
Ein Boom des Online-Handels mit frischen Lebensmitteln blieb trotz Amazon Fresh in Deutschland aus. Die etablierten Supermarktketten sehen weiter nur zu, wie das Marktpotenzial brachliegt. Einige Start-ups versuchen jedoch, den Durchbruch zu schaffen.
Dass der Marktanteil im E-Commerce mit frischen Lebensmitteln mit gerade einmal knapp einem Prozent in Deutschland immer noch verschwindend gering ist, ist in der Branche seit langem bekannt. Auch der Launch von Amazon Fresh im vergangenen Jahr hat den erwarteten Aufschwung nicht gebracht.
Unternehmen wie Amazon, Edeka und Rewe haben sich den ambitionierten Aufgaben des Online-Handels mit Lebensmitteln zwar angenommen, doch wirklich viele Kunden konnten sie bisher nicht von ihren Lieferkonzepten überzeugen. "Viele haben einen Gang zurückgeschaltet, was den Ausbau ihrer Internet-Aktivitäten angeht", stellt der E-Commerce-Experte Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) fest.
Amazon selbst legt bei dem von der Konkurrenz anfangs mit so großer Sorge betrachteten Ausbau seiner Lebensmitteldienste bisher ein eher geruhsames Tempo vor. Beim deutschen Branchenvorreiter Rewe stagniert ferner die Zahl der von seinem Lieferservice abgedeckten Regionen seit geraumer Zeit bei 75. Und Edeka beschränkt sich mit dem Lieferdienst Bringmeister nach wie vor auf Berlin und München. Lidl kündigte für 2018 seinen großen Durchbruch im Online-Handel an. Doch auch der blieb aus. Der Discounter trat den Rückzug an und nahm neben Reinigungsmitteln und Drogeriewaren auch die haltbaren Lebensmittel aus seinem Webshop und bietet seither nur noch Wein und Spirituosen im Segment Lebensmittel an.
Da wundert es nicht, dass Deutschland im Ranking der Länder mit dem höchsten Umsätzen im E-Commerce für Lebensmittel und Getränke im Jahr 2017 mit einem Umsatz von gerade einmal 1,12 Milliarden Euro auf dem fünften Platz rangiert. Vorreiter ist China, gefolgt von den USA und Großbritannien.

Statista
Mehr Schwung durch neue Konzepte
Mehr Schwung in die Branche wollen nun Start-ups wie GetNow oder auch der niederländische Player Picnic in Deutschland bringen. GetNow beispielsweise hat sich das Ziel gesetzt, frische Lebensmittel mit einem Klick innerhalb von 90 Minuten zum Kunden zu liefern. Das Ganze ist allerdings nur mit Hilfe von Partnern wie der Metro AG möglich. Durch diese Zusammenarbeit haben die Kunden Zugriff auf ein Sortiment mit über 50.000 Produkten, bei denen täglich das Pricing angepasst wird. Durch die enge Zusammenarbeit beider Unternehmen gelingt die Lieferung innerhalb von 90 Minuten. Ein solches Angebot gewährleisten zu können, ist für ein Start-up in diesem Segment durchaus eine gute Ausgangsposition. Das Konzept scheint aufzugehen, denn vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass GetNow seine Liefergebiete in Berlin und München aufgrund der steigenden Nachfrage erweitert. Somit erschließt GetNow im Gegensatz zu anderen Wettbewerbern auch die ländlichen Regionen abseits der Ballungszentren mit seinem Service.
Mitbewerber Picnic verfolgt hingegen einen anderen Ansatz für die Zustellung frischer Lebensmittel aus dem Netz. Dabei galt es in erster Linie die drei größten Hemmnisse für einen Kauf von Lebensmitteln im Web zu überwinden. Diese sind der zu hohe Preis, die Wartezeit sowie umständliche Bestellprozesse.
Daher bietet Picnic die Zustellung kostenlos und immer am Folgetag nach Bestelleingang an. Das Lieferfenster ist zunächst auf eine Stunde begrenzt, im Laufe des Tages wird es aber immer konkreter bis hin zu einem Fenster von 20 Minuten. Des Weiteren kann der Fahrer in der App getrackt werden. Das bietet dem Kunden die Möglichkeit, genau zu verfolgen, wo sich der Lieferant befindet. Geliefert wird dabei mit Elektrofahrzeugen. Aktuell ist das Start-up in Deutschland in Kaast bei Düsseldorf aktiv. In den kommenden Monaten sollen zwei weitere Städte folgen.

Screenshot/Freshfoods by Feneberg
Aber auch kleine Player wie beispielsweise der Regionalsupermarkt Feneberg probieren im Online-Handel mit Lebensmitteln einiges aus. Zum einen kooperiert Feneberg mit Amazons Prime Now Service. Zum anderen hat der Lebensmittelhändler mit FreshFoods by Feneberg erst kürzlich seinen eigenen Online Shop auf Vordermann gebracht - inklusive Bio-Modus, personalisierter Kauflisten sowie einem neuen Lieferkonzept, das Gratisrouten beinhaltet.
Top-Lebensmittel-Shops in Deutschland
In Deutschland zählen laut der Studie "Lebensmittel E-Commerce 2018" folgende Shops gemessen am Umsatz mit Lebensmitteln zu den Top 15:

EHI
Allerdings werden hierbei auch Web Shops aufgelistet, die keine frischen, schnell verderblichen Lebensmittel anbieten. Dennoch ist es so, dass fast 50 Prozent der umsatzstärksten Online Shops in Deutschland frische Lebensmittel anbieten. Insgesamt erwirtschafteten zwei Online Shops im Jahr 2016/2017 jeweils einen Umsatz in Höhe von 100 bis 200 Millionen Euro mit Lebensmitteln. Die Mehrzahl der Shops machen einen Umsatz von zehn bis 20 Millionen Euro.
Viele der Player im Online-Lebensmittelhandel verfügen über keine stationären Geschäfte, sondern sind reine Online Pure Player. Gründe dafür sind, dass die Start-ups sich zunächst auf das Online-Geschäft konzentrieren, ehe sie ein stationäres Geschäft eröffnen. Etablierte Supermärkte scheuen sich oft vor dem Schritt in den E-Commerce beziehungsweise ziehen sich wegen des ausbleibenden Erfolgs und den zu hohen Kosten wieder zurück.
Die Kosten sind das Hauptproblem
Insbesondere die Kosten sind ein großes Problem - auf beiden Seiten: Die Kunden wollen nicht für Lebensmittel aus dem Web mehr bezahlen als für Waren aus dem stationären Handel. Zudem wollen sie, dass die Lieferung keine zusätzlichen Kosten verursacht - diese soll aber dennoch zu ihrem Wunschtermin stattfinden. Die Händler haben durch den Service allerdings mehr Kosten, die sie entweder über den Preis für die Lebensmittel oder über eine Liefergebühr abdecken müssen.
Beide Parteien zufriedenzustellen ist daher ein Drahtseilakt, den bisher nur die wenigsten Player am Markt meistern. Ob die Konzepte der Start-ups hier Abhilfe schaffen werden und die etablierten Supermarktketten somit doch irgendwann nachziehen müssen, um den Anschluss an ihre Kunden nicht zu verlieren, bleibt abzuwarten.