
Analyse: Ridesharing-Services Kampf um die Straße: Wie Uber und Co die Mobilität revolutionieren
Ridesharing-Services wie Uber, Lyft, Didi Chuxing und Co wirbeln weltweit die Taxibranche durcheinander - und setzen dabei mit ihren zum Bersten gefüllten Kriegskassen voll auf Wachstum. Um jeden Preis.
Anfang März ging nichts mehr in der mexikanischen Stadt Guadalajara: Über 2.000 Taxifahrer blockierten bereits seit dem frühen Morgen die Straßen. Die Stimmung war aufgeheizt, am Nachmittag flogen Ziegelsteine. Ein Polizist wurde verletzt, einige Autos beschädigt, 47 Menschen wurden festgenommen. Die Taxifahrer hatten ihren Zorn über einen neuen Sharing Economy-Wettbewerber auf die Straße getragen: die Ridesharing-App Uber - je nach Standpunkt das zurzeit vielversprechendste oder meistgehasste Start-up auf dem Planeten, wobei das eine das andere nicht ausschließen muss.
Die Proteste in Mexiko waren weder die ersten noch die einzigen: Zur gleichen Zeit wurden im indonesischen Jakarta Fahrer von Uber und seinem Konkurrenten Grabtaxi aus ihren Autos gezerrt und verprügelt, ihre Autoreifen zu brennenden Straßenblockaden aufgehäuft. Weniger gewalttätig, aber nicht weniger zornig protestierten auch im schweizerischen Bern fast 1.000 Taxifahrer gegen das US-Start-up, das mit seinen Dumpingpreisen das Geschäft der klassischen Taxler zerstöre, so der Vorwurf.
Eine Milliarde US-Dollar für den Weg nach China
Selten hat ein junges Unternehmen weltweit so negative Reaktionen ausgelöst. Das liegt auch an Ubers breitbeinigem Auftritt: Mit seiner milliardenschweren Kriegskasse kauft sich der Fahrdienstvermittler mit enormem Marketingdruck einfach in jeden Markt ein, den es anvisiert - und sieht dabei auch mal großzügig über geltende Personenbeförderungsgesetze hinweg.
Eine Milliarde US-Dollar hat Uber im letzten Jahr für den Markteintritt in China verbrannt beim bisher erfolglosen Versuch, den lokalen Marktführer Didi Chuxing (geschätzte Bewertung: 20 Milliarden US-Dollar) zurückzudrängen. Eine Milliarde Dollar - das sind offenbar Peanuts für das Start-up aus San Francisco, das derzeit über 62,5 Milliarden US-Dollar wert sein soll. Das zumindest ist der Eindruck, den Gründer Travis Kalanick zu erzeugen versucht. Denn im teuren Spiel um Anteile an der neuen Mobilität kommt es vor allem auf das beste Pokerface an - und auf die größte Klappe.
Sagenhafte Verluste,unfassbare Umsätze
Im neu entstandenen Markt für Fahrdienstvermittler - also Dienste, die über eine mobile App Fahrgäste mit dem nächstgelegenen Fahrer verbinden - wird nachgerade unverschämt viel Geld bewegt, wie ein genauerer Blick in die Finanzierungsdatenbank Crunchbase zeigt: Allein Uber hat demnach in den vergangenen drei Jahren über zehn Milliarden US-Dollar eingesammelt. Fünf der acht größten Fahrdienstvermittler sind Unicorns, also mehr als eine Milliarde US-Dollar wert. Neue Finanzierungsrunden werden gefühlt im Wochenrhythmus abgeschlossen.
Auf einen schnellen Exit dürfen die Investoren dabei nicht hoffen: Zumindest der Uber-Gründer hat allen Spekulationen über einen baldigen Börsengang erst kürzlich eine Absage erteilt - ein Börsengang sei aktuell nicht geplant und werde, wenn es nach ihm ginge, so spät wie irgend möglich stattfinden, erklärte Kalanick. Also erwarten die Investoren von ihren Fahrdienst-Einhörnern vor allem eins: Wachstum. Und das bekommen sie auch, um jeden Preis: 3,3 Milliarden Euro haben Fahrdienstvermittler wie Uber, Lyft, Didi Chuxing oder Ola weltweit 2015 umgesetzt, so eine aktuelle Studie des Marktforschungsunternehmens Juniper Research. Bis 2020 könnte der Umsatz auf 6,5 Milliarden Euro wachsen. Solche Zahlen lassen den Umstand verblassen, dass beispielsweise Uber im letzten Jahr in manchen Märkten ebenso viel Umsatz gemacht wie Verlust geschrieben hat.
Disruptiv sein heißt: Wachsen um jeden Preis
Denn das gehört zur disruptiven Strategie: aggressiv investieren, schnell wachsen, Konkurrenz verdrängen – und erst dann als Marktführer nach und nach profitabel werden. Demnach scheint Uber derzeit im Plan zu sein: So erweitert der Fahrdienst gerade mit großem Aufwand sein Geschäft in Afrika und lässt ab Juni nicht nur in Kenia und Südafrika, sondern auch in Ghana, Tansania und Uganda fahren. In den bereits weiterentwickelten Märkten China und Südostasien liefert sich der Fahrdienst derweil kostspielige Marketingschlachten mit den örtlichen Konkurrenten, allen voran Didi Chuxing, Ola und Grabtaxi. Im Heimatmarkt USA wiederum soll das Geschäft bereits in einigen Hundert Städten, darunter auch San Francisco, nach eigenen Angaben profitabel sein - obwohl die Branche dort durch den Hauptkonkurrenten Lyft sowie viele andere größere und kleinere Start-ups wie Juno, Curb oder Gett ebenfalls sehr wettbewerbsintensiv ist.
Das Geheimnis des Uber-Erfolgs: Flexbilität
Der Erfolg liegt auch an der erstaunlichen Flexibilität von Uber: Das US-Unternehmen passt sich den unterschiedlichen Gegebenheiten in den lokalen Märkten schnell an. So verkauft sich der Fahrdienst in Afrika mit groß angelegten Marketingkampagnen als Alternative zum recht unzuverlässigen örtlichen Nahverkehr. In Thailand wiederum, in dessen Städten die Autos ständig im Stau hängenbleiben, testet Uber seit Februar seinen neuen Service "Uber Moto", mit dem in Bangkok Mitfahrten auf Motorrädern, Mopeds und Motor-Rikschas gemietet werden können. In Singapur, wo der US-Fahrdienst mit Grabtaxi um Fahrer für seinen Service kämpft, bietet Uber seinen Fahrern Hilfe bei der Finanzierung eines eigenen Autos an - natürlich mit dem Hintergedanken, dass diese Fahrer in ihrem eigenen Auto dann für Uber Fahrten übernehmen.
Überall auf der Welt scheint der Siegeszug der Ridesharer unaufhaltsam, den wütenden Protesten der Taxifahrer gegen ihre niedrigen Preise zum Trotz. Getragen von ihren sehr intuitiven und leicht zu bedienenden Apps und von der daraus resultierenden Akzeptanz der Kunden nutzen sie Gesetzeslücken, um sich als Taxi-Alternative zu etablieren - oder setzen sich einfach über bestehendes Recht mit dem lapidaren Hinweis hinweg, die aktuelle Gesetzeslage gelte nun mal nicht für Vermittlungs-Apps. Ähnlich argumentieren auch andere Teilnehmer der Sharing Economy, darunter auch AirBnB, wenn ihnen der Gesetzgeber Reglementierungen auferlegen will. Mit Erfolg: In vielen Ländern, zuletzt in Kanada, hat der Gesetzgeber nachgezogen und die Personenbeförderungsgesetze an die neuen Marktteilnehmer angepasst.
Massiver Widerstand in Europa
Allein in Kontinentaleuropa läuft die Geschichte etwas anders: Weil Uber nicht nur Taxis und professionelle Fahrdienstleister vermittelt, sondern mit seinem umstrittensten, weil kostengünstigsten Angebot "Uber Pop" auch Mitfahrten in privaten Pkw anbietet, geriet das Unternehmen im letzten Jahr mit den örtlichen Gesetzgebern aneinander.
Mit deren massiven Widerstand gegen den Service des "Cowboys aus dem Silicon Valley" hatte Uber offensichtlich nicht gerechnet. Vor allem in Deutschland entpuppte sich die Wildweststrategie als gehöriger Schuss in den Ofen: 2013 in fünf deutschen Städten gestartet, ist Uber heute nur noch in Berlin und München aktiv - und vermittelt ausschließlich Fahrten von Taxifahrern und professionellen Fahrdienstleistern mit gültigem Personenbeförderungsschein. Aufgegeben hat Uber den Kampf um sein Kernprodukt "Uber Pop" in Europa aber noch nicht: So hat das Unternehmen gegen das vom Landgericht Frankfurt erwirkte Verbot von Uber Pop Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht soll im Juni darüber entscheiden. Zudem will Uber sein Carpooling-Angebot UberPool auch nach Deutschland bringen, wie Uber Deutschland-Chef Christian Freese im Interview mit INTERNET WORLD Business bestätigte. Im Heimatmarkt San Francisco entfallen bereits 50 Prozent der gebuchten Uber-Fahrten auf UberPool. In Deutschland könnte die EInführung am Gesetzgeber scheitern; doch auch an der Front tut sich etwas, wie kürzlich ein Urteil in Frankreich zeigte: Das oberste französische Verwaltungsgericht hat Teile des neuen Transportgesetzes, das Ende 2014 gegen Fahrtenvermittler wie Uber in Stellung gebracht worden war, wieder zurückgenommen - weil sie mit EU-Recht kollidierten.
Alles, was von A nach B muss, ist interessant
Während die Gerichte weltweit noch darüber entscheiden, wie legal der Service der Fahrdienstleister ist, sind Uber und Co. schon längst einen Schritt weiter. Vor allem Uber sieht seine Zukunft keineswegs ausschließlich in der Personenbeförderung. Das Kerngeschäft ist die Mobilität - und das bedeutet: Alles, was von A nach B transportiert werden muss, kommt für eine Vermittlung durch Uber infrage. Deshalb legt sich der Fahrdienst neuerdings auch mit klassischen Lieferdiensten an: Mit der App "Uber Eats" können Kunden aus einer begrenzten Auswahl an Menüs frisch zubereitete Mahlzeiten von örtlichen Restaurants bestellen - und Uber-Fahrer, die gerade nicht mit der Beförderung eines Gasts beschäftigt sind, können die Lieferung übernehmen. Eine ähnliche Strategie verfolgt im Übrigen auch Ubers chinesischer Konkurrent: Didi Chuxing hat im letzten Herbst kräftig in den chinesischen Fast-Food-Lieferservice Ele.me investiert.
Mit seinem zweiten Piloten, dem Kurierservice "Uber Rush", nimmt sich das Start-up eine noch größere Branche vor - die Paketdienstleister und Logistiker. In New York, Chicago und San Francisco stellen Ubers Kurierfahrer bereits Pakete zu, und zwar teilweise schneller als Amazon mit seinen Express-Services. Der Paketlieferdienst ist erst seit Oktober 2015 unterwegs, doch bereits jetzt wird in der Branche über einen möglichen Marktstart von "Uber Rush" in Europa spekuliert.
Die Etablierten sind noch nicht geschlagen
Noch machen die Jungen Wilden das Geschäft auf dem neuen Markt für Fahrdienstleistungen unter sich aus und kämpfen medienwirksam um Anteile, Fahrer und Investoren. Aber die klassische Mobilitätsbranche steht nur auf den ersten Blick staunend daneben. Schaut man genauer hin, entdeckt man durchaus Interessantes: So vermeldete kürzlich der Autovermieter Sixt, dass sein hauseigener Fahrdienst-Service "My Driver" mittlerweile in 30 europäischen Ländern aktiv sei und "deutlich mehr Fahrgäste befördere" als Uber. Der Limousinenservice Blacklane, eine Daimler-Tochter, ist in über 50 Ländern aktiv und wächst monatlich um 20 Prozent, am erfolgreichsten in den USA. Und BMW hat kürzlich öffentlich darüber nachgedacht, seinen Carsharing-Service "Drive Now" zum Ridesharing-Service auszubauen - in enger Absprache mit den Gesetzgebern. Es bleibt spannend.
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