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Julia Saswito Geschäftsführerin Triplesense Reply

Gastkommentar Appell: Humanizing E-Commerce

Julia Saswito, Geschäftsführerin der Digitalagentur Triplesense Reply

Triplesense

Julia Saswito, Geschäftsführerin der Digitalagentur Triplesense Reply

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Den meisten Unternehmen fehlt noch immer ein konsequenter menschenzentrierter Ansatz im E-Commerce, meint zumindest Julia Saswito, Geschäftsführerin bei Triplesense Reply.

Meine Bestandsaufnahme im Jahr 2015: Den meisten Unternehmen fehlt noch immer ein konsequenter menschenzentrierter Ansatz im E-Commerce. Oft weicht eine anfängliche Euphorie für das Kundenbedürfnis schnell den Diskussionen um die technische Plattform, das Budget, Timing oder interne organisatorische Belange. Sicherlich kennt jeder E-Commerce-Dienstleister Aussagen wie diese: "Das mit dem Mobile Shop verschieben wir, bis wir unser Debitorenmanagement umgebaut haben, das Projekt ist in der IT jetzt priorisiert." Oder diese: "Unsere Buchhaltung kann das so nicht verbuchen, daher kann der Kunde bestimmte Produktkombinationen eben nicht bestellen."

Ob im B2C oder im B2B - alle Lösungen richten sich an Menschen. Schon immer. Heute sind die Menschen bestens informiert, können mit ihrer Meinung online mehr Einfluss ausüben denn je und zwischen einer Vielzahl an Möglichkeiten wählen - so dass sie tatsächlich der "König", der Fixpunkt jeder E-Commerce-Strategie sein müssen. "There is only one boss. The customer. And he can fire everybody in the company from the chairman on down, simply by spending his money somewhere else", formulierte es Sam Walton, Gründer von Walmart. Ergo: Nur wer wirklich kundenzentrisch denkt und agiert, wird mit Erfolg belohnt.

Eine Anleitung: Wie der Kunde zum Mittelpunkt wird

Wie kann ein Unternehmen dafür sorgen, den Kunden - allen Hindernissen zum Trotz - immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen - und ihm konsequent zu dienen? Eigentlich wissen ja alle ganz genau, wie es geht. Selbst Forrester hat nun das "Age of the Customer" ausgerufen, SAP verkauft UX als Strategie, wir Digitalagenturen mahnen und missionieren seit gefühlten Ewigkeiten, den Nutzer ins Zentrum zu stellen und haben uns bereits von der User über die Customer bis zur Human Experience gehangelt.

Es gibt gefühlte 253.567 Methoden, wie man das am besten macht, und ebenso viele empirische Beweise,  technische Lösungen und Buzzwords.

Letztlich ist die Kundenzentrierung aber insbesondere eine kulturelle und organisatorische Herausforderung. Folgende Punkte sind aus meiner Erfahrung essentiell:

  1. Den Gesamtkontext verstehen, in dem der Kunde sich bewegt: Ein probates Mittel hierfür ist die sogenannte Context Map, die darstellt, welche Trends, Technologien, Marktteilnehmer und andere Faktoren rund um den Kunden bestehen und ihn beeinflussen. Sie hilft, aus der Unternehmensperspektive in die Realität des Käufers einzutauchen

  2. Echte Zielgruppenbeschreibungen oder Personas:  Immer noch erhalten wir Zielgruppenbeschreibungen mit den klassischen Angaben 19 bis 49 Jahre alt, männlich. Dies verrät nichts über Verhalten, Motivationen und Bedürfnisse. Für diese Zielgruppe menschenzentriert zu denken ist nicht möglich, da sie nicht greifbar ist. Eine echte Persona lässt sich nur erstellen, indem wir ergänzend zu quantitativer Marktforschung und Expertenmeinungen mit Menschen sprechen, ihre Bedürfnisse und Probleme erfahren, sie „beschatten“ und vor allem auch ihre Daten analysieren

  3. Customer Journey Mapping hilft, den Weg des Kunden vom ersten Touchpoint bis zum Kauf und durch den Prozess des Engagements bis hin zu einer langfristigen Beziehung mit dem Unternehmen oder einer Marke darzustellen. Dies ist für alle Ebenen  – vom Manager bis hin zum Umsetzer – entscheidend, um den Kunden und seine verschlungenen Wege zu verstehen und jeden Touchpoint kundenzentriert aufzubauen

  4. Co-Creation, eine Anwendung oder auch bestimmte Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Endkunden zu entwickeln: Wenn Unternehmen den Endkunden am Entwicklungsprozess aktiv beteiligen, können sie die Relevanz des Endproduktes erhöhen. Dies bedeutet einen klaren Shift, vom Unternehmen als dem Experten, der für den Kunden das vermutlich Beste entwickelt, hin zu einer neuen Offenheit, die die Grenzen zwischen interner und externer Kommunikation und Wissenshoheit auflöst. Das Thema Geheimhaltung muss dabei neu überdacht werden: In vielen Fällen führt geteiltes Wissen zu schnellerer Verbreitung und zu völlig neuen Ideen

  5. Prototypes und Customer Validation: Ob neue Shopping-App, veränderte Suche oder optimierter Checkout - für alles sollten Agenturen frühzeitig einen „first shitty draft“ erstellen, den der echte Kunden sofort testet

  6. Das Verständnis eines jeden Projektes als iterativer Prozess: Ein iterativer Prozess erlaubt es, flexibel in jeder Phase neue Anforderungen und Veränderungen aufzunehmen und ermöglicht so eine kontinuierliche Verbesserung. Dazu gehört auch die Erlaubnis zu scheitern: In einem menschenzentrierten Ansatz muss ein Team das Zugeständnis haben, Fehler zu machen und zu lernen. Fehler sind menschlich, damit umgehen zu können ist in komplexen Umfeldern essentiell. Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass einem perfekten Produkt oder einer Innovation unzählige Fehlversuche und Probleme vorausgegangen sind. Mit der Erlaubnis zu scheitern und dem entsprechenden Mindset, also der Möglichkeit zu jedem Zeitpunkt einen eingeschlagenen Weg zu ändern, werden finale Fehler und Fehlinvestitionen verhindert. Gleichzeitig lernt ein Team, mit Rückschlägen konstruktiv umzugehen und zukünftige Risiken besser abzuschätzen

  7. Eine entsprechende Organisationsstruktur, die zum Ziel hat, Abteilungssilos aufzulösen, interdisziplinäre Teams zu fördern und das Management (nicht nur den Customer Service oder das Verkaufspersonal) direkt mit den Kunden zusammenzubringen

  8. Partner und Dienstleister, die sich nicht als Spezialist für eine fertige Lösung sehen, sondern als Unterstützer auf dem Weg dorthin: Gemäß der Maxime "zuerst der Kunde, dann die Technologie". 

Mein Aufruf an Online-Händler: Humanizing E-Commerce

Seid mutig: Baut Eure Organisation um, lernt Eure Kunden richtig kennen, hört ihnen zu, bewertet jede Entscheidung mit ihren Augen. Und versucht nicht, Eure alten Prozesse durch neue Technologien zu verbessern. Etabliert neue Prozesse; hört niemals auf zu testen, zu lernen und zu optimieren. Denn morgen ist vielleicht alles schon anders.

Ja, das kostet Geld. Nein, vermutlich werden nicht alle Kunden mehr für die Produkte bezahlen - aber wenigsten kaufen sie sie weiterhin. Wir können andere Wege finden, Geld einzusparen: Zum Beispiel, indem wir uns auf die Kernkompetenz, das zentrale Produktangebot fokussieren und den eigenen Overhead reduzieren. Und vor allem, indem wir all das NICHT machen, was nicht dazu beiträgt, das Beste für den Kunden zu erreichen.

Julia Saswito ist Geschäftsführerin von Triplesense Reply

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