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Interview "New Normal" Sebastian Deppe: "Buy-Local-Romantik lebt auch von Homeoffice-Strukturen"

Sebastian Deppe, BBE Handelsberatung

BBE Handelsberatung

Sebastian Deppe, BBE Handelsberatung

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Das neue Jahr ist für Handel und Hersteller vor allem eins - unplanbar. Wir fragten Unternehmensberatern nach ihren strategischen Empfehlungen. Dieses Mal beantwortet Sebastian Deppe von der Münchner Handelsberatung BBE unsere Fragen.

Vor welchen Herausforderungen steht der Handel, wenn er vermutlich im Februar aus dem zweiten Shutdown kommt?

Sebastian Deppe:
Da gibt es ganz unterschiedliche Ausgangslagen, abhängig von drei Kernfaktoren: Branche, Standort und Management. Während die Textilbranche zu den Verlierern der Krise zählt, stellen sich Branche wie Möbel, Baumärkte oder Fahrrad als Profiteure da. Gerade die Fahrradbranche hat  nach bereits guten Jahren aktuell eine Sonderkonjunktur erlebt und teilweise schon für die kommende Saison ausverkauft. Doch  auch hier ist durch Vorziehungseffekte die Zukunft unsicher. Insofern ist jede Investition in höhere Kapazitäten ein Risiko, weil niemand abschätzen kann, ob das Niveau so bleibt.  Der nächste Faktor ist der Standort. Händler in bester Innenstadtlage wie in München City haben aktuell 50 bis 60 Prozent weniger Frequenz als vor Corona. Die Weihnachtsmärkte sind ausgefallen. Die Gastronomie hat geschlossen. Da stellt sich die Frage, was an Frequenz in Zukunft wieder zurückkommt, wie sich der Tourismus entwickelt, wann Massenimpfungen möglich sind und wann die Leute wieder in die Städte kommen. Und die dritte Ebene ist das Management. Hier zeigt sich, dass in der Krise kleinere Strukturen oft bevorteilt waren, weil sie agiler handeln konnten. Zudem wurden lokale Anbieter von einer Buy-Local-Romantik beflügelt. Doch auch da muss man sich fragen, wie lange diese noch wirkt, schließlich lebt so etwas  zum Teil auch von den aktuellen Homeoffice-Strukturen. Ich kenne viele kleinere Händler, die in der Krise Zielgruppen zurückgewinnen konnten, die sie für verloren hielten. Und die waren begeistert von dem Einkaufserlebnis und haben festgestellt, dass ihr Bild vom mittelständischen Einzelhandel in der Vergangenheit zu schlecht war. 

Gehen wir mal zurück zu den Corona-Gewinnern, die jetzt in höhere Kapazitäten investieren wollen. Von welchem Planungshorizont geht man da denn aus? Wieviel vom "New Normal" bleibt nach der Krise bestehen?

Deppe:
Die Unsicherheit ist tatsächlich so groß, dass keiner sagen kann, was passiert. Deswegen ist eine extrem dezidierte Szenarioplanung elementar- und das nicht nur für zwei Szenarien, sondern je den Rahmenbedingungen können es auch mehr sein. Diese Planungen  müssen dann dynamisch angepasst werden. Das Risiko eines dritten Lockdowns ist ganz anders zu beurteilen, wenn auf einmal die Impfungen greift. Das gilt im Übrigen auch für Hilfen-Inanspruchnahme. Das Paradoxon im ersten Lockdown war doch, dass gerade Unternehmen in Schieflage sehr schnell Mittel bekamen, weil sie ihre Daten schon aufgearbeitet und die Banken ein hohes Interesse hatten, diese Betriebe mit Darlehen zu versorgen, die vom Staat abgesichert sind. Das führt nun dazu, dass Unternehmen mit Schieflage, die Geld bekommen haben, jetzt teilweise besser dastehen als je zuvor. Nur ihr Geschäftsmodell wurde nicht unbedingt über Nacht besser. Und das wird nun zur Gefahr für die Guten. Denn erstens stellt sich die Frage, ob es in der zweiten Welle überhaupt noch ausreichend Gelder gibt. Und zudem könnte der Wettbewerb so verzerrt sein, dass schwache Unternehmen die Geschäftsmodelle von eigentlich funktionierenden Unternehmen gefährden. Auch das spielt als Unsicherheit in jede Unternehmensplanung mit rein.

"Nicht jeder Umsatz im Online-Bereich ist automatisch Ertrag"

Brauchen jetzt alle Händler, die von Corona nicht profitiert haben, einen Online Shop, um ihr Überleben zu retten?

Deppe:
Für viele Multi-Brand-Händler machte es schon vor der Krise keinen Sinn, einen weiteren Online Shop zu eröffnen. Das ändert sich auch nicht durch Corona. Schließlich ist jeder Umsatz im Online-Bereich nicht automatisch Ertrag. Daneben gibt es einige Mittelständler, die früh angefangen haben, einen Online-Kanal aufzubauen und nun profitieren. Aber dass jetzt alle Hauruck-Aktionen machen, ist sicherlich nicht sinnvoll. Der Mut, etwas Neues auszuprobieren, ist gut. Aber man muss aufpassen, dass man jetzt nicht auf irgendwelche vermeintlichen digitalen Heilsbringer hereinfällt. Die grundlegenden Mechanismen haben sich auch durch Corona nicht geändert. Vielleicht haben wir in einigen Bereichen ein paar Jahre der Entwicklung "übersprungen". Aber deswegen sind nicht auf einmal lokale Online-Plattformen, die vor Corona schwierig waren, ab morgen nachhaltig rentabel. Wir müssen die Entwicklungen kritisch und weniger emotional hinterfragen. Dass mehr online eingekauft wird, wenn die Läden eineinhalb Monate geschlossen haben, überrascht mich nicht. Und noch einmal: Umsatz ist nicht gleich Ertrag.

Ich habe verstanden: Nicht unbedingt ein Online Shop, eher kein lokaler Marktplatz. Aber was denn dann?

Deppe:
Sehen wir es nüchtern: Wenn wir in einer Branchen 30 Prozent Online-Anteil haben, gibt es immer noch 70 Prozent Anteil für den stationären Handel. Das ist keine schlechte Perspektive. Der Handel muss sich wie schon in der Vergangenheit einfach die Frage stellen: Warum sollen Kunden bei mir einkaufen und nicht woanders. Wer nur Ware hat, die überall günstig verfügbar ist , und keinen relevanten Mehrwert  bietet, hat heute schlichtweg keine Existenzberechtigung mehr. Das gilt im übrigen off- wie online. Aber ich bin absolut davon überzeugt, dass viele stationäre Händler bei vielen Kunden, auch jungen Leuten, eben diesen Mehrwert liefern können. Das wird nicht leichter und die Erwartungshaltung wird immer höher. Aber das ist ja alles nichts Neues, nur maximal ein bisschen beschleunigt. Für viele -insbesondere kleinere Händler- wird auch nach Corona der Online-Verkauf wenig sinnvoll sein, aber Digitalisierung bietet auch darüber hinaus viele  Potenziale. 

Welche Kernkompetenzen braucht ein Top-Handelsmanager von heute?

Deppe:
Führung war noch nie so wichtig wie heute. Ich darf als verantwortliche Führungskraft gerade in der Krise  nicht dramatisieren oder nihilieren, sondern muss es offen, ehrlich und transparent schaffen, meine Mitarbeiter zu motivieren. Es geht darum, realistische aber durchaus herausfordernde Ziele zu definieren, diese gemeinsam zu erreichen  und Erfolge zu feiern. Und das ist in Teilen auch ein Vorteil für mittelständische Strukturen mit flachen Hierarchien. Es ist Beweglichkeit, die in den jetzigen Zeiten zählt, auch für Führungskräfte.

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