
Trend oder neues Geschäftsmodell? Mieten statt kaufen im Online-Handel
Mieten wird in immer mehr Bereichen zur Alternative zum klassischen Warenkauf. Für E-Commerce-Betreiber bietet das die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell zu variieren.
Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ließ vor einigen Tagen Ikea-CEO Jesper Brodin mit einer Feststellung aufhorchen: "Heute haben Kunden nicht mehr automatisch das Bedürfnis, ein genutztes Produkt auch zu besitzen." Wer beispielsweise während der Arbeitswoche in einer anderen Stadt lebe, habe gar kein Interesse, sich an dem Zweitwohnsitz dauerhaft einzurichten. Die Lösung: Ikea-Möbel zum Mieten. Der Einrichtungsgigant will das Konzept in Zukunft erproben und liegt damit voll im Trend: Denn von Autos über Technikgeräte bis hin zu Handtaschen und Sportartikeln kann mittlerweile nahezu alles gemietet werden. Vor allem Online-Angebote haben dem Geschäftsmodell Produktvermietung dabei zum Durchbruch verholfen.
Für Ikea-Chef Brodin steht der Trend, Dinge nur zu mieten, in Zusammenhang mit einem Mentalitätswandel bei den Konsumenten. Vom Massenkonsum vergangener Dekaden bewege sich der Mainstream in Richtung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Auch bei vielen Online-Produktvermietern auf dem deutschen Markt spielen ideelle Motive eine wichtige Rolle. "Für viele Konsumenten ist das Thema Mieten heute kein Add-on mehr, sondern etwas Essenzielles - es geht schließlich darum, die vorhandenen Ressourcen besser zu nutzen", erklärt Kilenda-Geschäftsführer Hendrik Scheuschner.
2014 mit einem Schwerpunkt auf Babykleidung gestartet, vermietet das Magdeburger Start-up inzwischen auch Kinder- und Umstandsmode sowie Spielzeug und Kinderwagen. Die gute Kundenresonanz wertet Scheuschner als Bestätigung für seine Geschäftsidee: "Wer Kinder hat, weiß, wie schnell die Kleinen aus den Sachen herauswachsen und welche Berge an ungenutzten Kleidern dadurch mit der Zeit entstehen." Deutschland als größter Markt für Gebrauchtkleidung in Europa sei besonders empfänglich für Mietmodelle.
Flexibilität als Kundenbedürfnis
Auch ganz pragmatisch spricht einiges für das Mieten als Alternative zum Kauf. Das zeigt das Ende 2016 an den Start gegangene Otto Now. "Wir haben in der Otto-Gruppe aus Kundenbefragungen erfahren, dass Flexibilität für viele Konsumenten eine immer wichtigere Rolle spielt und dass Mietmodelle dem entgegenkommen", berichtet David Rahnaward, Senior Projektleiter für Otto Now. Auch das angebotene Produktsortiment des Tochter-Shops von Otto ist das Resultat einer Konsumentenbefragung. An erster Stelle hätten sich die Otto-Kunden elektronische Geräte zum Mieten gewünscht. Das Warenangebot bei Otto Now konzentriere sich deshalb auf die Bereiche Technik, Haushalt und Sport. Um die tatsächliche Bereitschaft der Kunden zum Mieten zu testen, habe der Handelskonzern Otto Now ganz bewusst als eigenständiges, von Otto.de unabhängiges Angebot gestartet - und sei bisher mit der Resonanz durchweg zufrieden.
Die Zugehörigkeit zum Versandriesen Otto erleichterte den Start von Otto Now. "Wir haben nicht nur auf die Prozesse von Otto.de aufgesetzt, sondern können auch auf den Warenbestand und die Lieferantenbeziehungen von Otto zurückgreifen", erzählt Rahnaward. Perspektivisch wolle man die verliehenen Geräte immer wieder technisch überholen und so den eigenen Warenbestand pflegen.
Andere Online-Produktvermieter können von solchen Startbedingungen nur träumen. Dafür sind die Start-ups jedoch zu mehr unternehmerischer Kreativität gezwungen, die ganz eigene Vorteile mit sich bringen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist das 2012 gegründete "Meine Spielzeugkiste". Das Start-up, das sich auch schon in der TV-Sendung "Die Höhle der Löwen" erfolgreich schlug, bietet Spielwaren aller Art zum Mieten an. "Wir kaufen bei fast allen Marken direkt ein und haben in vielen Fällen besondere Einkaufsbedingungen aushandeln können", berichtet Geschäftsführer Florian Spathelf. Denn von der Spielwarenindustrie werde Meine Spielzeugkiste auch als Marketing-Kanal betrachtet. Bringe ein Hersteller neues Spielzeug auf den Markt, landeten oft einige Artikel frühzeitig bei dem Online-Produktvermieter - um den Nutzern Appetit auf den Kauf anderer Erzeugnisse der gleichen Spielzeuglinie zu machen. Das Resultat: Deutlich günstigere Einkaufspreise, als sie gewöhnlichen Online-Shops zur Verfügung stehen.
Partnerschaft mit etablierten Händlern
Die positive Resonanz der Hersteller auf die Produktvermieter betrifft dabei keineswegs nur den Spielwarenbereich. Auch das auf Unterhaltungselektronik und Technik spezialisierte Grover kann sich über mangelnde Herstellerunterstützung nicht beklagen: "Oft sind die Hersteller beim Einkauf zu Revenue-Sharing-Modellen bereit, bei denen wir uns die Mieteinnahmen teilen", erzählt Geschäftsführer Michael Cassau. Der frühere Rocket-Internet-Mitarbeiter gründete Grover 2015 als ein "Spotify für Produkte". Ähnlich wie bei der Musikplattform war das schnell wachsende Kundenvolumen ein wesentlicher Treiber für die Kooperationsbereitschaft der Industrie. "Dort interessiert immer die Frage: Wie hilfreich kann ein Anbieter wie Grover sein? Das steigende Volumen hat es uns stark vereinfacht, mit den Herstellern ins Gespräch zu kommen."
Eine große Rolle für die Entwicklung von Grover spielt die Zusammenarbeit mit etablierten Händlern. Neben Media Markt kooperiert das Start-up u. a. mit Conrad Electronic und Gravis. "Das ist eine gute Möglichkeit für Einzelhändler, sich modern zu zeigen und ihren Kunden ein alternatives Nutzungsmodell zu bieten", erklärt Grover-Gründer Cassau. Mit Media Markt testet das Unternehmen zudem ein stationäres Mietmodell. Ein weiterer Partner von Grover ist Tchibo, das seit Kurzem für den Verleih von Baby- und Kinderkleidung auch mit Kilenda kooperiert. Für eine Bewertung solcher Kooperationen ist es noch zu früh, meint E-Commerce-Experte Alexander Graf. Doch sieht der Spryker-CEO viel Potenzial: "Idealerweise führen die Kooperationen zu mehr Umsatz und/oder zu zufriedeneren Kunden."
Mehr als nur eine Bezahlvariante?
Aber steckt hinter der Online-Produktvermietung auch ein eigenständiges E-Commerce-Geschäftsmodell? Kassenzone-Blogger Graf ist skeptisch: "Für mich sind Online-Mietmodelle kein eigenständiges Geschäftsmodell, sondern entweder eine Zahlungsart für Menschen, die sich mit den alternativen Zahlungsmodellen ein solches Produkt nicht leisten können. Oder es ist ein Konsummodell bei Produkten, bei denen eine kurzfristige Mietnutzung viel sinnvoller ist als Besitz, wie zum Beispiel hochwertige Kameras." Dem Urteil des E-Commerce-Experten stimmen auch einige der Anbieter zu.
Für Grover-CEO Cassau vereint sein Unternehmen "die Vorteile eines Kredits ohne dessen Nachteile": Das gewünschte Produkt könne sofort genutzt werden, aber der Kunde müsse dafür nicht den gesamten Anschaffungspreis zahlen. Mehr als auf die Gewinnung von Kunden für die eigene Online-Plattform setzt Cassau deshalb darauf, Grover als Bezahloption in Partner-Shops zu vermarkten. Und für Otto-Now-Projektleiter Rahnaward steht bei der Produktvermietung nicht so sehr der Unterschied zum Online-Kauf im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Use Case für den Kunden: "Gekauft wird immer dann, wenn man ein Produkt langfristig braucht. Für den, der einen Artikel nur für einen absehbaren Zeitraum benötigt, ist Mieten das attraktivere Modell."
Die Online-Produktvermietung bietet aber auch eigenständige Möglichkeiten: Meine Spielzeugkiste verbindet das Mietangebot mit einem Abomodell und nutzt die daraus resultierenden, mit der Zeit immer detaillierteren Einblicke in die Nutzerinteressen für maßgeschneiderte Empfehlungen. "Unsere Nutzer mieten nicht nur einfach Spielsachen. Mit dem Abo 'kaufen' sie die Gewissheit, dass ihnen immer das beste Spielzeug für ihre Kinder angeboten wird", erklärt Geschäftsführer Spathelf. Ein weiterer Vorteil von Mietmodellen ist die potenziell größere Rentabilität. Hendrik Scheuschner von Kilenda berichtet: "Unsere Kinderkleidung durchläuft im Durchschnitt vier Leihzyklen. Damit erzielen wir einen deutlich höheren Erlös, als es beim Warenverkauf der Fall wäre." Zudem bietet Kilenda den Kunden im Shop zusätzliche Auswahlmöglichkeiten. So gibt es für einen Aufpreis fabrikneue Ware zu mieten.
Die Online-Produktvermietung bietet somit die Chance zu einer Erweiterung des gängigen E-Commerce-Modells: Die Endkunden erhalten zusätzliche Nutzungs- und Bezahloptionen. Und für die Produktvermieter und deren Partner-Shops locken attraktivere Einkaufs- und Preisbildungsmöglichkeiten.