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Carsten Kraus

Carsten Kraus, Fact-Finder "Das Problem ist, dass sich viele Shops an Amazon orientieren"

Carsten Kraus, CEO und Gründer von Omikron

Omikron

Carsten Kraus, CEO und Gründer von Omikron

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Carsten Kraus glaubt an die Verzahnung von Offline- und Online-Handel, an Assistenz-Systeme wie Amazon Echo und selbstfahrende Autos. Ein Gespräch mit dem CEO und Gründer von Fact-Finder.

Fact-Finder definiert sich selbst als "Europas Marktführer für die Onsite-Suche, Navigation und personalisiertes Merchandising". Marktführer hin oder her - Fakt ist, dass das Tool der Omikron Data Quality GmbH inzwischen von Kunden genutzt wird, deren Jahresumsatz mindestens eine Millionen Euro beträgt. Den größten Teil des Umsatzes macht das Unternehmen mit den Top 100 Shops. "Wir arbeiten in etwa 1.650 Shops, das sind etwa 700 Kunden. Von diesen 700 Kunden haben rund 100 mehr als 500 Shops, dazu gehören beispielsweise Anbieter, die in 16 Ländern einen eigenen Länder-Shop haben. Dazu zählen auch Kunden wie mytheresa, die keine Media-Markt-Größe haben, aber eben viele Länderpräsenzen", ergänzt Carsten Kraus, CEO und Gründer von Omikron.

Wir sprachen mit Kraus über die Entwicklung des Handels, künstliche Intelligenz und über alte und neue Prognosen zur Zukunft des E-Commerce.

Lassen Sie uns mit einem kurzen Rückblick beginnen: Wie lief das Jahr 2016 für Sie?
Carsten Kraus: Gut. Wir sind vor allem mit unserem Geschäftsbereich Data Quality sehr zufrieden, er ist um 48 Prozent gewachsen. Das ist das beste Ergebnis seit es diesen Bereich gibt. Der Sektor "Data Quality Tools" wächst grundsätzlich, nicht nur bei uns. Laut Gartner gibt es dort global mehr Wachstum als im E-Commerce selbst.

Online Shops entwickeln zunehmend auch eigene Suche-Tools, sei es mit oder ohne Agentur. Spüren Sie das?
Kraus: Ja, das spüren wir auf jeden Fall. Das Problem ist, dass viele Shops sich an Amazon orientieren. Die Shop-Betreiber denken: weil Amazon eine eigene Suche entwickelt hat, müssen wir das auch selbst machen. Amazon aber hat allein in die Entwicklung der Suche geschätzt mehrere hundert Millionen US-Dollar gesteckt. Es gibt viele deutsche Anbieter, große Online Shops mit durchaus beachtlichen Umsätzen, die nun neben eigenen Shopsystemen auch eigene Produktsuchen und eigene Recommendation Engines entwickeln wollen. Was sie völlig unterschätzen, ist, dass das Raketenwissenschaft ist, jedenfalls wenn man will, dass Suche und Reco auch hohe Conversion-Rates bringen. Das ist nichts, was ein paar Entwickler in wenigen Jahren machen können.

Als wir damals den Markt betraten, gab es einige Start-ups aus dem Such-Tool-Bereich. Viele Unternehmen meinen, was diese Unternehmen mit ein paar Leuten geschafft haben, schaffen wir mit doppelter Mann-Besetzung locker. Das Problem ist aber, dass es die meisten Start-ups von damals nicht mehr gibt. Also hier findet man recht viel Selbstüberschätzung, man entwickelt das nicht mit einer halben Millionen Euro und einer Open-Source-Technologie.

Scheitern Online Shops, die selbst entwickeln wollen, also in jedem Fall?
Kraus: Nicht zwangsläufig, aber die Qualitäts-Unterschiede in diesem Bereich sind einfach größer, als die meisten Shops zu Beginn glauben. Spielen Geld und Zeit keine Rolle, spricht nichts dagegen - in allen anderen Fällen rate ich dringend ab. Einer meiner Lieblingsautoren, Geoffrey Moore, sagt: "Differentiate where you really can. Use best practices where you can't."

"Der Offline-Handel gerät zunehmend unter Druck, wovon wir profitieren"

Versicherungen, Finanzwirtschaft, Medien: Viele Branchen geraten stärker unter Druck. Wo steht der Handel?
Kraus: Der Offline-Handel gerät ebenfalls zunehmend unter Druck, wovon wir profitieren. Offline investiert mehr in online. Spannend wird es für mich dann bei der Verzahnung und Fragen wie "Wo stelle ich meinen Click-und Collect-Desk im Laden hin?". Solche Fragen kann man aber lösen, wenn man alte und neue Technologien sowie Kompetenzen verbindet, also beispielsweise dem Kunden am Abhol-Counter eine ausgedruckte Seite mit passenden Recommendations gibt - mit lauter Sachen, die man jetzt im Laden anschauen und kaufen kann, und wo man sie findet. Das Problem ist heute aber leider immer noch, dass es kaum jemanden gibt, der in beiden Bereichen, Offline und Online, gut ist. Über solche Verbindungen sollte der Handel intensiver nachdenken. Es geht nicht nur um die Frage, wie man einen guten Online Shop baut.

Was ist Ihre Erfahrung: Zalando etwa ist ein Händler, der sehr stark datengetrieben arbeitet. Aber wo steht der durchschnittliche Online-Händler beim Sammeln von Daten? Ist eine Big-Data-Analyse jedem ein Begriff?
Kraus: Wenn Sie ihn fragen, würde er vermutlich ja sagen. Es gibt auch immer wieder glorreiche Ausnahmen, die sich sehr gut auskennen. Tatsächlich ist es aber so, dass auch die meisten größeren Online-Händler das Thema nicht wirklich verstehen. Das ist natürlich nicht so einfach, ein bisschen oberflächliches Einlesen genügt nicht. Und nicht jeder erfolgreiche Case kann eins zu eins auf einen anderen Shop oder ein anderes Unternehmen übertragen werden. Die Welt verändert sich einfach zu schnell, als dass die Leute das Ganze nachlernen könnten.

Sie haben in einem Interview von 2010 ein paar Thesen zur Zukunft des Handels aufgestellt. So sagten Sie, iPads würden das ganze Shopping-Verhalten verändern. Sieben Jahre später hat man das Gefühl, mit M-Commerce nicht wesentlich vorangekommen zu sein…
Kraus: Ja, das ist aber leider bei mehreren E-Commerce-Themen so. Es ist einiges langsamer vonstattengegangen, als ich das gedacht hätte. Und was speziell die iPads betrifft: eine Revolution, die ich im M-Commerce nicht vorhergesehen hatte, waren die Phablets, also die großen Smartphones, auf denen ich einkaufen kann. Sie haben den Tablets einiges an Anteilen weggenommen, aktuell verlieren die Tablets sogar an Marktanteil.

Ist das mobile Nutzererlebnis besser geworden?
Kraus: Nicht überall, da viele nicht auf die Eigenheiten des Gerätes Rücksicht genommen haben. Es gibt nur wenige Shopping Apps, die wirklich gut gemacht wurden und eine Art "Magazin-Gefühl" transportiert haben, zum Beispiel net-a-porter. Die Magazine haben sich aber nicht durchgesetzt, der Aufwand ist einfach zu groß. Die Tatsache, dass es Amazon auch nicht gemacht hat, könnte einem zu denken geben. Offenbar lohnt sich der Aufwand für die breite Masse gar nicht. Amazon hat seine Shopping App inzwischen ja auch wieder sehr Website-ähnlich gestaltet. Es scheint sich also tatsächlich nicht so viel getan zu haben. Immerhin haben viele Shops heute Responsive Design, zeigen also auf dem Smartphone nicht mehr die Desktop-Seite in Mini an.

Sie sprachen damals auch über Location Based Service und das Henne-Ei-Problem. Es gibt zu wenig Nutzer, weil es zu wenig Angebote gibt und umgekehrt. Das ist jetzt immer noch so, oder?
Kraus: Ja, das ist immer noch das Problem. Hier hatte ich ebenfalls gedacht, dass sich LBS schneller durchsetzen. Es hat sich ja tatsächlich noch gar nicht verbreitet. Zwar gibt es einzelne Test-Stores, aber Anbieter gehen im gleichen Atemzug auch Pleite, weil es den Investoren einfach zu langsam geht und das Wachstum fehlt.

Wie sieht es beim Thema digitale Geldbörse aus?
Kraus: Das ist auch so ein Henne-Ei-Problem. Wenn es keine Läden und Möglichkeiten gibt, wo ich mit entsprechenden Apps bezahlen kann, muss ich auch keine entwickeln. Ich glaube grundsätzlich, dass Themen wie M-Commerce, LBS und Mobile Payment erst noch ihre große Zeit erleben werden, aber es kann einfach auch nicht alles auf einmal seinen großen Durchbruch erleben.

"Assistenz-Systeme wie Amazon Echo werden sich durchsetzen"

Lassen Sie uns zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) wechseln. Was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Kraus: KI ist für mich ein Werkzeug, das dem Menschen das Denken in irgendeiner Form abnimmt. Das ist natürlich eine sehr breite Definition, aber ich zähle zu KI auch Dinge, die ein KI-Forscher nicht dazu zählen würde. Diese sprechen eigentlich nur noch über neuronale Netze. Im Unterschied dazu zähle ich beispielsweise auch Predictive Targeting dazu, was im Grunde genommen "nur" höhere Statistik ist.

Ist dann Amazon Echo auch ein KI-System?
Kraus: Ja, und ich glaube auch, dass sich solche Assistenz-Systeme durchsetzen werden. Ich halte sie für einen Game Changer, die Frage ist nur, wer das Feld am Ende besetzen wird. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir aufgrund unseres Datenbewusstseins ein Gegenmodell zu Amazon präsentieren können. In den USA wird Amazon das Spiel gewinnen, in Deutschland muss das nicht so sein. Die Leute hier trauen den Amerikanern in solchen Sachen nicht immer und wenn ohnehin Trumps Abschottungspolitik so durchgeführt wird wie geplant, dann könnte es auch sein, dass wir hier noch bessere Chancen für den deutschen Handel haben.

Was allerdings grundsätzlich nie funktionieren wird, ist das platte Kopieren von Amazon. Wenn, dann muss man versuchen, mit seinen eigenen Stärken groß zu werden, ein "Klein-Amazon" wird gegen den Riesen verlieren. "Copy" alleine reicht nicht, "innovate" alleine aber auch nicht. Ich muss die Kombination finden, die für ein bestimmtes Kundensegment einen besseren Mehrwert liefert als es die großen US-Player tun.

Was ist darüber hinaus für Sie ein Trend, der sich durchsetzen wird?
Kraus: Ich glaube, dass sich selbstfahrende Autos durchsetzen und Mainstream werden. Ich schätze, dass in zehn Jahren die Mehrheit der Taxis aus selbstfahrenden Autos besteht. In Deutschland wird das Ganze ein bisschen blockiert, weil die deutschen Hersteller noch hinterherhinken. Tesla hingegen gewinnt so viele Daten, dass das Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil haben wird.

Was steht für Sie nun 2017 an?
Kraus
: Das Thema Semantik ist für uns in diesem Jahr wichtig. Wir glauben, dass der Markt bald reif wird dafür. Vor ein paar Jahren haben wir schon einmal eine Technologie hierfür erfunden und erst mal nur für die Reisebranche angeboten. Man konnte dann "mit meiner kleinen Tochter über Weihnachten an den Strand" suchen. Das war damals nicht relevant, da 98 Prozent der Nutzer nur ein einzelnes Wort - zum Beispiel "Mallorca" - bei der Suche eingegeben haben. Da braucht man keine semantische Suche. Das hat sich geändert, die Nutzer suchen anders. Das gilt es nun auch auf andere Branchen zu übertragen. Daher ist diese Technologie jetzt auch in unserem neuen Fact Finder "Next Generation" integriert, der im Herbst erscheint. Ich glaube zwar eigentlich, dass die meisten User noch immer nicht so weit sind, denke aber, dass es besser ist, sich hier möglichst früh zu positionieren.

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