INTERNET WORLD Logo
Gemüse mit "Buy-local"-Schild

E-Commerce-Beirat Regionale Portale: Alle wollen Wuppertal

Shutterstock.com/Arina P Habich
Shutterstock.com/Arina P Habich

Über regionale E-Commerce-Portal wird derzeit heiß diskutiert. Auch der E-Commerce-Beirat der INTERNET WORLD Business nah sich des Themas an.

Immer mehr Städte und Gemeinden sehen regionale E-Commerce-Portale als letzten Strohhalm für den stationären Handel und das Überleben ihrer Innenstädte. Doch ­haben derartige Zusammenschlüsse, sei es auf regionaler oder auf Branchen-Ebene, wirklich eine Chance gegen große Online Pure Player oder Multichannel-Konkurrenten? Auf seiner aktuellen Sitzung diskutierte der E-Commerce-Beirat der INTERNET WORLD Business über die Potenziale der neuen Online-Offensiven und welche Beschränkungen es gibt. Als Gäste geladen waren Alexander Hock, Geschäftsführer von ANWR Media, der für die Verbundgruppe ANWR das Branchenportal Schuhe.de ­aufbaute, und Andreas Haderlein, der als freier Berater maßgeblich am Aufbau der Online City Wuppertal beteiligt war.

Herr Hock, Sie haben unter Schuhe.de ein Portal für die Mitglieder Ihres Einkaufsverbundes gelauncht. Hat der Einzelhandel eine bessere Chance, wenn er sich im Web mit ­anderen Händlern verbrüdert?
Alexander Hock: Es stimmt, dass immer mehr lokale Marktplätze mit ihren Konzepten an den Start gehen. Was diesen Marktplätzen aber meiner Meinung nach sehr häufig fehlt, ist der direkte Zugang zum Handel. Wir haben es als Verbundgruppe da leichter. Darüber hinaus müssen Sie dem stationären Handel die Zugangsvoraussetzungen so vereinfachen, dass er sich mit seinem Ladengeschäft anbinden kann, ohne Tausende von Euros investieren zu müssen. Wir zählen im Verbund rund 6.200 Filialen, von denen wahrscheinlich 98 Prozent ­online überhaupt noch nicht aktiv sind. In den vergangenen zwei Jahren haben wir uns erst mal darum gekümmert, unsere Mitglieder auf dem Portal Schuhe.de sichtbar zu machen – mit Öffnungszeiten und Marken im Sortiment. Im zweiten Schritt wollen wir das stationäre Sortiment sichtbar machen, und zwar nicht nur von Händlern mit eigenem Online-Shop, sondern auch von den ganz kleinen Händlern. ­Denen stellen wir die Bilder zur Verfügung, die unsere Mitglieder mit ihren Warenwirtschaften verknüpfen können. Inzwischen sind über 750 Filialen an Schuhe.de angebunden, die mehr als 900.000 verfügbare Modelle an Schuhe.de übertragen. Für ­diese Anbindung haben wir auch Click & Collect aktiviert und Online-Payment-Prozesse, sodass ein kleiner Händler zukünftig auch ohne Online-Shop verkaufen kann.  Ich glaube nicht, dass Marktplätze wie ­Locafox es schaffen werden, die kleinen, ­regionalen Händler aus allen Branchen ­direkt anzuschließen. Die werden sich ­Kooperationspartner in den jeweiligen Branchen suchen müssen, die ihnen die ­regionalen Verfügbarkeiten bereitstellen.

Herr Haderlein, fehlt Ihnen der Zugang zum stationären Handel?
Andreas Haderlein: Das Projekt Online ­City Wuppertal ist ein Wirtschaftsförderungsprojekt. Wir haben für dreieinhalb Jahre Mittel in Höhe von 115.000 Euro zur Verfügung gestellt bekommen. Im Konzept stand die Nutzung der Rathausgalerie in Wuppertal im Vordergrund, nicht der ­Online-Marktplatz. Denn für 115.000 Euro können wir uns keinen Online-Marktplatz leisten, sondern müssen eine Infrastruktur aufbauen. 2013 haben wir mit Atalanda den richtigen Partner gefunden, der Logistik mit taggleicher Lieferung als integralen ­Bestandteil eines lokalen Online-Marktplatzes sieht und einen Shop anbietet, der einigermaßen funktioniert und bei dem - anders als bei Simply Local - das Händlergesicht im Vordergrund steht. Versendet wird in Tüten, nicht in Päckchen. Und an der Stadtgrenze ist erst mal Sense.

Sabine Tietz: Diese Portale oder die stationären Händler, die dort vertreten sind, müssen sich aber doch die Frage stellen: Wieso sollten die Kunden bei uns kaufen? Was hat der Kunde davon, dort zu kaufen und nicht bei Zalando, Otto oder Amazon?

Haderlein: Die Online City Wuppertal ist ein lokales Kaufkraftbindungs-Tool. Wir reden von ungefähr fünf Prozent der Konsumbevölkerung, von der man weiß, dass sie bewusst im stationären Handel einkauft, weil ihr bewusst ist, dass sie mit ihrem ­Konsumverhalten über die Attraktivität der Innenstädte mitentscheidet.

Marcus Diekmann: Fünf Prozent Gesamtmarktvolumen sind aber nicht viel. ­Derartige Projekte können dann ja nicht viel mehr als Nischenkonzepte sein. Aus meiner Sicht reicht es nicht, ein Regionalportal auf die Beine zu stellen, das nur die Händler ­bewirbt, ohne Vorteile für den Kunden zu bieten. Letzten Endes müssen die Geschäftskonzepte angepasst werden.

Jochen Krisch: Wir wollen Ihnen das Projekt ja gar nicht schlechtreden. Aber es gibt heute nun einmal auf der einen ­Seite große, erfolgreiche Online-Händler, die sich weiterentwickelt haben, und auf der anderen Seite neue Innovationskonzepte, die nach vorne getrieben werden. Und da muss man sich fragen: Was wollen denn die Shopper, wie sollen und werden sie in Zukunft einkaufen und wie können sich Händler dafür rüsten?

Herr Hock, warum ist ein Kunde auf Schuhe.de besser aufgehoben als auf Zalando?
Hock: Unser USP ist die große Auswahl. Welche Produkte finden Sie denn heute zum Beispiel auf Amazon? Nur solche, die entweder im Sortiment von Amazon geführt werden oder die eine EAN-Nummer haben. Was Sie nicht finden, sind die ganzen exotischen Italiener. Wenn wir die stationären Geschäfte sichtbar machen, dann bietet Schuhe.de eine Auswahl, die kaum jemand sonst auf einer Seite darstellen kann.

Diekmann: Aber der Nachteil zu Zalando bleibt bestehen. Vielleicht bekomme ich dort nur 90 Prozent meines Bedarfs gedeckt, aber ich muss dafür nicht in Kauf nehmen, im schlechtesten Fall für drei Paar Schuhe drei Mal den DHL-Boten vor der Tür stehen zu haben. Und auch für die eigenen Prozesskosten ist es für Schuhe.de doch negativ, wenn für ein Paket zwei bis drei Mal Versandkosten bezahlt werden?

Gerrit Heinemann: Vielleicht muss man noch die Frage ergänzen: Ist Schuhe.de gut für die Mitglieder oder für den Verbund?

Hock: Schuhe.de ist definitiv für die Mitglieder gemacht. Wir haben beispielsweise im vergangenen Jahr zusammen mit der Marke Sketchers erstmals TV-Werbung ­geschaltet. Nicht Schuhe.de, nicht der Verbund hat TV-Werbung geschaltet, sondern Sketchers. Der Abspann des Spots lautete: "Und einen stationären Händler in Ihrer Nähe finden Sie auf Schuhe.de." Auf dem Portal haben wir alle Mitglieder dargestellt, die die beworbenen Modelle auch wirklich am POS führten. Und am POS haben wir mit Aufstellern die Aktion flankiert und Schuhe.de sichtbar gemacht. Anfang letzten Jahres hat uns die Industrie noch belächelt, dieses Jahr haben wir bereits 14 solcher TV-Aktionen, unter anderem mit Sketchers, Geox und Kangaroos. Die Modelle findet man am POS, die 45 Online-Shops, die diese Modelle auch haben, haben nur homöopathische Mengen davon.

Bedrohung durch die Stationären?

Frau Tietz, sehen Sie es als Bedrohung, dass sich die Stationären jetzt verbünden?
Tietz: Für die stationären und lokalen Händler gibt es sicherlich gar keine andere Alternative, als das zu tun. Aber ich ­fürchte, es wird deren Problem kaum lindern. Aus Sicht der Otto-Gruppe würde ich mir ehrlich gesagt mehr Sorgen um andere Spieler machen als um Verbundgruppen.

Aber ist nicht die Killerfunktion eher die, dass sich über solche Portale Verfügbarkeiten der Ladengeschäfte abfragen lassen? Voraussetzung ist natürlich, dass die Händler ihre Produkte flächendeckend sichtbar machen?
Haderlein: Das ist genau das, was wir tun. Ich habe den Händlern, die sich an dem Projekt beteiligen, nie großartige Online-Umsätze versprochen. Es geht um die Wechselwirkung zwischen Offline und Online. Es kommen mehr Kunden in die Fläche, weil sie sich online vorab ein Bild von dem Händler machen konnten. Vom Wuppertaler Naschkatzenparadies gibt es Zahlen, dass im Vorweihnachtsgeschäft die Umsätze um 20 Prozent stiegen, weil mehr Leute auf die Fläche gekommen sind. Der zweite USP bei uns ist die taggleiche Auslieferung. Wir sind also eine Service-Erweiterung für Kunden, die stationär schon immer eingekauft haben.

Diekmann: Aber der Kunde will nicht in erster Linie stationär einkaufen, er will einfach nur einkaufen. Er will ein Produkt, ­billig und schnell. Der einzige Vorteil eines regionalen Portals kann also nur sein, dort Gesamtsortimente abzubilden und Kunden schnell und unkompliziert Artikel kaufen oder reservieren zu lassen.

Krisch: Ich finde gut, wie vehement Sie ­Ihre Projekte verteidigen. Aus Online-Sicht sind das sicher sehr schöne und ehrenwerte Initiativen. Aber ich bin wirklich ganz verblüfft, dass diese jetzt kommen. Wir haben 2015 und nicht mehr 2000 oder 2005. Ich bin erstaunt, dass derlei Konzepte medial auf so eine Resonanz stoßen. Und ich frage mich, warum man wieder ganz klassisch mit Marktplätzen und Portalen agiert und sich keine mobilen Konzepte überlegt.

Tietz: Ich komme noch mal mit der Frage: Was hat die Kundin davon? Ich muss sie ja irgendwie animieren, in die Stadt zu fahren. Mobil können Kunden beispielsweise über Coupons motiviert werden, sich auch mal stationär zu bewegen.

Haderlein: Das ist jetzt aber nicht Ihr Ernst, dass Sie Mobile Couponing als Rettung des stationären Einzelhandels ins Spiel bringen?

Tietz: Es ist ein Beispiel. Aber warum geht die Kundin denn nicht mehr stationär einkaufen? Weil sie da eben kein Einkaufs­erlebnis mehr hat. Händler müssen ihr also so einen Grund liefern, wieder mehr in die Innenstädte zu kommen. Das kann so was Banales sein wie mobiles Couponing. Wenn Sie 25 zündendere Ideen haben, dann ist es ja gut. Dann muss man das ja einfach nur noch machen.

Heinemann: Es gibt ja längst Marktplätze, die erfolgreich mit Kleinsthändlern zusammenarbeiten und ihnen gute Umsätze und Ergebnisse beschert haben. Darum geht es ja im Endeffekt. Warum muss das jetzt verkrampft lokal bezogen sein? Das verlangt eine Menge Idealismus!

Das Wuppertal der Zukunft

Haderlein: Ich habe nie gesagt, dass der ­lokale Online-Marktplatz alles andere ­ersetzen wird. Ich erzähle Ihnen jetzt die Geschichte von Frau Putty: Sie führt ein 100 Jahre altes Schreibwarengeschäft. Sie war von Anfang an in unser Projekt involviert und extrem kritisch. Sie hat für sich herausgefunden, dass es überhaupt keinen Sinn macht, ihr gesamtes stationäres Sortiment online zu bringen, stattdessen kam ihr die Idee, sich online auf nachhaltige Büroprodukte unter dem Schlagwort "das grüne Büro" zu konzentrieren. Auch wenn sie diesen spezifischen Weg des Aufbaus einer Online-Sortimentskompetenz noch nicht beschritten hat, geht mir das Herz auf, denn das sind Denkprozesse, die wir als Projekt der Wirtschaftsförderung anstoßen wollen. Und selbst wenn jetzt alle Händler anfangen, eigene Online-Shops zu bauen oder an eBay und Amazon anzudocken - ich bin mir ziemlich sicher, dass der lokale Online-Marktplatz als Kaufkraftbindungs-Tool ­bestehen bleibt.

Krisch: Ich frage mich: Was will Wuppertal in Zukunft sein? Und noch weiter gefasst: Was sollen Innenstädte sein? Sind sie noch Einkaufszentren oder sollen sie einen anderen Anspruch haben?

Heinemann: Eine Stadt muss nicht mit ­allen Mitteln nur am Handel festhalten, sondern kann sich auch anders positionieren und dadurch eine frequentierte Innenstadt haben. Die Stadt Soest zeigt vorbildhaft, wie man das Erlebnis steigert. Die Stadt ist ja per se schon attraktiv durch das sehr alte, historische Stadtbild. Aber die haben gerade die Innenstadt mit freiem WLAN ausgestattet, veranstalten zum Beispiel auch den größten Weihnachtsmarkt Europas. Im Weihnachtsgeschäft fahren Busse aus Dresden nach Soest. Insgesamt sind das zwei Millionen Besucher. Warum also eine Stadt nicht als modernen Freizeitpark gestalten? Es muss nicht immer Handel sein.

Tietz: Ich glaube, dass es die Innenstädte möglicherweise auch attraktiver machen würde, wenn man kurzzeitiger Flächen vermietet und es immer wieder neue Anlässe gibt, in die Stadt zu gehen. Davon profitieren dann auch die stationären und angestammten Händler. Denn egal ob ich jetzt in Wuppertal, Duisburg oder Hamburg in die Stadt gehe - die Innenstädte sehen oftmals sehr gleich aus. Künftig werden mit ­Sicherheit nicht nur wir, sondern auch ­andere Marken Wege suchen, mit lokalen Händlern direkt zu arbeiten. Wir betreiben zum Beispiel im Norden eine kleine Shop-in-Shop-Fläche. Das sind lediglich rund 16 Quadratmeter. Aber das komplette Sortiment des Online-Shops wird dort via Tablet angeboten. Die Kundin bestellt und wir liefern entweder nach Hause oder in die ­Filiale. Der Händler profitiert, weil er von jedem Verkauf Provision erhält und Kunden, die ohnehin im Shop sind, auch noch das eigene Sortiment verkaufen kann. Hier muss man lernen, umzudenken und die Welten besser miteinander zu verbinden.

Haderlein: Genau das passiert in Wuppertal in der Rathausgalerie. Hier bieten wir Shop-in-Shop-Systeme mit neuen Betriebstypen, wie Sie sie gerade geschildert haben, und machen uns Gedanken über modularen Ladenbau. Eine Blaupause für eine mögliche Zwischennutzungsoffensive sozusagen, seien es Guide-Shops, Outlets, Making-Rooms mit Mass-Customization-Ansätzen wie bei Scarosso oder Service-Points wie bei Mister Spex. Die gab es vorher nicht, weil Internet und der stationäre Handel nicht zusammen gedacht wurden.

Kommen wir also noch einmal zur Ausgangsfrage zurück: Rettet es den kleinen ­stationären Händler, wenn er das "Einzel" aus seinem Namen streicht?
Diekmann: Ich finde die Idee einer Vermarktungsplattform für die Innenstadt sinnvoll. Aber so richtig überzeugt, hat mich hier heute keine der vorgestellten ­Lösungen. Die relevanten Killerfaktoren Produkt, Preis, Reichweite und Dynamik werden von keinem bisher wirklich erfüllt.

Krisch: Wir sind ja mitten im Strudel und können gar nicht sehen, was am Ende ­herauskommt. Es gibt in dem Sinne noch kein Best Practice. Deswegen gefällt mir auch dieses Pilotprojekt gut, weil sich hier eine Stadt Gedanken macht.

Haderlein: Es hat sich noch immer nicht überall herumgesprochen, dass der physische Marktplatz mittlerweile ein Online-Pendant bekommen hat. Die Städte kümmern sich bravourös darum, Dreck wegzumachen, Blumenkörbe aufzustellen und Parkbänke zu streichen. Aber sie kümmerten sich bislang nicht um die digitalen ­Infrastrukturen. Erst jetzt fängt man an, sich auch um digitale Fördertöpfe zu bemühen und sich Geld bei den Eigentümern vor Ort zu holen, bei den Immobilienbesitzern, um digitales Dachmarketing zu betreiben, ein mobil optimiertes Portal für die Stadt zu haben, wo Händler vielleicht besser vertreten sind. Sogar im Städtebau wird jetzt schon darüber nachgedacht, dass es förderungswürdig ist, die Stadt für ihre digitale Aufgabe aufzurüsten. Dazu zählen auch WLAN oder Netze. Letzten Endes zahlt das immer auf die Kaufkraftbindung ein.

Heinemann: Alle sind aufgescheucht, es muss etwas getan werden. Aber was passiert? Die Verbände haben das Thema jetzt gerade erst begriffen. Es gibt jetzt beim HDE sogar eine Hotline, wo ich als Händler anrufen und erste Fragen klären kann. Da haben Verbundgruppen sicherlich auch eine Schlüsselrolle. Wenn lokale Händler mich fragen und ich sage, der ­erste Schritt in die digitale Welt ist ein elektronisches Warenwirtschaftssystem, dann schauen die mich nicht selten ratlos an und fragen, was das ist. Wer beantwortet solche Fragen in der Stadt? IHK? Handelsverband? Verbundgruppe? Eigentlich ist Krieg und Händler müssten alles mobilisieren und zusammenkratzen, was sie haben. Stattdessen wird der Kopf in den Sand gesteckt.

Moderation: Daniela Zimmer



Das könnte Sie auch interessieren