
Kommentar E-Rezept: Der Onlinehandel bleibt erst einmal außen vor
Digitalisierungsprojekte in Deutschland dauern oft etwas länger. Aber was sich gerade beim Steckenpferd von Ex-Gesundheitsminister Spahn abspielt, ist traurig. Schon bald wird es digitale Rezepte geben. Online Medikamente bestellen kann man damit aber erst mal nicht.
Betrachten wir Medizin mal als Geschäft. Apothekenpflichtige Medikamente teilen sich in zwei Gruppen auf, nämlich in die rezeptfreien OTC-Präparate und die rezeptpflichtigen RX-Präparate. 2021 wurden in deutschen Apotheken etwa gleich viele rezeptfreie wie rezeptpflichtige Präparate abgegeben, nämlich 46 zu 53 Prozent. Am meisten zum Umsatz beigetragen haben jedoch die RX-Präparate: Rund 87 Prozent des Umsatzes erzielten stationäre Apotheken mit rezeptpflichtigen Artikeln. Im vergangenen Jahr waren das insgesamt 38,3 Milliarden Euro.
Nur 1,5 Prozent Online-Anteil
Ein schöner Markt, an dem Online-Apotheken auch gern teilhaben würden. Tun sie aber nicht. Laut Mitteilung des Branchenverbandes BVDVA betrug 2021 der RX-Anteil am Umsatz der Versandapotheken nur schmale 1,5 Prozent. Da scheint noch Luft nach oben.
Große Hoffnungen hatte die Branche der Online-Versender in das digitale E-Rezept gesetzt, ein Prestigeprojekt des ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU). Nach einer einjährigen Testphase, noch in Spahns Amtszeit gestartet, sollte das E-Rezept zum Jahreswechsel 2021/22 in Deutschland flächendeckend starten. Das, so schätzt der BVDVA, könnte den RX-Anteil der Online-Apotheken auf rund fünf Prozent verdreifachen.
Doch daraus wird erst einmal nichts. Anfang 2022 stoppte Spahns Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) die obligatorische Einführung. Nicht weil Lauterbach etwas gegen Fortschritte in der Digitalisierung hätte, sondern weil die Technik noch nicht stand. Der IT-Dienstleister Gematik hatte es trotz beträchtlichem Vorlaufes nicht vermocht, ein System zu implementieren, das gleichzeitig praktikabel und datenschutztechnisch bombensicher ist.
Mit dem Zettel an den Tresen
Herausgekommen ist jetzt erst einmal ein etwas abenteuerlicher Zettel-Zwitter: Stellt eine Arztpraxis ein E-Rezept aus, werden die Daten in eine Cloud hochgeladen, auf die Apotheken Zugriff haben. Gleichzeitig erhält der Patient einen Ausdruck mit einem Barcode darauf (siehe oben). Damit geht er zur Apotheke, die liest den Barcode aus, erhält die Rezeptdaten und händigt das Präparat aus. Sieht so ähnlich aus wie die Zettelwirtschaft rund um Corona-Impfzertifikate und funktioniert in der Praxis ähnlich ungeschmeidig.
Online-Apotheken sind bei diesem Verfahren genauso weit draußen, wie sie es schon immer waren. Zu den großen Hürden für eine Online-Apotheke bei der Abgabe von RX-Präparaten gehörte schon immer die manipulationssichere Übermittlung des Papierrezeptes des Kunden an die Apotheke. Und jetzt hat der Zettel zwar einen Barcode, aber sonst ändert sich erst einmal nichts.
Ein Bericht des IT-Portals "Golem" signalisiert Bewegung bei Spahns Prestigeprojekt: Derzeit scheint Gematik daran zu arbeiten, dass der Patient in der Praxis nicht - wie vor 50 Jahren - einen Papierzettel in die Hand gedrückt bekommt. Stattdessen könnte in naher Zukunft der digitale Schlüssel zum Rezept auf eine digitale Gesundheitskarte gespeichert werden. Das klappt aber nur dann, wenn der Patient auch schon eine aktuelle Karte mit NFC-Schnittstelle hat. Damit geht er dann zur Apotheke.
Gesundheitskarte als Show-Stopper
Damit wären die Online-Apotheken dann endgültig aus dem Spiel, denn ein Papierrezept mag ein Kunde vielleicht daheim einscannen, aber seine Gesundheitskarte eher nicht. Eine Übertragung des Rezeptschlüssels via E-Mail schließen Experten aus, da zu unsicher, und um die Gesundheitskarte am Computer auszulesen, benötigt der Kunde Hardware, die er nicht hat.
Ob es jemals eine Lösung geben wird, mit der Kunden ihre rezeptpflichtigen Medikamente, schnell, einfach und bequem online ordern können, bleibt abzuwarten. "Eine komfortable und praxistaugliche Lösung für Versand- und Online-Apotheken und deren Kunden wird derzeit eruiert", heißt es dazu lapidar auf der Gemaltik-Website. Aber warum auch beeilen? Fünf Prozent von 38,3 Milliarden Euro sind ja nur zwei Milliarden, so viel ist das ja nicht.