
Unternehmenskultur digital Wie die Bergfreunde durch Corona eine neue New Work Realität verwirklichten
Wie schafft man es als Unternehmen, eine digitale Unternehmenskultur zu etablieren? Die Bergfreunde haben in der Corona-Krise viel ausprobiert und viel gelernt. Hier erlaubt der Outdoor-Ausrüster einen Blick hinter die Kulissen.
Schon in normalen Zeiten ist es alles andere als trivial, ein jährliches Umsatzwachstum von 41 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu wuppen. Die Corona-Pandemie legte für den Bergsport-, Kletter- und Outdoor-Ausrüster Bergfreunde.de noch einmal eine Schippe drauf.
"Die Corona-Krise pushte nicht nur die Umsätze im gesamten Online-Handel, auch die Sport- und Outdoor-Branche erlebte einen regelrechten Boom", erklärt Matthias Gebhard, Geschäftsführer von Bergfreunde.de. "Wir waren also mit enormen Wachstumsraten im Bestellaufkommen konfrontiert, die aber auch abgearbeitet werden mussten. Gleichzeitig war klar, dass wir dem Schutz unserer Mitarbeiter oberste Priorität einräumen wollten – und stellten deshalb unsere komplette Verwaltung von einem Tag auf den anderen auf 'Remote' um." Die 3.600 Quadratmeter große Bergfreunde-Verwaltung in einer ehemaligen Textilfabrik stand nun leer und die 272 Mitarbeiter saßen verstreut in den umliegenden Ortschaften zuhause.
Mitarbeiter-Onboarding geht auch im Home-Office
Mit dem Gebot der maximalen Kontaktbeschränkung mussten die Bergfreunde neue Wege finden, um das gesteigerte Arbeitsaufkommen zu bewältigen. Neue Mitarbeiter mussten im Homeoffice eingearbeitet und ins Team integriert werden. "Im Jahresverlauf 2020 haben wir 50 neue Mitarbeiter eingestellt, ein Großteil davon im Bereich Kundenservice – eine Abteilung, die bei gesteigertem Bestellaufkommen ganz automatisch auch mehr zu tun bekommt", erklärt Christa Müller, Head of HR bei den Bergfreunden.
Beim Einarbeiten der Mitarbeiter war es den Bergfreunden wichtig, die Neuankömmlinge nicht nur auf technischer und inhaltlicher Ebene mit dem Unternehmen vertraut zu machen, sondern auch auf kultureller Ebene. Die technische Einarbeitung startete damit, dass die Mitarbeiter am ersten Tag ihr technisches Equipment inklusive Willkommenspaket in der Zentrale abholen kamen und anschließend zuhause eine digitale IT-Schulung für ihren Arbeitsbereich erhielten. Zudem hatte die HR-Abteilung für alle Mitarbeiter ein sogenanntes Homeoffice-Portal eingerichtet, auf dem die Belegschaft nicht nur Tipps zum Umgang mit Tools oder internen Prozessen finden konnten, sondern auch Hilfestellungen zu ganz konkreten Themen wie beispielsweise: 'Wie organisiere ich Workshops virtuell?‘ mit genauen Tool-Vorschlägen oder – mit einem Augenzwinkern - 'Wie schaffe ich es zu Hause nicht zu verlottern?'
Die inhaltliche Einarbeitung erfolgte über einen Einarbeitungsplan, der vorher auch im Office eingesetzt wurde. "Normalerweise erhält jeder unserer Mitarbeiter zum Arbeitsbeginn eine Einführungswoche, in der sich unsere Abteilungen mit ihren verschiedenen Anforderungen vorstellen und der neue Mitarbeiter erste Kontakte zum Team knüpft", erklärt Christa Müller. Diese Einführungswoche hat das Bergfreunde-Team in ein digitales Format transferiert und die Führungsmannschaft extra auf die neuen Anforderungen geschult.
Herausforderung kulturelle Integration von neuen Mitarbeitern
Neue Mitarbeiter kulturell und nur mittels digitaler Kanäle bei den Bergfreunden einzuführen und ins Team zu integrieren, war allerdings die größte Herausforderung. "Unsere Unternehmenskultur ist sehr teamorientiert und zeichnet sich durch eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft aus. Hinzu kommt, dass viele Mitarbeiter die Leidenschaft für Bergsport teilen, so dass sich im Laufe der Jahre viele freundschaftliche Beziehungen in den Teams und über alle Abteilungen hinweg entwickelt haben", erklärt Christa Müller.
Diese Kultur im Homeoffice zu bewahren und den neuen Mitarbeitern zugänglich zu machen, war schwierig und ließ sich auch nur zum Teil virtuell abbilden. Eine Anfang 2021 durchgeführte Mitarbeiterbefragung bestätigte dann auch, was jeder bei den Bergfreunden längst dachte: Es fehlt etwas! Nahezu 100 Prozent der Mitarbeiter gaben in der Befragung an, dass ihnen die Kollegen fehlten. Zwar schätzten sie auch die meist produktivere Arbeitsatmosphäre zuhause, die größere Flexibilität und die Erleichterungen beispielsweise hinsichtlich Kinderbetreuung oder ganz allgemein die verbesserte Work-Life-Balance, doch zeigte sich auch deutlich, dass ein reiner Remote-Arbeitsplatz auch problematisch war.
Die Wichtigkeit des kleinen Pläuschchens
Es stellte sich heraus, dass die informellen Gespräche zum Beispiel vor dem Kaffeeautomaten nicht nur für das Wohlbefinden der Mitarbeiter wichtig waren, auch für die Prozesse im Unternehmen spielten sie eine Rolle, die erst in der Krise wirklich sichtbar wurde. So fehlte nun der zufällige, teamübergreifende Austausch, der oft kreative Ideen und Lösungsansätze lieferte und der nun nicht mehr stattfand. Auch war es nicht mehr möglich, Dinge "en passant" zu regeln, indem man kurz beim Kollegen vorbeiging.
Um zusätzliche soziale Kontaktmöglichkeiten zu schaffen, haben die Bergfreunde also versucht, so viel "Alltag" wie möglich ins Virtuelle zu verlegen: "Wir haben eine virtuelle Gruppe angelegt, in der sich alle neuen Mitarbeiter eines Monats austauschen können. Diese Gruppen wurde zunächst von HR moderiert und mit Themen und Tipps befüllt, im Laufe der Zeit entwickelten sich die Gruppen aber ganz eigenständig weiter", erklärt Christa Müller.
Auch haben die Bergfreunde unter anderem das Tool "Spatial" eingeführt, um zufällige, abteilungsübergreifende Begegnungen unter den Mitarbeitern wie zum Beispiel vor dem Kaffeeautomat zu ermöglichen. Auch ein firmeninternes Nachhaltigkeits-zvent und eine Gesundheitswoche wurden digital so umgesetzt, dass die Mitarbeiter sich in verschiedenen virtuellen Räumen treffen konnten. Neu eingeführt wurde das Bergfreunde Radio, das als Audio-Format Mitarbeiter, deren Aufgabe und Themen vorstellt. Zudem unterstützt das Unternehmen viele privat initiierte, digitale Events, die von Mitarbeitern für Mitarbeiter organisiert werden. Beispielsweise gibt es zweimal die Woche Live-Yoga oder kleine Events wie eine Weinverkostung, Koch-, Spiel- und Fernsehabende oder Wohnzimmerkonzerte. Auch kleine virtuelle Feste wurden gefeiert wie z.B. die Einweihung der neuen Unternehmensküche, neuer Büroräume oder die Anschaffung von E-Autos. In einem digitalen Stundenplan können alle Bergfreunde-Mitarbeiter alle Team-Aktivitäten einsehen und teilnehmen.
Noch enger am Mitarbeiter – die Krise verlangte neue Wege in der Führung
Durch die neue Distanz in der Krise versuchte die HR-Abteilung zudem, mehr Nähe zwischen Geschäftsleitung und Team herzustellen und so Ängsten und Unsicherheiten in der Belegschaft vorzubeugen. Allein, weil die Mitarbeiter nun zuhause waren und nicht mehr so einfach mitbekamen, was in den anderen Abteilungen los war und im Unternehmen insgesamt, fehlte das Gefühl für "das große Ganze". "Um Transparenz zu schaffen und unseren Teamspirit zu stärken, haben wir ein digitales Kommunikationsformat speziell für unsere Geschäftsleitung etabliert. In unseren sogenannten "All Hands"-Meetings erklärt die Geschäftsführung nun einmal im Monat der gesamten Belegschaft, wie sich das Unternehmen entwickelt, begrüßt neue Mitarbeiter, stellt die wichtigsten Projekte und Initiativen vor und beantwortet Fragen", erläutert Christa Müller.
Doch auch problematische Entwicklungen zeigten sich im Verlauf des Jahres. "Wir stellten mit der Zeit fest, dass es manchen Mitarbeitern im Homeoffice nicht so gut ging", erinnert sich Christa Müller. Allerdings musste das zunächst erkannt werden, und das stellte sich als nicht so einfach heraus. "In virtuellen Meetings erkennt man nicht so leicht, ob es dem Gegenüber gut geht oder nicht. Meist sind diese Meetings sehr auf Effizienz getrimmt und persönliche, private Gespräche finden kaum statt." Bergfreunde musste also neue "Antennen" für das Wohlbefinden der Mitarbeiter entwickeln und hat dazu extra eine Methode für Führungskräfte ausgearbeitet, um Probleme leichter zu erkennen und gegenzusteuern.
Was bleibt? Neues Wissen über Bedürfnisse und neue Chancen
"Sicher hat die Krise uns gelehrt, das Thema Führung neu zu denken, Arbeitsprozesse zu hinterfragen und auch die Bedürfnisse von Mitarbeitern neu zu bewerten", erklärt Matthias Gebhard die zentralen Learnings aus der Krise. "Standen wir vor Corona dem Thema Homeoffice tatsächlich eher skeptisch gegenüber, haben wir nun gelernt, dass es uns an vielen Stellen effektiver und produktiver macht. Gleichzeitig haben wir aber auch die Grenzen des Homeoffice gesehen. Im Sommer werden wir unseren Mitarbeitern daher ein hybrides Arbeitsmodell anbieten, welches das Beste aus beiden Welten vereint."
Danach haben Bergfreunde zukünftig die Möglichkeit, drei von fünf Arbeitstagen zuhause zu arbeiten. Zwei Tage pro Woche sollen im Office stattfinden und vor allem für Meetings, kreative Prozesse und als Ort der Begegnung dienen. "Die neue Regelung entspricht den Wünschen unseres Teams und verbessert unseren CO2-Fußabdruck", bestätigt Matthias Gebhard. Zudem ergeben sich auch neue Chancen im Recruiting: "Durch die flexiblere Handhabung von Arbeitsstandorten verbessern wir nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit, sondern sehen auch Vorteile im Recruiting von neuen Talenten – die zugegebenermaßen nicht immer bereit sind, für einen interessanten Arbeitsplatz in die schwäbische Provinz zu ziehen."