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Schmuckparty con Pippa & Jean

Persönlicher Kontakt Direktvertrieb: Feiern und verkaufen

Der Communityeffekt lässt Absatzzahlen schnell steigen

Pippa & Jean

Der Communityeffekt lässt Absatzzahlen schnell steigen

Pippa & Jean

Was dem E-Commerce fehlt, ermöglicht der Direktvertrieb: persönlicher Kontakt und intensive Beratung. Das Internet hilft, die Verkaufspartys, Hausbesuche und Nachkäufe effizienter zu organisieren.

Der Staubsauger - er war zunächst ein Ladenhüter: 1913 versuchte AEG vergeblich, das erste Modell in Deutschland zu etablieren, 1924 folgte Siemens, 1927 Miele. Die Kunden kauften nicht, weil sie sich nicht vorstellen konnten, Teppiche ohne Bürste zu säubern. 1930 brachte Vorwerk den Kobold heraus. Anders als die Konkurrenz gab das Wuppertaler Unternehmen den Staubsauger nicht in den Handel, sondern ließ ihn von Vertretern direkt in den Haushalten präsentieren. Das Zeigen und ihre Erklärungen motivierten zum Kauf - und so konnte sich der Staubsauger dann doch noch als Alltagshelfer durchsetzen.

Vorwerk baut immer noch Staubsauger - und auf den Direktvertrieb, der neuerdings auch als Social Commerce bezeichnet wird. Mit Haushaltsgeräten, Kosmetik und Bastelgerät erwirtschaftet das Unternehmen gegenwärtig 2,8 Milliarden Euro Umsatz im Jahr und ist weltweit der fünftgrößte Direktanbieter nach Amway, Avon, Mary Kay und Herbalife. ­Doch inzwischen gibt es in Deutschland 500 weitere Unternehmen, die auf Hausbesuche setzen.

Der Vertriebs­kanal wächst derzeit schneller als der ­E-Commerce: "Der Einzelhandel steht unter Druck, daher initiieren die Unternehmen einen Direktvertrieb als weiteren Kanal zum Kunde", erklärt Jochen Clausnitzer, Geschäftsführer des Bundesverbands Direktvertrieb Deutschland (BDD). Zwar wird im E-Commerce B2C mit jährlich rund 50 Milliarden Umsatz ­etwa das Dreifache erwirtschaftet, doch durch die Digitalisierung gewinnt der ­Direktvertrieb wieder an Fahrt: Mit neuen Kommunikationstechnologien und Plattformen lassen sich Beratungs- und Veranstaltungstermine leichter organisieren. Außerdem gibt es rund ums smarte Haus, um Hausroboter oder Wellnessgeräten viele neue Produkte und Services, die Vertreter besser erklären und präsentieren können als Online-Shops oder Schaufenster.

Tupperware Vermarktungsplattform

Online-Plattformen vereinfachen die Organisation

Unternehmen

Mit Vertreternetzen effizient gründen

Aktuell präsentieren mehr als 800.000 Vertreter in Deutschland bei Einzelberatungen oder neuerdings auf Partys Haushaltsgeräte, Home-Deko, Spiel- und Bastelzeug, Kosmetik, Mode, Wäsche, Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel. Hersteller wie Vileda, die Stromversorger Lichtblick oder EnBW haben vor Kurzem durch eigene Direktvertriebe bestehende Absatzkanäle ergänzt. "Gegenüber dem Einzel- und Internet-Handel hat der Direktvertrieb den großen Vorteil, dass die Kunden persönlich beraten werde", sagt Clausnitzer. "Daher lassen sich damit besonders hochwertige und beratungsintensive Angebote verkaufen."

Daher steht auch in den Businessplänen von Internet-Gründern oder den Entwicklern von neuen digitalen Services jetzt öfter "Let’s party" oder "Social Selling". Wie ehedem Vorwerk setzen sie damit leichter erklärungsbedürftige Innovationen durch. Doch weit wichtiger ist Gründern, dass Direktvertriebe effiziente und kostengünstige Strukturen ermöglichen, die sich nach einer ersten Anlaufphase schnell selbst tragen und rentieren: Die Vertreter arbeiten meist nebenberuflich und werden auf Provisionsbasis und nach tatsächlichen Verkäufen entlohnt. Das hilft Personalkosten zu sparen. Management- und Organisationskapazitäten werden zudem erst mit steigenden Verkaufszahlen und einem wachsenden Vertreternetz notwendig und entwickeln sich automatisch im Netzwerk. Und mit Hilfe von Internet und Versand lassen sich Kontakte und Kommunikation auch noch günstig ermöglichen.

Mit derzeit 130 Beraterinnen vertreibt zum Beispiel MBR seit 2012 Wäsche von verschiedenen Herstellern. Kern des Angebots sind die BH aus Dänemark, jedes Modell wird in 117 Größen produziert. So viele Varianten hat sonst keine Marke. Die Kundinnen werden zuhause beraten und vermessen, bevor sie bestellen. "Verbraucher kaufen doch am liebsten zu Hause, wo sie ausprobieren, anfassen, schmecken, riechen können", begründet Gründer Markus Braun, warum er den Direktvertrieb wählte. Gerade Frauen schätzten die persönliche Beratung und das Einkaufen in Gesellschaft. Angebote wie Wein, Alarmanlagen, Energie- und Webservices ziehen jetzt jedoch verstärkt auch Männer an.

Verkaufspartys suchen bei Verkaufsparty.net

Verkaufspartys.net: Hier suchen Kunden nach Veranstaltungen und Vertreter und Beraterinnen vermarkten sich.

Unternehmen

"Gegenüber Amazon haben Online-Shops keine großen Chancen mehr, daher boomt zur Zeit der Direktvertrieb mit Partys", meint Andreas Schneck, Initiator von Verkaufspartys.net. Auf der Plattform finden Verbraucher Kontakt zu 55 Direktanbietern und 2.600 Vertretern, die sich hier vermarkten: In Deutschland finden pro Jahr rund 8,5 Millionen Verkaufsveranstaltungen statt. Mehr als 20.000 werden in diesem Jahr wohl die rund 3.500 Vertreterinnen von Pippa & Jean dazu beitragen. "Das Internet ist dabei Info- und Marketing-Tool, Interesse gewinnen Beraterinnen vor allem über Facebook", sagt Michaela Ustorf, Style­coach des Schmuckanbieters. "Direktverkauf ist emotionales Kaufen, es macht Spaß, so einzukaufen und zu verkaufen."

Beratung und gegenseitige Ermunterung

Wie bei anderen Direktvertrieben kaufen Vertreterinnen bei Pippa & Jean ein Starter-Set, das Bestseller sowie Kataloge und Werbematerialien enthält und in diesem Fall rund 200 Euro kostet. MBR verlangt für die erste Kollektion von Wäsche um 1.000 Euro. Mit Geschenken aus dem Sortiment werden im Bekanntenkreis Gastgeberinnen geworben, die Verkaufspartys für Freunde und Nachbarn organisieren. In vertrauter Umgebung und in Gesellschaft steigt die Kauflust. "Der Community-­Effekt wirkt, während der Partys beraten und ermutigen sich die Frauen gegenseitig", sagt Annette Albrecht-Wetzel, Mitgründerin von Pippa & Jean. "Die Beratung im Laden wirkt oft unglaubwürdig." Die Bestellungen gehen danach online beim Anbieter ein, dieser kümmert sich um Versand und Rechnungsstellung.

Pro Veranstaltung kommen je nach Produkt gut und gerne Bestellungen in einem Wert von mehreren Hundert oder gar Tausend Euro zusammen - ein festgelegter Prozentsatz fließt in die Taschen der Vertreter. Je nach Anbieter werden bis zu 50 Prozent ausgeschüttet, bei Pippa & Jean sind es 25 bis 35 Prozent. Im vierten Quartal 2015 zahlte das Start-up gut eine Million Euro aus. Wie 41 Prozent der Direktvertriebe setzt Pippa & Jean für Nachbestellungen ebenfalls auf einen Webshop. "Hier gehen aber deutlich weniger Bestellungen ein, der Hauptumsatz läuft über die Partys", so ­Albrecht-Wetzel. Sie werden einer Vertreterin in der Nähe des Kunden zugeschlagen. MBR kann ganz  auf einen Kundenshop verzichten - Nachkäufe besorgen ausschließlich die Vertreterinnen über ihre persönlichen Shops, die MBR einrichtet: "Ohne die persönliche Beratung stiege der Retourenanteil", erläutert Wäschespezialist Braun. "Wir müssten Wäsche zurücknehmen - ein Produkt, an das Kunden hohe Hygieneansprüche stellen." Auch die niedrige Retourenquote wirbt für den Direktvertrieb: Auf diesem Kanal wird laut BDD etwa jede 123. Bestellung widerrufen, im eher unpersönlichen E-Commerce dagegen im Schnitt jede achte, bei Mode sogar jede vierte.

Mehr Berater  - mehr Wachstum

Vier Jahre nach dem Start verstärken MBR und Pippa & Jean nun ihr Wachstum: MBR erweitert dazu das Sortiment um Nachtwäsche und Gürtel, Pippa & Jean um Uhren, auch Taschen und Kosmetik wären für den Schmuckanbieter denkbar. Doch um Wachstum realisieren zu können, muss im Direktvertrieb vor allem die Zahl der Vertreterinnen steigen. "Direktvertrieb ermöglicht gerade Frauen einen Nebenerwerb oder eine Karriere als Führungskraft", wirbt Albrecht-Wetzel für das Modell. "Der größere Hebel für den Verdienst entsteht durch den Aufbau eines Teams."

Werben die Vertreter Berater an, wächst ihre Provision - gewinnen die Neuen ihrerseits wieder Mit­arbeiter hinzu, potenziert sich dieser Effekt. Der Übergang zum rechtlich umstrittenen Schneeballsystem kann allerdings fließend sein. Die schwarzen Schafe der Branche sind daran zu erkennen, dass sie vor allem ins Wachstum ihres Vertreternetzes und in den Vertrieb von schlecht verkäuflichen Startersets investieren als in die Entwicklung neuer Produkte. Die guten Direktvertriebe ziehen indes mit Angeboten an, die Beratende gerne selbst besitzen und damit auch verkaufen.

Anwerbung von Beratern

Stylecoach Michaela Ustorf von Pippa & Jean hat in den letzen vier Jahren nicht nur verkauft, sondern auch noch knapp 80 Beraterinnen motiviert. Mit deren Anwerbungen steuert sie heute ein Team von mehr als 1.000 Beraterinnen. "Ich veranstalte noch Partys für Freunde oder wenn ich Stylecoaches einarbeite“, erzählt sie von den Folgen. Dafür entwickelt sie nun Seminare und Tutorials rund um Auftreten und Organisation, die ebenfalls weitgehend online verbreitet werden. Außerdem hilft sie den Beraterinnen bei Problemen weiter, entwickelt Strategien und Konzepte: Aufgaben, die herkömmliche Unternehmen der Vertriebsspezialistin in der Vergangenheit verweigerten.  "Es geht nicht nur ums Geldverdienen", sagt sie, "wer Erfolg im Direktvertrieb haben will, muss sich persönlich weiterentwickeln und gut organisieren können."

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