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Philip Rooke

Gastkommentar Warum ein Brexit eine Katastrophe für den britischen (Online-)Handel wäre

Philip Rooke, CEO von Spreadshirt

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Philip Rooke, CEO von Spreadshirt

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Spätestens Ende 2017 wollen die Briten über einen eventuellen EU-Ausstieg abstimmen. Was würde ein Brexit für britische Online-Händler bedeuten, vor allem für jene, die in der EU aktiv und erfolgreich sind?

Von Philip Rooke, CEO von Spreadshirt

Ich bin stolzer Brite, bekennender Royalist und kenne das Business in UK, Europa und darüber hinaus seit 1996. Als CEO von Spreadshirt, einer weltweit agierende E-Commerce-Plattform, habe ich eine europäisch-globale Perspektive und betrachte die Brexit-Tendenzen in meiner Heimat mit Sorge.

Meiner Ansicht nach wäre ein Brexit ein Desaster. UK-Online-Händler und andere Marken, die im weltweiten Wettbewerb erfolgreich sind oder sein möchten, stünden isoliert da und wären beeinträchtigt im Wettrennen mit Global Playern.
 
Eine Umfrage der Federation of Small Businesses ergab 2015, dass nur eine knappe Mehrheit der UK-Firmen der Meinung ist, dass eine EU-Mitgliedschaft sich positiv auf die gesamte Volkswirtschaft auswirkt. Und nur 35 Prozent sehen Vorteile für ihr eigenes Geschäft. Das bedeutet: Zu wenige britische Unternehmen erkennen und nutzen die Vorteile des EU-Binnenmarktes. Besonders für den E-Commerce ist dieser eine Chance, Wettbewerbern aus anderen großen Märkten - allen voran USA und China - auf Augenhöhe zu begegnen oder ihnen sogar gefährlich werden zu können.

Großer Heimatmarkt - große Wachstumschancen

Es ist kein Zufall, dass viele Internet-Giganten aus den USA oder aus China kommen. Der Grund: Sie entwickeln sich in einem riesigen Markt, in dem sie schnell wachsen können. Das macht sie vom ersten Tag an skalierbarer und attraktiver für Investoren. Aus ihrem Heimatmarkt heraus bringen sie sich für die globale Disruption in Stellung.
 
Ein amerikanischer Online-Händler macht seine ersten Schritte in einem Markt von 227 Millionen Internetnutzern, sein chinesisches Pendant hat Zugang zu 644 Millionen. In Großbritannien gibt es gerade einmal 57 Millionen Internetnutzer und somit potenzielle Kunden. In Sachen Wachstum und Skalierbarkeit ist daher rasch eine Grenze erreicht.

Wenn sich ein Unternehmen aber als Teil eines europäischen Ganzen betrachtet, dann kann es sich in einem Markt von 399 Millionen Internetnutzern entwickeln. Dank des schnellen Wachstums in Europa konnte Spreadshirt schon 2004 erfolgreich den Schritt in die USA wagen. Danach ging es nach Kanada, Brasilien, Australien und vielleicht bald auch nach Asien. Ohne die starke Ausgangsbasis auf dem EU-Markt wäre dies nicht möglich gewesen.

Die EU ist besser als ihr Ruf

Online-Händler haben in der EU vor allem drei Vorteile: Freizügigkeit, Gemeinsamkeiten und - vielleicht überraschend - weniger Bürokratie.
 
1. Arbeitnehmer-Freizügigkeit
Cross-Border-Commerce ist auf den freien Warenverkehr über Ländergrenzen hinweg angewiesen. Ebenso wichtig ist aber auch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. In unserem Hauptquartier in Leipzig arbeiten Spreadster aus 15 Nationen. Ohne dieses Team wäre Spreadshirt nicht in der Lage entsprechend international zu agieren. Freizügigkeit innerhalb der EU bedeutet für uns und andere E-Commerce-Unternehmen die Freiheit, genau die richtige Person für einen Job einzustellen - Sprach- und Kulturkenntnisse inklusive.
 
2. Gemeinsamkeiten

Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den EU-Ländern. Für den E-Commerce zählen aber vor allem die Gemeinsamkeiten: Marketing und Versand sind relativ einfach zu handhaben, Steuer- und Rechtssysteme sind verhältnismäßig ähnlich. Natürlich ist die Sprachenvielfalt groß, aber Übersetzungen sind kein Problem und bezahlbar. Zwar sind nach wie vor verschiedene Währungen im Umlauf, aber 338 Millionen Europäer leben in der Eurozone und darüber hinaus gibt es praktische Services, die das Währungsmanagement und verschiedene Payment-Optionen erleichtern. Angesichts der großen Chancen sind diese kleinen Hürden leicht zu nehmen.
 
3. Bürokratie
Es wird viel über die Bürokratiekrake EU geschimpft. Meiner Meinung nach hat die EU aber den Verwaltungsaufwand in einigen Bereichen sogar verringert, besonders für Retailer. Vielleicht haben wir vergessen wie zäh und schwierig der Im- und Export von Produkten früher sein konnte. Auch Datenschutz, Verbraucherrechte und Beschäftigung werden in Ländern, die EU-Vorgaben vernünftig handhaben, zunehmend einfacher.
 
Da Spreadshirt fast die Hälfte des Umsatzes außerhalb der EU macht, haben wir täglich den Vergleich. Wenn wir beispielsweise mit schweizerischen Steuern oder dem norwegischen Zoll zu tun haben, wünschen wir uns oft die scheinbar komplizierten EU-Regeln. In den USA macht jeder Bundestaat seine eigenen Gesetze, und mit den Schwierigkeiten, mit denen wir in Brasilien konfrontiert sind, könnte ich ein ganzes Buch füllen.

Fazit

Ein Brexit wäre aus meiner Sicht eine Katastrophe. Britische Unternehmen - und letzten Endes die gesamte Bevölkerung - würden darunter leiden. Auf der Insel geborene Start-ups hätten schlechte Chancen, den Sprung auf den Weltmarkt zu schaffen, und auch etablierte Unternehmen wären gefährdeter, von Konkurrenten überrollt zu werden, die in größeren und flexibleren Märkten gedeihen. Statt sich zu isolieren sollte die britische Wirtschaft die Chancen nutzen, die ihnen die EU bietet.

Allen die Interesse am Thema (internationaler) E-Commerce haben, bietet die Internet World Messe am 1. und 2. März noch jede Menge Gelegenheit, mehr dazu zu erfahren.

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