
Tracking Christian Bennefeld: "Was da draußen gerade passiert, macht mir wirklich Angst"
Ein großes Thema auf der dmexco wird Tracking sein. Das Sammeln von Daten stößt jedoch immer mehr auf Abweisung aus der Bevölkerung. Wir haben mit Christian Bennefeld von eBlocker über das Problem und Lösungen gesprochen.
Die dmexco steht an, das größte Klassentreffen der digitalen Marketingbranche. Alle werden wieder darüber reden, wie man mehr Umsatz mit weniger Einsatz generieren kann. Das Zauberwort, schon seit langem: Big Data. Je mehr Daten man sammelt, je mehr man über den User weiß, desto persönlicher kann man ihm Werbung ausspielen - und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er konvertiert. Gekonnt ignoriert wird dabei aber, was der User eigentlich will.
Studien zeigen nämlich, dass Nutzer immer mehr Reaktanzen gegen das Datensammeln entwickeln. eTracker-Gründer Christian Bennefeld ist eigentlich auch ein großer Datensammler, hat aber vor einigen Jahren mit eBlocker eine Privacy-Box auf den Markt gebracht. Eine große deutsche Tageszeitung hat einen Artikel über ihn deshalb mit "Vom Saulus zum Paulus" betitelt. Wir haben mit ihm über Gewissenskonflikte, sauberes Tracking sowie die Zukunft der User und der Branche gesprochen.
Herr Bennefeld, gehen Sie auf die dmexco?
Christian Bennefeld: Nein.
Ich habe gerade das Gefühl, dass sich die Branche darin überschlägt, so viele Daten wie möglich zu sammeln. Dabei wird auch die Intimsphäre der User und Anzeichen für Reaktanzen in der Bevölkerung ignoriert - und jede Ethik.
Bennefeld: Ja, das sehe ich genauso. Natürlich ist es toll für mich, wenn ich als Mann keine Werbung für Damenblusen angezeigt bekomme. Aber die Datenmengen, die über mich gesammelt werden, haben so eine tiefe Granularität und Aktualität. Das geht weit über Werbung hinaus, was damit gemacht wird.
Die Tracking-Branche ist ja keine unbekannte für Sie. Sie haben den Tracking-Anbieter eTracker gegründet.
Bennefeld: In meiner Brust schlagen zwei Herzen, ich bin auch ein großer Datensammler. Aber ich bin der Meinung, dass man Daten auch sauber sammeln kann, also ohne Personenbezug und ohne in intime Bereiche wie Gesundheit oder Religion zu gehen. Was da draußen gerade passiert, macht mir wirklich Angst. Vor allem wenn man weiß, wie die Player im Markt agieren. Deshalb habe ich auch eBlocker gegründet. Ich dachte, ich muss mein Wissen nutzen und der Internetgemeinde etwas zurückgeben.
Ergibt sich da kein Konflikt für Sie?
Bennefeld: Im Gegenteil. Ich profitiere bei eBlocker davon, weil mir eTracker hilft, einen Einblick in die Branche zu behalten. Im Moment findet ja ein Wettrüsten zwischen Tracking- und Antitracking-Herstellern statt. Außerdem bin ich am operativen Geschäft von eTracker nicht mehr beteiligt, ich halte nur noch meine 50 Prozent Anteile. Am Ende des Tages ist es sogar so, dass eTracker dem eBlocker die Miete zahlt.
Sammelt denn eTracker die Daten eigentlich "sauber" in Ihrem Sinn?
Bennefeld: eTracker bildet keine Website-übergreifenden Profile. Der Website-Betreiber bekommt also nur die Daten von seiner Website. Die Seite wird zwar für den Kunden personalisiert, aber die Personalisierung basiert nicht auf Third-Party-Data, also werden keine Daten von anderen Websites verknüpft. Denn daraus wird ja erst das Persönlichkeitsprofil erstellt. Um das in die Offline-Welt zu bringen: Ich freue mich, dass mein Metzger weiß, was ich mag und mir das empfiehlt. Ich will aber nicht, dass er auch weiß, was ich in der Apotheke gekauft habe.
Gerade im Profile-Bilden sind Facebook und Google unübertroffen. Und durch ID-Tracking können sie Daten nicht nur über verschiedene Geräte sammeln, sondern auch einen Personenbezug herstellen…
Bennefeld: Genau, durch die Verbindung mit dem Nutzerkonto kommt die Verknüpfung zur Person. Und das macht es auch so gefährlich. Der User weiß gar nicht, wo Google und Facebook überall Daten sammeln. Dass das völlig unbemerkt mit Google Analytics und Social Plug-Ins wie Facebook Like Buttons geschieht, weiß kaum ein Nutzer. Und Website-Betreiber verlieren die Rechte an ihren Daten an die großen Tech-Riesen aus den USA.
Kann man denn überhaupt verantwortungsvoll tracken?
Bennefeld: Absolut, auch Retargeting kann man mit ethischen Maßstäben betreiben. Da geht es dann auch darum, dass ein bestimmter intimer Bereich, wie Gesundheit, außen vor gelassen wird. Das kann für die Nutzer schnell unangenehm werden und ist für mich dann nicht mehr ethisch vertretbar. Auch wenn man mit einer Kampagne zweistellige Konversionsraten erzielt.
Es kann einem ja schon mal so vorkommen, also würde nur noch nach dem Brechtschen Motto "Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral" gehandelt. Geht es nur noch um kurzfristiges Umsatzwachstum, um höheren ROI, höhere Konversionsraten und niedrigeren CPO - egal um welchen Preis?
Bennefeld: Das irritiert mich auch an der Branche, deshalb habe ich auch die Seiten gewechselt. Ich habe auch oft das Gefühl, dass nur noch zählt, möglichst viel Geschäft in kurzer Zeit zu machen und jeder andere Grundsatz der Gier gewichen ist. Wir werden hier zwar was das angeht von den großen US-Unternehmen überrannt, aber die kleinen nationalen Anbieter tragen da schon auch ihren Teil dazu bei. Natürlich sind da auch die Unternehmens-Kunden nicht unbeteiligt. Die wollen oft lieber das, was technisch möglich ist und nicht das, was rechtlich erlaubt ist.
Sind da alle Unternehmen gleich?
Bennefeld: Nein, gerade größere Konzerne, Banken und Finanzdienstleister wollen da meistens eine saubere Trennung ziehen.
Bei Online-Geschäftsmodellen kann ich mir andersrum vorstellen, dass die besonders viele Daten sammeln wollen…
Bennefeld: Wenn der Hauptvertriebskanal das Internet ist, ist das Wissen um den User natürlich noch wertvoller. Aber auch Brick and Mortar-Konzerne müssen sich im Internet-Zeitalter umstellen. Da verlagert sich immer mehr Geschäft ins Internet. Und Banken und Versicherungen bekommen auch immer mehr Konkurrenz durch Fintechs. Die müssen schon gucken, wie sie sich neu aufstellen.
Und auch in diesem Bereich werden schon viele Entscheidungen aufgrund von Daten getroffen. Ob der User einen Kredit bekommt oder eine Lebensversicherung zum Beispiel. Einige Krankenversicherungen wollen Vergünstigungen anbieten, wenn Kunden ihre Daten teilen. Die schlagen ja damit auch immer mehr in die Kerbe der typischen Online-Player.
Bennefeld: Ja, das ist heute schon gang und gäbe bei Banken und Versicherungen.Im Endeffekt weiß auch kein Mensch, ob auch Online-Surf-Daten zum Bonitätsscoring verwenden. Einige Startups, wie die Hamburger Kreditech, sind mit diesem Ansatz zumindest sehr erfolgreich.* Auch Dynamic Pricing ist ja so etwas: Da weiß ein Shop, dass ich eine höhere Kaufkraft habe als mein Nachbar und deshalb wird mir das Produkt um ein paar Prozent teurer angeboten.
Ist das aber nicht zumindest etwas, das die User wachrüttelt? Ich habe schon das Gefühl, dass es vielen egal ist, wenn ihre Fotos überall im Netz sind und jede Information zu Werbezwecken gebraucht wird. Die teilen persönlichste Informationen mit der ganzen Welt auf Facebook und machen sich keine Gedanken darüber, dass das auch negative Auswirkungen haben kann.
Bennefeld: Viele sehen diese Probleme gar nicht. Die denken Werbung, ok, aber was diese Bildung von Profilen alles nach sich zieht, wird kaum gesehen. Wir versuchen das jetzt aber auch in unserer Kommunikationsstrategie in den Vordergrund zu stellen. Denn wenn es an den Geldbeutel geht, wie bei einem bewilligten Kredit, einer Versicherung oder wenn das Produkt bei Amazon teurer wird, dann ist das Interesse auf einmal da.
*Update:
In einer früheren Version dieses Interviews stand der Satz: "Im Endeffekt weiß auch kein Mensch, welche Daten die Schufa verwendet, ob die auch Online-Surf-Daten verwenden." Nach Schufa-Klarstellung haben wir das Zitat in Absprache mit Herrn Bennefeld geändert.
Die Richtigstellung der Schufa:
1. Die Schufa hat das Verfahren sämtlichen Landesdatenschutzbehörden und der Bundesdatenschutzbehörde gegenüber offen gelegt. Diese fungieren in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörden auch dem Verbraucher gegenüber als Garant dafür, dass das Verfahren datenschutzkonform und ordnungsgemäß ist. Zudem kann jeder Verbraucher in der einmal im Jahr kostenlos zu bestellenden Datenübersicht nach §34 Bundesdatenschutzgesetz transparent erkennen, welche Daten über ihn bei der SCHUFA gespeichert und für die Ermittlung der Bonität, d.h. der Rückzahlungswahrscheinlichkeit zukünftiger Kreditgeschäfte (Score) verwendet werden.
2. Die Schufa erhält, erhebt oder verwendet keine online-Surf-Daten bzw. Daten zur Internetnutzung von Privatpersonen.
3. Wie auf unserer Internetseite für jedermann transparent einzusehen, erhält die Schufa die bei ihr zu Privatpersonen gespeicherten Daten von ihren Vertragspartnern, aus öffentlichen Schuldnerverzeichnissen und anderen öffentlichen Bekanntmachungen, z.B der Insolvenzgerichte. Wie auf der Datenübersicht transparent ausgewiesen, sind dies Daten zur Identität einer Person (z.B. der Name, das Geburtsdatum oder auch die Adresse), sowie kreditrelevante Informationen zum Beispiel über Bankkonten, Kreditkarten, Leasingverträge, Mobilfunkkonten – also Informationen, an denen sich das Zahlungsverhalten einer Person einordnen lässt.
Bewusstsein für Privatsphäre nimmt bei den Usern zu
Es gibt einige Studien, die zeigen, dass das Bewusstsein für Privatsphäre im Netz langsam zunimmt, besonders in den USA. Haben Sie das Gefühl, es wird besser?
Bennefeld: Ganz langsam, ja. Man weiß ja aus der Geschichte, dass Trends aus den USA nach einem Jahr auch zu uns kommen. Und zwar egal, ob das jetzt technologische, soziale oder bewusstseinsverändernde Trends sind. In den USA merkt man diese Bewusstseinsänderung an sehr vielen Berichten in den großen Medien und ich merke es auch an meinem großen US-Freundeskreis. Und natürlich unterstützen Studien das auch immer wieder. Wie zum Beispiel eine Studie der University of Pennsylvania, die zeigt, dass das Denken von Marketern, Kunden würden alles personalisiert wollen und daher auch nichts gegen das Datensammeln haben, mit dem Wunsch der Kunden überhaupt nicht übereinstimmt. Das fördert das Umdenken.
Hierzulande scheint die Branche das aber zu ignorieren, da wird jede Warnung als Schwarzseherei in den Wind geschlagen. Obwohl es diese Anzeichen in der Bevölkerung gibt. Ich denke da sofort an Adblocker zurück. Denken Sie, das was da gerade mit den Daten passiert, kann auf Dauer gut gehen?
Bennefeld: Das kann es denke ich nicht. Irgendwann explodiert das. Die Konsumenten, die aufgeklärt sind, werden immer mehr und die werden sich schützen. Die Werbebranche wird davon Schaden tragen, wenn der Nutzer Aversionen gegen das Datensammeln entwickelt. Und das werden sie, wenn ihnen die Gefahren bewusst werden, die daraus entstehen können.
Was raten sie der Werbeindustrie?
Bennefeld: Den Nutzer zu beraten und ein klares Opt-in zu verlangen. Rechtlich ist es zwar verpflichtend, dass jeder User der pseudonymisierten wie auch jeder künftigen anonymisierten Datensammlung widersprechen kann. Aber es ist in der Praxis unmöglich, weil jede Website im Schnitt 20 Tracker nutzt. Stellen Sie sich mal vor, wie oft Sie dann ein Opt-out auf der Plattform eines Anbieters machen müssen - und das ja nicht nur bei einer Website.
Würde dann überhaupt noch jemand sein Opt-in geben, wenn er die Wahl hat?
Bennefeld: Unternehmen könnten Kunden belohnen. Damit meine ich nicht, ihnen Vergünstigungen bei einer Krankenversicherung geben, wenn sie Gesundheits- und Bewegungsdaten zur Verfügung stellen. Aber wenn ich zum Beispiel ein Auto kaufen will, dann will ich ja gerne Angebote von Autohäusern erhalten. Dann findet das auch Akzeptanz. Aber heimlich abgreifen, weil man denkt, dass ich jetzt ein größeres Auto brauche, weil ich ein zweites Kind erwarte, geht auf Dauer nicht.
Gerade bei dem Kind erwarten kann das ja auch eine sensible Information sein, die ich zu einem von mir gewählten Zeitpunkt selber mitteilen möchte. Ich denke da zum Beispiel an diesen Vorfall beim amerikanischen Retailer Target vor ein paar Jahren, der als Negativbeispiel Schule gemacht hat. Der Vater eines Teenagers hatte aufgrund der Angebote die ihr geschickt wurden erfahren, dass sie schwanger war. Nur aufgrund der Mineralstoffe und Hygieneartikel, die sie gekauft hatte.
Bennefeld: Ja, das ist wirklich ein Problem. Google sammelt Daten zum Beispiel auch in intimen Kategorien. Im Moment werden sie noch nicht zu Werbezwecken verwendet, also man kann noch nicht auf sie targeten. Aber wer weiß wann Google das machen wird. Und selbst wenn nicht, wie sicher die Daten bei Google überhaupt sind. Sony, Apple und der Bundestag wurden ja schließlich auch schon gehackt. Da muss die Branche umdenken, dann könnte sie auch gemeinsam und gesund mit dem Konsumenten wachsen. Der momentane Zustand kann schon mit dem wilden Westen verglichen werden. Wer zuerst die meisten Daten hat, hat gewonnen.
Letztendlich wird so ja auch das Internet kaputtgemacht. Immer mehr Menschen diskutieren bestimmte Themen im Internet nicht mehr. Frei und offen, eigentlich Grundsätze des Webs, stehen heute nur noch als leere Worthülsen auf dem Web-Etikett. Wenn man weiß, dass man ständig überwacht werden kann, verhält man sich angepasster. Zerstören da nicht viele Tech-Companies ihre eigene Geschäftsgrundlage?
Bennefeld: Jeder Bürger hat ja gemerkt, man muss auch mit Repressalien rechnen, wenn man für seine Meinung einsteht. Natürlich macht man das dann nicht mehr öffentlich. Wir werden alle manipulierbar. Und letztendlich ist ja auch Werbung eine Art Manipulation. Oft ist sie der Anstoß zu einer Handlung, die ich sonst nicht vollziehen würde. Im US-Wahlkampf werden zum Beispiel Wechselwähler identifiziert und dann mit bestimmten auf sie zugeschnittenen Wahlkampfbotschaften versorgt. Da frage ich mich schon, wie demokratisch das noch ist, wenn ich gezielt Bürgern etwas zeige, was sie zu einer Wahl bewegen soll.
Von wem müsste oder könnte denn der Impuls zu Veränderung ausgehen?
Bennefeld: Ich denke, das muss von den großen Tech-Konzernen aus Amerika kommen und durch die ganze Bevölkerung getragen werden. Kleinere Anbieter, wir hier in Europa, das sage ich Ihnen ganz ehrlich, können das nicht anstoßen.
Google und Facebook verdienen ihr Geld fast ausschließlich mit Werbung. Für die bedeuten Daten nicht nur Macht sondern auch Geld. Können Sie sich wirklich vorstellen, dass die etwas ändern wollen?
Bennefeld: Wenn genug Widerstand aus der Bevölkerung kommt, dann können sich auch Facebook und Google nicht dagegen wehren. Das ist natürlich momentan noch nicht so weit, da handelt es sich um ein kleines Aufbegehren einer kleinen intellektuellen Gruppe. Der Gesetzgeber hätte dem natürlich auch Einhalt gebieten können. Aber da ist schon allein der Gesetzgebungsprozess, der Jahre dauern kann, hinderlich. Wir machen Gesetze fürs Steinzeitalter, wenn man sich die Geschwindigkeit ansieht, mit der sich im Internet alles verändert. Und die Kluft wird da immer größer werden, da kommt kein Gesetzgeber hinterher.