
Gastkommentar Mächtiger als Apple und Google ist nur einer: Dein User
Für E-Commercler, die auf Dritt-Daten angewiesen sind, wird’s noch schwieriger: Bisheriges Tracking ist bei Apple und Google kaum mehr möglich. Vordergründig geht es darum, die Privatsphäre besser zu schützen. Doch die Maßnahmen nützen vor allem den US-Playern selbst.
Von Jörn Strehlau, CEO der European netID
Apple und Google mauern ihre Walled Gardens weiter zu. Natürlich nur, um ihre Nutzer umfassender vor Tracking der Werbewirtschaft und E-Commerce-Anbieter zu schützen... Ein Überblick:
- Google launchte erst diesen Monat seine neueste Chrome-Version. Websitebetreiber können damit drei APIs der Privacy Sandbox für Targeting und Messung nutzen. Die Abschaffung der Third Party Cookies lässt sich ab dem 4. Quartal simulieren. Die Botschaft: Browser-Primus Chrome mit hierzulande 53 Prozent Marktanteil macht nun Ernst mit dem Third Party Cookie-Aus.
- Apple erweitert bei Safari den Schutz vor (Fingerprint-) Tracking und entfernt jetzt automatisch Tracking-Parameter aus URLs, mit denen das User-Verhalten nachverfolgt werden kann. Das funktioniert zunächst nur im Privatsphäre-Modus, doch kaum einer zweifelt daran, dass das im nächsten Schritt für normales Surfen im Safari-Browser ausgerollt wird. Die Botschaft: Apple schnürt in Sachen User-Tracking den Sack zu. Auf neue Tracking-Varianten wird der Tech-Konzern unverzüglich mit Gegenmaßnahmen reagieren.
Google und Apple als Schützer der Verbraucher, die arglos von der Werbewirtschaft und den vielen E-Commerce-Anbietern ausspioniert werden. Was für ein Narrativ! Aber mit der Wirklichkeit hat der so viel zu tun wie Mission: Impossible 7.
Die Fakten
Fakt ist: Von den Maßnahmen profitieren vor allem Apple und Google selbst. Sie verschaffen sich so massive Wettbewerbsvorteile. Denn: Ein Großteil des Datenschatzes, die First-Party-Daten, lagern dann exklusiv bei ihnen - E-Commerce-Betreiber, die von potenziellen Kunden noch keine Login-Daten haben, sind davon mit ihren bisherigen Tracking-Verfahren weitgehend ausgeschlossen.
Fakt ist auch: Die aktuelle Entwicklung verdeutlicht einmal mehr, wie groß der Handlungsdruck bei E-Commerce-Anbietern ist, jetzt neue Identifier-Lösungen zu implementieren. Sonst drohen massive Performance-Verluste. Zugegeben: Dieser Appell mag stark interessengeleitet klingen - ich bin schließlich CEO der ID-Lösung netID -, doch er ändert nichts an der Richtigkeit.

Jörn Strehlau, CEO der European netID
netID
Und Fakt ist auch: Viele der kommerziellen Identifier-Lösungen ohne eigenen Login laufen ins Leere, weil sie entweder bereits heute von Googles Werbeplattform geblockt werden, die sie (zu Recht?) als reines 3rd Party Tracking betrachtet oder sie auf Techniken, wie CNAME-Cloaking angewiesen sind, welchem von Apple ebenfalls der Kampf angesagt wurde.
Mehr echter Wettbewerb im Einklang mit den Interessen der User
Die Crux: Die E-Commerce-Branche - und eigentlich das gesamte Online Marketing - haben sich eine kaum zu gewinnende Debatte aufzwingen lassen. Es geht um den grundsätzlichen Schutz im digitalen Raum vor individuell zugeschnittenen kommerziellen Botschaften. Das negiert von vornherein einen Nutzen von digitaler Werbung und setzt per se einen schutzbedürftigen User voraus. Aber wer will - bzw. wer muss - genau wovor geschützt werden?
Der vielfach politisch motivierte Wunsch, die Persönlichkeitsrechte im Web zu stärken, ist in der Pauschalität richtig, in der Umsetzung erweist er sich aber als Bumerang, weil wir alle einen hohen, vielleicht zu hohen Preis dafür zahlen. Wir stochern in einem Dickicht, teils sogar widersprüchlicher Regulierungen.
Die aktuelle Entwicklung mit den genannten Beispielen schränkt die freie Marktwirtschaft, die ja unter anderem durch einen freien Wettbewerb gekennzeichnet ist, weiter ein. Die US-Tech-Konzerne können mit ihren First Party Daten ihre Marktmacht kapitalisieren, das heterogene Feld der Websitebetreiber hingegen muss neue Daten-Strategien entwickeln, um Userinnen im Web mehrfach zu adressieren, Dienstleistern in dem Bereich wird vielfach das Geschäftsmodell entzogen.
Die Diskussion setzt an der falschen Stelle an. Ja, wir müssen die Persönlichkeitsrechte der User festigen, das geht aber vor allem über eine stärkere Selbstbestimmung. Jeder sollte für sich entscheiden, welchem Publisher er welche Freigaben zur Nutzung seiner Daten gibt. Technisch ist das längst möglich. Je mehr Unternehmen sich dem anschließen, desto unabhängiger werden wir von dem Geschäftsgebaren aus Übersee.