
Multichannel bei Adler Adler: "Unsere Prozesse werden besser und schneller"
Adler-Mode baut für die Digitalisierung auf RFID-Technik sowie Robotik und entwickelt mit Daten neue Services
Adler-Mode baut für die Digitalisierung auf RFID-Technik sowie Robotik und entwickelt mit Daten neue Services
Die Modebranche befindet sich in einer Krise: Adler-Mode profitiert jetzt von der Digitalisierung und Automatisierung. Effizientere Prozesse helfen dabei, das gebremste Umsatzwachstum auszugleichen.
Noch liegt der Online-Anteil von Adler-Mode bei knapp zwei Prozent der Erlöse. Doch das soll sich jetzt schnell ändern: Bis in drei Jahren will das Unternehmen aus Haibach, das 183 Modehäuser in vier Ländern betreibt, seinen Online-Anteil auf zehn Prozent des Umsatzes steigern. Vor sieben Jahren eröffnet, wird der Online-Shop in diesem Jahr erstmals die Einnahmen des erfolgreichsten Modehauses übertreffen.
Für mehr Online-Erfolg hat der Modehändler, der sich auf die Zielgruppe der Best-Ager ab 45 Jahren konzentriert, in den vergangenen sieben Jahren viele seiner Prozesse digitalisiert und automatisiert. Ausgangspunkt der Digitalisierungs- und Multichannel-Strategie ist die Umstellung auf die Radio-Frequency Identification- oder RFID-Technik: Durch Funkchips auf den Etiketten kann jedes der rund 27 Millionen Produkte, die Adler-Mode vorhält, im Warenwirtschaftssystem identifiziert und in Lagern oder Läden lokalisiert werden.
Das beschleunigt den Warenfluss im Unternehmen, hilft bei der Verzahnung von Online und Offline - und ermöglicht jetzt mehr Services und technische Hilfen: Seit Herbst 2016 testet Adler-Mode beispielsweise Inventur-Roboter und interaktive Spiegel in den Filialen. Im Interview erzählt uns Vorstandschef Lothar Schäfer von der Digitalisierung und wie sich diese jetzt im Unternehmen auswirkt.

Seit 2009 führt Lothar Schäfer das Unternehmen Adler-Mode, seit dem Börsengang 2011 als Vorstandschef. Der heute 52-Jährige studierte Maschinenbau und Betriebswirtschaft, startete seine Laufbahn als Ingenieur, Produktmanager und Marketingleiter in der Industrie und wechselte von der Beteiligungsgesellschaft Arques auf den Chefposten bei Adler.
Unternehmen
Filiale oder Online-Shop von Adler Moden - was ist Ihnen zurzeit wichtiger?
Lothar Schäfer: Beides.
Wie hoch liegt der E-Commerce-Anteil bei Adler?
Schäfer: Der lag 2016 bei knapp neun Millionen Euro, das sind rund 1,6 Prozent des Umsatzes. Das ist noch keine Riesensumme bei rund 544 Millionen Euro Umsatz, die wir im letzten Jahr erzielt haben.
Trotzdem haben Sie vorerst die Flächenexpansion gestoppt und wollen 2017 keine neuen Filialen eröffnen.
Schäfer: Genau. Das wirtschaftliche Umfeld im Textilhandel ist zurzeit schwierig. Es wird zu viel produziert, Überhänge sind nur mit Rabatten abzusetzen - die Branche rechnet mit einer Marktbereinigung. Daher werden wir 2017 zur Konsolidierung nutzen, im zweiten Quartal eine neue Filiale eröffnen, aber die Flächenexpansion ruhiger angehen und erst wieder in neue Häuser investieren, wenn die Lage sich gebessert hat und sich lukrative Möglichkeiten ergeben.
Sie testen in Erfurt, Limburg, Rüsselsheim und Mutterstadt unter anderem Inventur-Roboter und interaktive Spiegel. Wozu?
Schäfer: Wir wollen operativ besser werden und die Produktivität erhöhen, aber auch Einsparpotenziale heben. Adler Mode konzentriert sich auf Großflächen, unsere 183 Häuser bieten in vier Ländern Flächen zwischen 1.000 und 3.500 Quadratmetern. Interaktive Umkleiden oder Inventur-Roboter helfen uns dabei, Nebentätigkeiten des Personals zu automatisieren, so dass sich Verkäuferinnen und Verkäufer intensiver um ihre Kernaufgaben und die Kunden kümmern können.
Wie kommt die interaktive Umkleide, die Sie seit Oktober 2016 ausprobieren, bei Kunden an?
Schäfer: Sehr gut, Kunden finden es spannend, wenn sie über einen Touchscreen neben dem Spiegel noch Kollektions- und Outfit-Vorschläge empfohlen bekommen oder weitere Teile in die Kabine ordern können. Der eine oder andere Kunde stellt dazu natürlich Fragen und auch wir lernen im Umgang mit dem System noch dazu. Aber eine Erkenntnis ist schon heute, dass es einen positiven Effekt hat, wenn Kunden mehr Input zu Mode bekommen und sich weitere Kollektionsteile in die Umkleide reichen lassen können.
Verkaufen Sie also durch die Technik mehr?
Schäfer: Das ist natürlich Sinn der Sache. Wir beobachten und evaluieren derzeit aber noch. Für konkrete Zahlen ist es daher noch zu früh.
Werden Sie dadurch auch Personal einsparen?
Schäfer: Nein, und das wollen wir auch nicht. Wir brauchen weiterhin Verkäuferinnen und Verkäufer, die den Kunden beraten oder ihm die Ware in die Kabine bringen, die das System vorschlägt. Das Schlendern durch das Modehaus verlagert sich durch die interaktiven Umkleiden mehr in die Kabine. Hilfreich ist für den Kunden auf den Großflächen, die wir betreiben, sicher auch, dass jeder durch einen Button am Touchscreen Unterstützung herbeirufen und sich Ware aus anderen Sortimenten und Abteilungen bringen lassen kann. Das kennt ja jeder aus eigener Erfahrung: Rein in die Kabine, raus der Kabine und wieder zurück - dieses umständliche Hin und Her möchte man doch gerne vermeiden.
Pioniergeist lohnt sich
In den vier Test-Filialen kommen neuerdings auch Inventur-Roboter zum Einsatz. Wie helfen die Ihnen und was sparen Sie so ein?
Schäfer: Was wir mit den Robotern einsparen, können wir noch nicht beziffern. Sie bewegen sich abends nach Geschäftsschluss durch die Filialen und überprüfen anhand der RFID-Codes an den Textilien den aktuellen Warenbestand. Für die Bilanzierung unserer Geschäfte führen wir zurzeit einmal im Jahr eine Inventur durch, diese kostet uns einen fast siebenstelligen Betrag. Durch die Roboter möchten wir diese Kosten reduzieren und die eine Inventur durch regelmäßige Prüfungen ersetzen. Noch allerdings müssen die Wirtschaftsprüfer die Zahlen, die wir so ermitteln, anerkennen. Bilanzrechtlich prüfen wir gerade, inwieweit die laufende Bestandserfassung eine körperliche Inventur ersetzen kann.
Grundlage für Inventur-Roboter und auch interaktive Umkleide ist die RFID-Technologie. Wie lange haben Sie gebraucht, um 183 Modemärkte in vier Ländern damit auszurüsten und welche Kosten haben Sie investiert?
Schäfer: Das Projekt startete 2010, wurde dann in den folgenden zwei Jahren geplant und systematisch aufgebaut. Der Rollout begann 2013, Anfang 2015 waren alle Häuser mit Funkchips und neuen Etiketten ausgestattet. Seither können wir ankommende und ausgehende Waren in Echtzeit verfolgen und steuern. Mit dem Ausbau der dazu gehörenden Systeme haben wir also einen enormen Aufwand betrieben und auch finanziell einiges investiert. Wir waren damals bei der RFID-Einführung Pioniere, im Laufe der letzten Jahre konnten wir beobachten, wie die Preise für Chips und Equipment immer weiter nach unten gingen – als Early Mover konnten wir bei Dienstleistern vielleicht Kostenvorteile generieren, mussten aber die Technik teurer einkaufen.
Die Inventur-Roboter rollen nachts durch die Filialen und scannen bis zu 70.000 RFID-Etiketten: So lassen sich die Warenbestandsdaten aktualisieren, aber auch Nachbestellungen steuern und falsch einsortierte Produkte lokalisieren.
Unternehmen
Hat sich der Pioniergeist gelohnt?
Schäfer: Ja klar, die Technik erschließt Ihnen ja permanent neue Möglichkeiten und damit Vorteile im Wettbewerb. Auch unsere Konkurrenten brauchen diesen Vorlauf und das Anfahren neuer Technologien. Schaffen wir es beispielsweise, die laufende Bestandserfassung durchzusetzen, ist der Return of Investment durch die Roboter schnell zu errechnen. RFID bringt uns eine gigantische Transparenz, die wir bei der Warenwirtschaft nutzen. Dadurch werden unsere Prozesse besser und schneller. Mit Hilfe von RFID können wir ankommende Ware beispielsweise schneller in die Filialen bringen, wir schieben sie durchs Gate, sie ist damit im Warenwirtschaftssystem integriert und wir können sie sofort aushängen. Wir sehen heute, wie viele Teile auf den Verkaufsflächen hängen, im Zentrallager oder in den Handlagern und können jederzeit bestimmen, was wir nachordern und wieviel.
Vertikalisierte Ketten wie Zara oder H&M haben dadurch den Warenumsatz beschleunigt und die Lagerhaltung reduziert.
Schäfer: RFID vereinfacht den Fast Fashion-Gedanken, den wir bisher bei Einzelteilebn im Sortiment ebenfalls realisierten, jetzt aber verstärken können. Fast Fashion ist sicher ein Modebegriff, der mit dem Erfolg von H&M und Zara verbunden wird, aber klar, RFID vereinfacht Prozesse im Modehandel. Der Trend geht dahin, immer weniger Bestände zu führen und zum Saisonstart immer weniger Ware in die Läden zu fahren und stattdessen die Artikel, die gut laufen, nachzubestellen.
Merken Ihre Kunden ebenfalls Verbesserungen?
Schäfer: Die Vorteile der RFID-Technologie, beispielsweise die bessere Verfügbarkeit von Ware in den Läden, sind den Kunden vermutlich gar nicht so bewusst. Was allerdings vielen auffällt, sind die beschleunigten Kassenprozesse, denn auch hier werden die RFID-Etiketten automatisch ausgelesen. Da hören die Mitarbeiterinnen dann häufig die Frage: „Wie schon fertig? Sie haben doch noch gar nicht gescannt“.
Wie geht es technisch weiter In den Filialen?
Schäfer: Wir sind derzeit in vier Filialen dabei, interaktive Umkleiden, Inventurroboter und Bildschirme oder Digital Signage zu testen und zu optimieren. Es macht ja keinen Sinn, neue Technik gleich flächendeckend einzuführen. Nach der Testphase entscheiden wir über den Rollout und schauen, was den größten Nutzen bringt.
Verlangsamen Sie durch dieses Vorgehen nicht Ihre Modernisierung? Zurzeit wird doch eher zum agilen und schnellen Handeln geraten.
Schäfer: Die Rahmenbedingungen haben wir ja bereits geschaffen. Ein Roll-Out ist daher relativ schnell durchführbar, zumal die Systeme keine langen Vorlaufzeiten haben. Bevor wir aber hier weiter investieren, wollen wir den Nutzen konkret beziffern können.
Die Branche rechnet mit einer Marktbereinigung. Wo soll Adler danach landen?
Schäfer: Wir sind in der komfortablen Situation, dass wir gut mit Eigenkapital ausgestattet und durchfinanziert sind, keinen Druck von Banken oder anderen Investoren im Nacken haben und mit unserer Konsolidierungsstrategie, also ohne neue Filialen und kostspielige Investitionen, unser Pulver trocken halten können. Wir werden gestärkt aus dieser Marktbereinigung hervorgehen und können uns danach weiter entwickeln.
Verzahnung der Lieferwege pusht den Online-Shop
Adler-Mode verkauft auch online. Welche Herausforderungen sehen Sie derzeit im E-Commerce?
Schäfer: Unser Online-Umsatz muss anteilig weiter wachsen und soll von heute unter zwei Prozent bis 2020 auf zehn Prozent ansteigen. Das setzt ein enormes Wachstum voraus, aber auch die Verzahnung von verschiedenen Vertriebskanälen. Wir können den Online-Shop nicht mehr isoliert sehen, er ist nicht unsere 184. Filiale, sondern muss im Verbund mit weiteren Vertriebskanälen betrachtet werden - auch auf der Kostenseite. Wir werden also in den nächsten Jahren Online- und Offline-Kanäle weiter miteinander verzahnen und mehr Kunden auch für die Filialen online ansprechen.
Wie werden Sie den Online-Shop attraktiver machen?
Schäfer: Vom Umsatz her gesehen ist der Online-Shop gerade dabei, den stärksten Markt zu überholen. Jetzt gilt es, das Zusammenspiel zwischen online und offline auszubauen. Das wird wichtiger, auch in unserer Zielgruppe. Das kann durch die Verzahnung der Lieferwege geschehen und indem die 183 Märkte als Lieferzentren fungieren, also online bestellte Ware zu den Kunden bringen. Im Umkehrschluss ist das aber auch dadurch zu erreichen, dass zufriedene Online-Kunden über Marketing-Maßnahmen in die Modehäuser gezogen werden. Ein wichtiger Schritt dahin ist der Launch der Mein Adler-App, darüber werden wir künftig Push-Nachrichten mit Aktionen und Einladungen versenden, wenn sich der Nutzer in der Nähe eines Adler-Modemarktes aufhält.
Was läuft bei Ihnen online am besten?
Schäfer: Was immer gut läuft online, sind beispielsweise Kleider. Umfragen zufolge lassen sich Frauen die oft nach Hause schicken, weil sie dort die unterschiedlichsten Schuhe dazu probieren können. Generell gibt es Sortimente und Teile, die laufen online sehr gut, andere Angebote haben noch Nachholbedarf. Das liegt auch daran, dass unter den Mitarbeitern im Einkauf, die sich intensiv mit Online beschäftigen, einige eine hohe Affinität zu diesem Kanal haben und besser bewerten können, was online läuft, andere dieses Gespür aber noch stärker entwickeln müssen.
Adler Moden in 20 Jahren: Gibt es dann überhaupt noch Filialen?
Schäfer: Ich glaube nicht, dass der stationäre Handel komplett verschwindet. In vielen Fällen wollen Kunden die Ware anfassen, probieren und sich inspirieren lassen. Es ist doch ein Unterschied, ob ich online einkaufe oder in einem Laden, wo die Ware ansprechend präsentiert wird und erlebt werden kann. Modekäufe sind ja oft nicht geplant, viele Kunden kommen mit vollen Taschen nach Hause, weil sie mitnahmen, was ihnen gerade gefiel. Sicher werden sich aber die Handelsformate verändern. Die Filialen werden entweder noch größer und mit mehr Entertainmentelemente angereichert oder sie werden kleiner und das Angebot wird über Tablets und andere Geräte ins Internet verlängert. Zum Teil machen wir das schon in kleineren Filialen oder mit speziellen Sortimenten. Sucht beispielsweise ein Kunde in Hamburg eine Lederhose oder ein Dirndl, findet er die sicher nicht in der Filiale vor Ort, weil Trachten dort nur selten gefragt werden. Aber er kann sie online bestellen - zum Anprobieren in die Filiale oder nach Hause.
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