
Abendkasse im Netz CTS Eventim und der Ticketverkauf im Web
CTS Eventim führt den Verkauf von Tickets in Europa an. Doch einige Veranstalter kooperieren jetzt lieber mit Anbietern von White-Label-Lösungen. Aus gutem Grund.
Besucher mit Eintrittskarte auf dem Smartphone haben Vortritt: In Leipzig, Dresden oder Berlin locken die historischen 360-Grad-Ansichten des Künstlers Yadegar Asisi die Massen an. Wer allerdings das Ticket online bestellt, muss nicht an die Kasse. Am Ende der Warteschlange greifen daher einige zu Smartphone oder Tablet.
Die Karten für die geschichtsträchtigen Schauen können natürlich auch bei CTS Eventim geordert werden. Sie kosten dort einen Euro mehr und müssen ausgedruckt werden. Wer indes die Website Asisi.de besucht, erhält ein Handyticket. Besucher, die am Montag kommen wollen, wenn es ruhiger ist, können gar den Preis bestimmen.
Karten, nicht mehr über Ticketvermarkter wie CTS Eventim, sondern direkt vom Veranstalter, dynamische Preise, Ticket aufs Handy: Die Vermarktung von Konzerten, Sportwettkämpfen oder Kulturstätten und Freizeitparks verändert sich gerade stark.
Neue Online-Shop-Systeme ermöglichen den Direktvertrieb: "Veranstalter wollen den Ticketverkauf in ihre Websites einbinden", beobachtet Oliver Nützel, Geschäftsführer des White-Label-Systems Regiondo. "Der E-Commerce bricht jetzt auch im Ticketverkauf Strukturen auf." Neben Start-ups bemüht sich auch der Softwareriese SAP um ein Stück vom Kuchen der rund vier Milliarden Euro schweren Event-Sparte.
Auf den ersten Blick könnten die Ticketvermarkter wie CTS Eventim oder andere durch den Direktvertrieb überflüssig werden, zumal immer mehr Eintrittskarten im Internet oder von mobilen Geräten gekauft werden. Bei Großveranstaltungen ist der Online-Anteil auf über 40 Prozent gewachsen.
"Die White-Label-Anbieter entwickeln sich zu einer Konkurrenz, die am Marktanteil von CTS Eventim und anderen Vermarktern knabbern", bestätigt Hanns-Wolfgang Trippe, Berater und Kenner des Veranstaltungsbetriebs.
Faktisch bleiben die Veranstalter aber auf die Marktmacht, die Bekanntheit und die Internationalität der großen Verkaufshelfer Live Nation, Eventim und Reservix angewiesen, gerade wenn sie Pop-Konzerte und Sport-Events organisieren, unbekannt oder unerfahren in (Online-)Marketingfragen sind. Doch auch die Vermarkter reagieren auf den Umbruch im Vertrieb, sie beschleunigen die Internationalisierung und vertikalisieren Geschäfte.
CTS Eventim besetzt neue Märkte
Besonders erfolgreich besetzt CTS Eventim neue Märkte - so erfolgreich, dass das Bundeskartellamt gerade die Marktmacht der Bremer überprüft. Der Nummer zwei im Ticketverkauf der Welt gehören 22.000 Vorverkaufsstellen, diverse Online-Ticketbörsen und Callcenter.
Pro Jahr bringt CTS Eventim damit rund 100 Millionen Tickets für 200.000 Veranstaltungen unters Publikum. Das Unternehmen ist an Konzertagenturen wie Marek Lieberberg und Semmel Concerts oder Showgeschäften wie Holiday on Ice beteiligt. Ihm gehören Veranstaltungsstätten wie die Kölner Lanxess Arena, die Berliner Waldbühne oder das Hammersmith Apollo Theatre in London.
CTS Eventim feilt auch an technischen Systemen, beginnt, Verkaufsdaten und Erfahrungen mit Kunden zu vermarkten, entwickelt Zugangs-, sogar Mautkontrollen und stellt Reisen zusammen. Und so besetzen die Bremer auch als Veranstalter einen Spitzenplatz auf dem Weltmarkt.
Rund 690 Millionen Euro erlöste Eventim 2014, davon entfielen 58 Prozent auf den Ticketverkauf und 12 Prozent auf das Live Entertainment, die Veranstaltungssparte. "CTS Eventim verkauft online, offline und als Erster auch per App, während andere noch mit responsivem Design herumexperimentieren", berichtet Trippe.
Profitable Provisionen, gewinnträchtige Gebühren
Auf 30 Prozent beziffert CTS Eventim den eigenen Online-Anteil. Er soll auf 50 Prozent steigen. Das erhöht den Gewinn. Während Vorverkaufsstellen höchstens einen Euro pro Karte verdienen, bleiben bei Online-Tickets etwa sieben Euro hängen.
Der Verkauf ermöglicht zudem neue Services: 2012 führte CTS Eventim das "Fanticket" ein - für zwei Euro Aufpreis gab es einen Ausdruck mit Bildern und typografischen Extras. Heute haben Käufer keine Wahl und werden zur Abnahme des "attraktiven Sammlerstücks" (Eigenwerbung) gezwungen.
Überhaupt sind Ticketverkäufer findig beim Erhöhen der Preise: Zusätzlich zur Provision vom Veranstalter verdienen sie an Vorverkaufs-, Versand- und anderen Zuschlägen. Das bringt nicht nur die Fans auf, sondern auch die Veranstalter.
"Ihnen stinkt, dass Vermarkter die Preise durch eigene Gebühren in die Höhe treiben", sagt Trippe. "Außerdem wollen sie ihre Kundschaft selbst ansprechen." Doch über deren Adressen wacht der Vermarkter - er erlaubt nur anonymisierte Einblicke und lässt sich diese auch noch gut bezahlen.
Systemanbieter wittern Chancen
Hier wittern Systemanbieter wie Eventbrite, White Label eCommerce - gegründet vom einstigen Eventim-Geschäftsführer Arndt Scheffler - Amiando oder Regiondo Chancen: "Wir bieten Veranstaltern Preishoheit, außerdem können sie sich mit einem White-Label-System leichter mit Vermarktungspartnern vernetzen", wirbt Nützel. Ein Argument, dem sich regionale Veranstalter jetzt zunehmend öffnen.
Sie ersparen sich damit Aufwand: Viele Online-Ticketbörsen sind geschlossene Systeme, in die ein Event noch per Hand nach den Angaben auf dem Telefax eingetragen wird und die festgelegte Kartenkontingente verkaufen.
Drei Tage vor der Veranstaltung endet der Vorverkauf - selbst bei attraktiven Events bleiben oft Karten übrig, die nur mit höchstem Aufwand zu vermarkten sind. Last-Minute-Apps wie Tickethelden, Freestyle.ch, 50Hours oder Frugl sind daran gescheitert oder mussten ihr Geschäftsmodell ändern. "In Zeiten von Smartphones und Tablets wirkt der Verkauf von Tickets, auch wenn er online organisiert wird, altmodisch", urteilt Nützel.
Shop-Systeme sind billiger und bieten mehr Vernetzung: Der Wettbewerbsdruck unter den Anbietern - etwa CTS Eventim - führt dazu, dass nur etwa zehn Prozent der Einnahmen als Servicegebühr erhoben werden. Die Systeme erlauben die Integration von Ticketbörsen und vielen weiteren Handelspartnern: Hotel-Concierge-Services etwa, Reisebüros, regionale Organisationen, Spezialisten.
Mit direktem Zugriff müssen verfügbare Plätze nicht mehr kontingentiert und kann der Verkauf bis zum Veranstaltungsbeginn über alle Kanäle organisiert werden. "Theater, regionale Veranstalter oder Vereine sollten ihren Kartenverkauf selbst in die Hand nehmen und sich selbst vermarkten", rät Trippe. "So gewinnen sie im Internet Sichtbarkeit zurück, die sie neben den Großveranstaltungen auf Ticketbörsen unweigerlich verlieren."
Ob sich durch den Direktvertrieb Marktmacht verschiebt, bleibt fraglich: Veranstalter müssen selbst eine Vermarktungsmaschinerie aufbauen, die Finanzierungsrisiken der Events allein stemmen. Das kann überfordern.
Und die White-Label-Anbieter sind klein und daher Übernahmekandidaten für Große. So werden wohl CTS Eventim & Co wenn nicht mehr als Vermarkter, so doch als technische Unterstützer weiter im Geschäft mitmischen.
Eben noch auf der Suche - jetzt schon beim Konzert. Der Suchmaschinenriese Google will den Ticketverkauf erleichtern, indem direkt aus den Suchergebnissen heraus Karten für Live-Veranstaltungen gebucht werden können.
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