
Blick ins Ausland Chancen für Online-Händler in China
Chinesische Verbraucher bestellen gern online und sie verlassen sich dabei auf Marken aus dem Ausland: Daraus erwachsen große Chancen für hiesige Online-Händler.
Geschätzt zwei Milliarden Euro Umsatz im internationalen E-Commerce und davon sollen rund 200 Millionen private Bestellungen sein: Diese Marktzahlen aus China für das Jahr 2015 sind ein gutes Vorzeichen für Online-Händler in Europa. Denn chinesische Käufer bestellen im Internet gern im Ausland, da internationale Marken bei ihnen einen guten Ruf haben. "Chinesen haben kein Vertrauen in heimische Produkte und müssen befürchten, Produktfälschungen zu kaufen", nennt Konstantin Urban, Vorstand von Windeln.de, als Grund für das Bestellverhalten.
Chinas Provinzen bringen viel Wachstum
Das Münchner Start-up bemerkte die Nachfrage aus China erstmals 2010/2011. Heute erwirtschaftet es mehr als 50 Prozent seiner Erlöse in China: Im ersten Halbjahr 2015 entfielen von 75 Millionen Euro Umsatz rund 41 Millionen auf den Auslandsmarkt (s. Interview Seite 2). Windeln.de ist kein Einzelfall - bei der Pforzheimer Bodyguard-Apotheke etwa gehen zurzeit rund 400 Bestellungen pro Tag aus China ein, im Schnitt werden Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel im Wert von 150 Euro geordert.

Trotz der negativen Schlagzeilen, die das Land derzeit aufgrund des verlangsamten Wachstums produziert, entwickelt sich China zum Eldorado für Online-Händler und Marken: "Im dritten Quartal 2015 legte die Wirtschaft von China um knapp sieben Prozent und allein der Einzelhandel um mehr als zehn Prozent zu", berichtet Bernhard Schaaf, Deputy Director Asien bei Germany Trade and Invest, einer Gesellschaft des Bundeswirtschaftsministeriums zur Förderung der Außenwirtschaft. "Das Bruttoinlandsprodukt Chinas ist zwar in den letzten Jahren schneller gewachsen, aber im internationalen Vergleich sind das immer noch absolute Spitzenwerte."
Nach den Millionenstädten Peking, Shanghai oder Chongqing wird jetzt Chinas Hinterland erschlossen. Dort sind Ladengeschäfte selten - noch ein Grund, warum bevorzugt online und mobil bestellt wird. "Funktionierende E-Commerce-Plattformen sind ein Muss für das China-Geschäft", sagt Jost Wübbeke, Analyst beim Mercator Institute for China Studies. "Angebote sollten am besten in den Online-Kaufhäusern Tmall, Jingdong oder beim Chat-Dienst Wechat platziert werden."
Deutsche Unternehmen in China
Windeln.de ließ früh sein Angebot übersetzen und hat zwischenzeitlich ein Team aus Native Speakern aufgebaut. Bodyguard nutzt neben seiner chinesischen Site den Dienstleister Azoya aus Hongkong und hat auf dessen Marktplatz Haituncun einen Shop eröffnet. Otto kooperiert mit JD.com, Metro mit Alibaba und Tmall und verkauft dort Produkte aus deutschen Landen.
BMW wiederum vertreibt seit April 2015 über Tmall Zubehör, Schmierstoffe und sogar Autos: "Der Shop auf Tmall ist ein Online-zu-Offline-Modell und führt Kunden zu autorisierten BMW-Händlern in China", lässt der Autohersteller wissen.
Der Vorteil von Marktplätzen wie Tmall, Haituncun oder Jongding (JD): Ihre Betreiber bieten zu den Shops noch Lager- und Logistikservices. "Marken benötigen keine eigene Lizenz für den E-Commerce", erklärt Toni Qiu, Geschäftsführer von JD Worldwide. "Wir helfen ihnen bei Lagerhaltung, Kundenberatung sowie mit Lieferdiensten." Nur mithilfe von Kurierdiensten per Flug, Rad und Auto ist die schlechte Infrastruktur in der Provinz oder auch in Metropolen zu überwinden.
Märkte und Internet sind stark reguliert
Nachteil der Marktplätze: Es gibt viele Konkurrenten - und oft genug Fälscher, vor denen sich die Chinesen mit einer Order im Ausland schützen wollen. Versender wie DHL und Fedex setzen ebenfalls auf die Chancen, die China bietet, und liefern in das Reich der Mitte.
Doch Vorsicht: Das Land reguliert die Märkte und das Internet und die Chinesen stellen hohe Ansprüche an Webservices. "Nicht überstürzt in den Markt eintreten", empfiehlt Wübbeke daher. "Eine gründliche Recherche zur Regulierung ist unabdingbar, überall können Fallen auftauchen, die das China-Geschäft kaputtmachen können."

Interview: "Chinesen kaufen lieber online als im Laden"

Konstantin Urban ist Vorstand und Mitgründer von Windeln.de. Seit 2011 verkauft das Start-up nach China, seit 2015 liefert es direkt dorthin aus.
www.windeln.de
Vorsichtshalber bestellen viele Chinesen Babynahrung und andere Kindersachen bei Windeln.de. Das Münchner Start-up windeln.de hat daher den Shop ins Chinesische übersetzt sowie ein China-Team und spezielle Services aufgebaut.
INTERNET WORLD Business: Seit wann verkaufen Sie nach China und wie kam es dazu?
Konstantin Urban: Wir haben Mitte 2011 gemerkt, dass die Nachfrage aus China steigt, diverse Kunden aus China ließen sich Bestellungen an Freight Forwarder oder Zwischenhändler und von dort nach China schicken. Deshalb haben wir zunächst Schritt für Schritt den Service für chinesische Kunden verbessert - also den Shop übersetzen lassen, Bezahlverfahren wie Alipay eingeführt, außerdem mit einem Callcenter in Vietnam eine chinesische Hotline aufgebaut. Seit diesem Jahr liefern wir außerdem direkt nach China.
Das scheint sich zu lohnen. 2014 hat Windeln.de knapp 57 Millionen, im ersten Halbjahr 2015 gut 40 Millionen Euro in China umgesetzt. Was kaufen Chinesen bei Ihnen?
Urban: Für uns lohnt sich das sicher. Aus China werden vor allem Babynahrung und Autositze bestellt. Das ist eine Folge der Skandale um verseuchtes Milchpulver, durch die 2008 Kinder starben. Generell kaufen Chinesen lieber online als im Laden, und sie bestellen gerne im Ausland, was deutsche Kunden nur selten tun. Sie haben eben kein Vertrauen in chinesische Marken und müssen befürchten, Produktfälschungen zu kaufen.
Haben Sie eigene Kapazitäten für und in China aufgebaut?
Urban: Inzwischen beschäftigen wir einige Native Speaker in München, die sich um die Gestaltung der Website und soziale Medien kümmern. Weil wir jetzt selbst nach China liefern, starten wir jetzt außerdem mit Suchmaschinen-Marketing bei Baidu.com. Eigene Lager oder eine Filiale vor Ort sind bisher aber nicht geplant. Wir wollen eine deutsche Marke bleiben und werden auch weiterhin in China als solche auftreten, um kein Vertrauen zu verspielen. Das Misstrauen gegen lokale Hersteller und Marken ist sehr hoch.
Bislang lief das Geschäft vorwiegend über Zwischenhändler, die sich um die Logistik kümmern. Jetzt liefern Sie selbst. Können Sie die Lieferung garantieren - die Infrastruktur im Land ist ja nicht optimal? Und wie aufwendig sind die Zollbestimmungen?
Urban: Freight Forwarder leiten die Bestellungen ihrer Landsleute nach China weiter. Liefern wir direkt, können wir die Bestellverfahren vereinfachen, straffen und schneller liefern. Kunden sparen Lieferkosten, aber auch unnötige Mehrwertsteuerzahlungen. Windeln.de kooperiert für den Versand nach China mit DHL, vor Ort ist außerdem das Angebot an Lieferservices sehr gut entwickelt. Allerdings sollte man darauf achten, Pakete besser und stabiler zu verpacken. Statt mehrerer Wochen dauert der Versand jetzt nur noch zwischen ein und zwei Wochen. Eltern, die um die Gesundheit und Sicherheit ihrer Kinder bangen, warten aber gerne. 60 Prozent der chinesischen Kunden ordern schon jetzt regelmäßig direkt bei uns, mittelfristig erwarten wir 80 bis 90 Prozent. Das System funktioniert also gut.
Markenhersteller oder größere Händler setzen auf Tmall oder auch auf JD.com. Planen Sie für Windeln.de ebenfalls Präsenzen auf den chinesischen Marktplätzen?
Urban: Nein, bestimmt nicht. Einen Shop auf Tmall oder Taobao zu eröffnen, das macht inzwischen jeder. Wir bekämen Schwierigkeiten, uns von dem dortigen Angebot zu differenzieren und abzuheben. Außerdem wächst mit einem eigenen Tmall- oder JD-Shop das Risiko, dass chinesische Kunden uns nicht mehr als deutsche Marke wahrnehmen, sondern glauben, dass wir ein chinesischer Anbieter oder Hersteller sind.
Bietet das Engagement in China Möglichkeiten, auch in andere Länder Asiens zu liefern?
Urban: China ist unserer Erfahrung nach schon ein Sonderfall. Das Misstrauen in die heimische Produktion ist in anderen Ländern längst nicht so hoch wie hier, dementsprechend ist auch der Bedarf in Ländern wie Indonesien oder Thailand sich direkt in Europa zu versorgen nicht so hoch. Bevor wir unsere Geschäfte weiter in Asien ausweiten, optimieren wir zuerst unser chinesisches Angebot und erhöhen gleichzeitig die Präsenz in der Heimatregion. Wir sind im zweiten Quartal 2015 in Italien gestartet, haben uns durch die Übernahme von Feedo gerade in Osteuropa ausgebreitet und wollen mit dem Kauf von Bebitus in Spanien, Portugal und Frankreich erfolgreich sein. Es gibt also aktuell auch für den europäischen Markt ausreichend zu tun für Windeln.de.