Mrd.) bis Funding Circle aus Großbritannien (1 Mrd.). Im vergangenen Jahr war das Ranking noch zehn Positionen kürzer. Neben dem Geschäftskreditvermittler Funding Circle schafften es 2015 zwölf weitere Start-ups auf die Liste, drei mussten sie wieder verlassen.
Nur vier deutsche Start-ups in den Euro-Top-40
Deutsche Start-ups muss man im Club der Milliardäre schon sorgfältig suchen. Nach den beiden Flaggschiffen Rocket Internet (8 Mrd.) und Zalando (7,6 Mrd.) kommt aus deutschen Landen erst einmal lange nichts, bevor auf Platz 20 Delivery Hero aufgeführt wird, immerhin drei Milliarden Euro schwer, auf Platz 36 dann das kleinste der deutschen Einhörner: Das Start-up Home24 ist nach Bullhound-Berechnungen glatt eine Milliarde Dollar wert.
Ein Blick auf die anderen Clubmitglieder zeigt schnell, wo der Hammer hängt: Allein 17 der 40 Euro-Unicorn-Start-ups sind Made in Britain. Das könnte man sich vielleicht noch mit größerer Nähe zum Internet-Mutterland USA schönreden, aber Platz 2 geht mit sechs Milliarden-Unicorns an das kleine Schweden.
Auf Deutschland mit seinen vier Start-ups folgt Russland mit ebenfalls vier Milliardären - allen voran die Suchmaschine Yandex mit einer Börsenbewertung von knapp sechs Milliarden US-Dollar. Die russische Antwort auf Facebook heißt Vkontakte, ist nach der Bullhound-Liste gut drei Milliarden US-Dollar wert - und damit mehr als Delivery Hero oder der Shopping-Club-Pionier Vente Privee. Was danach kommt, ist Long Tail. In Italien sind Unicorn-Start-ups genauso selten wie in Israel: Beide haben jeweils nur einen Eintrag in den Top 40.
Das Start-up Taulia an der Schwelle zum Unicorn Club
Einer, der in den USA an der Schwelle zum Unicorn Club steht, ist Bertram Meyer. Der Deutsche gründete zusammen mit ein paar Landsleuten 2009 im Silicon Valley das Start-up Taulia. Das Start-up, das mittlerweile weltweit rund 200 Beschäftigte zählt, bietet Unternehmen und Lieferanten eine Plattform, mit der sie ihre Rechnungen untereinander zahlen - und dabei auf ein dynamisches Skonto-System zurückgreifen können: Wer eher zahlt, zahlt weniger. Zu den Kunden zählen Coca-Cola und Pacific Gas & Electric.
Die Einschätzung, Taulia könne in absehbarer Zukunft zum Unicorn werden, stammt aus der US-Presse. Meyer sagt dazu, man könne dieses Ziel erreichen, wenn man die nächsten zwei Jahre ähnlich stark wachse, wie man es in den vergangenen Jahren getan hat: "Dann ist das durchaus realistisch."
85 Millionen US-Dollar an Venture Capital hat Taulia in den letzten Jahren eingesammelt, die letzte Finanzierungsrunde ergab 27 Millionen US-Dollar für den Aufbau einer Finanzplattform für Lieferanten. Im vergangenen Jahr hat Taulia 75 Millionen US-Dollar an Zahlungsvolumen abgewickelt, am Ende des Jahres 2015 könnte sich dieser Wert verdoppelt haben. Erfreuliche Zahlen - aber weit entfernt von einer Milliarde. Wie also kommen solche Bewertungen zustande?
"In Amerika gibt es bei Bewertungen von Start-ups ein Schema F", erklärt Meyer. "Der wichtigste Faktor ist das Wachstum, genauer, die Geschwindigkeit des Wachstums. Dann wird die Art des Umsatzes betrachtet. Am höchsten im Kurs stehen regelmäßig wiederkehrende Umsätze, also zum Beispiel Abonnements oder Lizenzgebühren für Software-as-a-Service-Angebote."
Wenn dann die Kündigungsrate niedrig sei, das jährliche Wachstum jedoch bei 100 Prozent oder mehr liege, dann könne das Start-up durchaus mit dem 15-Fachen des momentanen Jahresumsatzes bewertet werden. Und so können dann auch Unternehmen, deren Jahresumsatz noch im mittleren zweistelligen Millionenbereich liegt, den Eintritt in den Unicorn Club anpeilen - vorausgesetzt, sie wachsen weiterhin stark und liefern Services, denen die Kunden treu bleiben.
Übernahme von Start-ups
Oder sie werden übernommen, wie der Münchner Augmented-Reality-Spezialist Metaio. Ende Mai kaufte Apple das 130-Mann-Start-up für eine nicht genannte Summe. Dass diese mindestens im dreistelligen Millionenbereich gelegen haben muss, lassen die wenigen Unternehmensdaten erkennen, die zurzeit zu Metaio verfügbar sind: Demnach nutzten bis zum Verkauf an Apple rund 50.000 Software-Entwickler weltweit das Metaio-Entwicklungswerkzeug (SDK) für Augmented-Reality-Anwendungen und angeblich ist der Metaio-Browser auf über 30 Millionen Handys installiert. Die Loyalität der Metaio-Kunden scheint Apple indes nicht zum Kauf angetrieben zu haben, sonst hätte der Gigant aus Cupertino nicht direkt nach der Übernahme des Münchner Start-ups alle Metaio-Angebote einstellen lassen.
Auf 200 bis 400 Millionen Euro schätzen Experten den Kaufpreis, den Microsoft ebenfalls im Mai für das Berliner Start-up 6Wunderkinder zahlte. Dessen viel gelobte Organizing-App Wunderlist passt genau in die Office-365-Strategie des Software-Riesen. Doch anders als bei Apple machte man bei Microsoft nicht Tabula rasa - Wunderlist bleibt bis auf Weiteres als eigenständiges Produkt erhalten und soll schrittweise mit der Cloud-Variante von Office zusammengeführt werden.
Dass bekannte US-Unternehmen deutsche Start-ups kaufen, ist relativ selten. Die wohl berühmteste Start-up-Übernahme in Deutschland datiert aus dem Jahr 1999, als Ebay das von den Gebrüdern Samwer nur wenige Monate zuvor gegründete Online-Auktionshaus Alando übernahm - für die damals spektakuläre Summe von 50 Millionen US-Dollar. Offenbar stand der dreiste Ebay-Klon einer geplanten Expansion der US-Handelsplattform nach Deutschland im Wege.
Skurril wirkt dagegen die Akquisition des New Yorker Start-ups Harry’s, eines Online-Versenders für Rasiererzubehör. Mitte 2013, nur neun Monate nach seiner Gründung, kaufte das 40-Mann-Unternehmen die Feintechnik GmbH, ein 1920 gegründetes Rasierklingenwerk in Südthüringen. Mehr als 120 Millionen US-Dollar warb Harry’s bei Investoren ein. Mit dem größten Teil davon wurden die bisherigen Eigentümer, zwei Investmentgesellschaften, ausgezahlt. Der Rest der Mittel floss in die Erweiterung der Produktpalette. Dafür hat Harry’s jetzt die gesamte Wertschöpfungskette in der Hand und kann etablierte Konkurrenten wie Wilkinson und Gillette über den Preis und die Qualität angreifen.
Doch inzwischen hat Deutschland mehr zu bieten als alte Rasierklingenfabriken. Das US-Wirtschaftsportal Informilo.com versorgt seine Leser regelmäßig mit Listen der heißesten Start-ups aus Good Old Germany. Derzeit als Start-ups hoch im Kurs: Lieferdienste wie Delivery Hero und Foodpanda, Portale wie Auctionata und EyeEm. Dem Münchner Heizungsthermostathersteller Tado reichten gerade einmal 12 Millionen Wagniskapital, um der größte Smart-Home-Spezialist Europas zu werden. Beim Finanzdienstleister Kreditech erstaunt, dass er aus Deutschland kommt - normalerweise ist der europäische Fintech-Sektor fest in britischer Hand.
Der Hamburger Rating-Dienstleister nutzt über 2.000 Datenpunkte für Bonitätsberechnungen von Verbrauchern, die mit herkömmlichen Systemen nicht erfasst werden. Das Start-up hat über 200 Millionen Dollar zur Verfügung und wächst mit bis zu 300 Prozent pro Jahr - vielleicht schon bald ein neues Mitglied im europäischen Unicorn Club?
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