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Dark Stores von Tesco

Online-Shops Lebensmittel online: Vorreiter Großbritannien

Tesco
Tesco

Wocheneinkauf per Mausklick? In Deutschland kaum genutzt ist er in Großbritannien längst üblich. Doch den Händlern bereitet das Geschäft bisher vor allem Verdruss.

von Nora Jakob

Salat, Eier, Fisch, Fleisch: Immer mehr Supermärkte liefern Lebensmittel nach Hause - in Deutschland allerdings eher selten. Die Verbraucher sind vorsichtig, die Experten skeptisch. Ein großer Wurf ist der Online-Handel mit Lebensmitteln hierzulande bislang nicht. Anders ist die Lage in Großbritannien: Auf knapp acht Milliarden Euro beläuft sich das ­Online-Marktvolumen im Vereinigten Königreich, schätzt das IFH Köln.

Sechs Prozent aller Lebensmittel werden damit in Großbritannien mittlerweile online verkauft. Ein Anteil, der bis 2020 auf 8,6 Prozent steigen soll, wie die Marktforscher von IGD Research Note ermittelt haben. Das Marktvolumen läge dann bei 17 Milliarden Pfund. Vor allem internetaffine Briten zwischen 25 und 34 Jahren kaufen ihre Lebensmittel gern online. Was ­zunächst ein Nischenphänomen war, ist mittlerweile ein ernst zu nehmender Markt.  

"Der Erfolg des Online-Lebensmittelhandels in Großbritannien ist dabei vor ­allem auf die Metropolregion London zurückzuführen, auf die sich viele Angebote fokussieren", sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung in Köln. Das Vereinigte Königreich, in dem die "Big Four" (Tesco, Asda, Sainsbury’s und Morrisons) den Ton angeben, gilt als Online-Pionier: In keinem anderen Land haben die Supermärkte derart viel Geld in den Online-Handel investiert.

Maßnahmen der Supermarktketten

Trucks von Tesco

Trucks von Tesco im Einsatz.

Tesco

So haben die Supermarktketten spezielle Kühllieferwagen angeschafft, die die Waren noch am Tag der Bestellung zustellen, häufig sogar in einem Zeitfenster von einer Stunde. Maximal sechs Euro kostet die Lieferung, die bis 23 Uhr an sieben Tagen der Woche möglich ist. Der überwiegende Teil der Bestellungen aus dem Netz wird in den Filialen zusammengestellt; Tesco, das ­seine Internet-Aktivitäten bereits 2000 startete und mittlerweile über 37,5 Prozent des Marktes kontrolliert, und Asda (Marktanteil: 15 Prozent) unterhalten aber auch sogenannte "Dark Stores", also Warenlager, in denen ausschließlich Online-Bestellungen gepickt werden.

Zudem haben viele Supermarktketten früh in Cross-Channel-Systeme investiert: Die Kunden recherchieren und kaufen die Produkte im Internet. Die Abholung findet jedoch im Supermarkt statt - oder an speziellen Click & Collect-Schaltern, wie Tesco und Sainsbury’s sie anbieten. Ähnlich wie bei Amazon gibt es zudem bei einigen Anbietern die Möglichkeit, "Premium-Kunde" zu werden und von einem besseren Service, etwa geringeren Lieferkosten und Sonderangeboten, zu profitieren. 

Stationärer Handel stützt oft das Online-Geschäft

Das Problem: Bisher lohnt sich das aufwendige Engagement kaum. Oft sind die Kosten höher als die Erträge. Bei keiner der großen Ketten lässt der Jahresbericht, in dem zwar der Online-Handel aufgeführt wird, aber keine detaillierten Zahlen veröffentlicht werden, Rückschlüsse auf die Rentabilität zu. Hinzu kommt, dass sich Online- und Offline-Handel kaum voneinander trennen lassen. Fakt ist aber, dass der stationäre Handel das Online-Geschäft nach wie vor subventioniert.

Denn der Online-Handel mit Lebensmitteln folgt eigenen Gesetzen - gerade bei frischen Produkten ist der logistische Aufwand hoch: Die Routen müssen genau berechnet werden, die Versandkosten sind für den Kunden vergleichsweise günstig, der Händler zahlt aber drauf, weil er ­eigentlich nicht so billig liefern kann. Ein Zuschussgeschäft also, damit das hohe ­Niveau und der gute Service gehalten werden können.

"Wir glauben nicht, dass mit dem Online-Handel von Lebensmitteln wirklich viel Geld verdient werden kann", sagt Andrew Stevens, Senior Analyst der privaten Forschungsgruppe Verdict. "Je mehr Kunden dies nutzen werden, desto teurer wird es letztlich auch für die Händler. Aber diese begreifen den Online-Handel dennoch als ein wichtiges Geschäftsfeld."

Große Konkurrenz in Großbritannien

Warum also dieses aufopferungsvolle Engagement für ein Geschäft, mit dem kein Blumentopf zu gewinnen ist? Das liegt ­einerseits an der stark wettbewerbsorientierten Food-Branche in Großbritannien, meint Stevens: "In Großbritannien ahmen die Supermärkte ihre Konkurrenten gerne nach. Macht also einer einen Schritt nach vorne, werden die anderen sehr wahrscheinlich nachziehen", so der Analyst. ­

Dazu kommt die immer realer werdende Bedrohung durch Amazon: Der Lieferservice Amazon Pantry ist seit Mitte November in Großbritannien verfügbar; zudem wird wird gemunkelt, dass der ­Online-Händler seinen Frischwarenlieferdienst im kommenden Jahr nach London bringen wird. Ein lokaler Rivale ist da schon weiter: Der Online-Supermarkt Ocado kommt ohne eine einzige stationäre Filiale aus, hat nur Lagerhäuser und eine Flotte von Lieferwagen, die mittlerweile fast in ganz Großbritannien unterwegs ist, um Lebensmittel auszuliefern.

Gefährliche Offline-Gegner aus Deutschland

Sainsbury's Click & Collect

Click & Collect-Services für Lebensmittelkäufe sind unter den britischen Online-Kunden beliebt; der Ausbau des Angebots ist für Händler aber ein ruinöses Geschäft.

Sainsbury's

Neben dieser Bedrohung aus der Online-Welt müssen sich die Big Four seit Kurzem auch neuer starker Gegner erwehren: Die deutschen Discounter Aldi und Lidl mischen den britischen Lebensmittelmarkt kräftig auf. In Großbritannien zählt Lidl wöchentlich 5,5 Millionen Kunden, eine Steigerung von 500.000 gegenüber dem letzten Jahr. Der Marktanteil liegt bei 4,3 Prozent und der Umsatz ist im Jahresvergleich um 18 Prozent gestiegen.

Damit ist Lidl nach eigenen Angaben die am schnellsten wachsende Supermarkt-­Marke im Königreich. Und auch Aldi ist auf der Insel überaus erfolgreich: Der Discounter konnte seinen Umsatz um 15,1 Prozent steigern und kommt auf einen Marktanteil von 15,1 Prozent. Die alten Marktführer verlieren im Preiskampf ausnahmslos: Erst Mitte November wurde bekannt, dass der Gewinn von Sainsbury’s um 18 Prozent gefallen ist - und damit auf den niedrigsten Wert seit 2010.

"Sainsbury’s verliert weiter Marktanteile bei schrumpfenden Umsätzen und Margen", so der Kommentar von David Stoddart, Experte beim Analysehaus Edison Investment ­Research. Auch im zweiten Halbjahr ­rechne das Unternehmen mit einem schwierigen Markt. "Bis zu einer Atempause ist es also noch eine Weile hin", betont Stoddart. Es überrascht nicht, dass es bei Tesco nicht besser aussieht.

Aldi und Lidl wollen auch mitmischen

Aldi und Lidl machen ihren britischen Wettbewerbern auch ohne übermäßiges Online-Engagement das Leben schwer: Lidl vertreibt in seinem britischen Online-Lebensmittel-Shop nur haltbare Produkte. Aldi beteiligt sich bisher gar nicht, obwohl es noch ­Anfang des Jahres Gerüchte gab, dass der Discounter den Start in den Online-Handel vorbereitet - ausgerechnet in Großbritannien.

Der Launch des Shops wird jetzt für Anfang 2016 erwartet. Insgesamt 35 Millionen Pfund sollen in den Ausbau der Online-Aktivitäten investiert werden. ­Allerdings wird der Shop dann zunächst nur Wein und Non-Food-Produkte anbieten. Experte Andrew Stevens glaubt aber nicht, dass die deutschen Ketten ihre Aktivitäten in diesem Bereich aus­bauen werden. Schließlich wolle Aldi den Kunden billige Produkte bieten und mit der erwirtschafteten Rendite weiter expandieren.

Spekulieren auf eine bessere Zukunft

Tüte Amazon Fresh

Bald auch in UK? Amazon Fresh soll im nächsten Frühjahr starten

amazon fresh

Um sich der deutschen Billigkonkurrenz zu erwehren, suchen die ehemaligen Platzhirsche also ihr Heil im Online-Handel, in der Hoffnung, die Kunden mit gutem Online-Service weg von den Discountern und ­zurück in die eigenen Läden zu locken - auch wenn sich der Kundenkontakt dann eventuell auf den teuer erkauften Click & Collect-Schalter beschränkt - in der Hoffnung, dass sich die bisher mageren Margen in Zukunft steigern lassen.

Dass nicht alle britischen Supermärkte bei diesem ruinösen Spiel mitmachen wollen, zeigte kürzlich Asda: Die Walmart-Tochter verkündete einen Ausbaustopp für ihren Click & Collect-Service; stattdessen will der Händler die bestehenden freistehenden Schalter für dritte Parteien öffnen - so könnten andere Händler ihren Kunden künftig anbieten, ihre Online-Bestellungen an einem Asda-Schalter abzuholen.

Bei einem Blick auf die Wachstumsraten zeigt sich, dass der Online-Handel mit ­Lebensmitteln auch beim Vorreiter Großbritannien bisher nicht zur erwarteten ­Erfolgsgeschichte geworden ist - zumindest nicht für die Händler. Die Profiteure sind die Kunden, die vom Anstehen an der Kasse genervt sind und lieber schnell und zeitunabhängig einkaufen wollen.

Fazit

Die Händler können bisher jedoch nur verlieren: Der Markt wird von einem Konkurrenzkampf bestimmt, durch den auf der einen Seite die Preise nach unten gedrückt werden und auf der anderen die Supermarktketten versuchen müssen, mit ­neuen (Online-)Aktionen die Aufmerksamkeit der Kunden zu bekommen. Das wiederum ist teuer und bringt nicht zwangsläufig größeren Gewinn. Denn der Online-­Lebensmittelhandel hat es bislang nicht geschafft, seine Gewinnmargen zu erhöhen und wirklich Geld zu verdienen.

Andererseits: Das Potenzial des Marktes ist noch lange nicht ausgeschöpft, das Kunden­interesse ungebrochen. Das Wagnis eines Einstiegs in den Online-Handel mit ­Lebensmitteln ist zwar teuer, aber nichts zu tun (oder nur ein bisschen) wird noch teurer, heißt es von Handelsexperten bei McKinsey. Denn die Online Pure Player stehen schon in den Startlöchern.

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