
Der B2B-Bereich muss sich an die Bedürfnisse der digital-affinen Marktteilnehmer anpassen. Das Problem: Die Buyer Journey im B2B ist deutlich länger und vielschichtiger ist als im B2C-Geschäft. Vier Trends, die B2B-Händler und -Unternehmen kennen sollten.
Von Florian Wassel, CEO Towa
Im Zuge der Corona-Pandemie waren viele B2B-Unternehmen dazu gezwungen, ihre Vertriebsstrategie anzupassen. "Omnichannel" war und ist die strategische Stoßrichtung, welche immer wieder hervorgehoben, umgesetzt und gelebt wird. So wie sich Unternehmen in ihren Sales-Prozessen weiterentwickelt haben, so haben sich auch die Erwartungen von Kunden und Kundinnen angepasst und weiterentwickelt. Doch wie sehen diese Erwartungen aus? Und wie können Unternehmen weiterhin ihre Commerce-Prozesse erfolgreich steuern? Vier richtungsweisende Trends identifiziert, die B2B Unternehmen kennen sollten.
1. Channel-less Commerce
Gerade im B2B fahren Unternehmen seit jeher Multikanalstrategien, bestehend aus klassischem Vertrieb, Webshop, Kundenportal und Website. Mit der Zeit entsteht eine Fülle unterschiedlicher Absatz- und Kommunikationswege, die in der Regel zumindest lose miteinander verbunden sind.
Weil sich die Bedürfnisse der Kunden jedoch stark verändert haben, wird die Orchestrierung der Kanäle für B2B-Unternehmen immer herausfordernder. Mit Channel-less Commerce bieten Händler und Hersteller diverse Kanäle an, die Kunden nutzen ohne, dass ihnen bewusst ist, dass sie zwischen verschiedenen Kanälen wechseln.
Und das bedeutet, dass Kunden den Kontakt zum Unternehmen so aufnehmen, wie es gerade passt: Wer unterwegs ist, wird wahrscheinlich die mobile App nutzen, um ein Gespräch zu beginnen. Dabei erwartet der Kunde selbstverständlich die gleiche Unterstützung, die er auch per E-Mail oder am Telefon erhalten hätte. Im Sinne einer nahtlosen kanalunabhängigen Kommunikation muss es der Kunde daher so einfach wie möglich haben. Dazu müssen Marketing, Vertrieb und IT perfekt integriert denken und handeln. Nur so entsteht eine gelungene Customer Experience.
2. Enterprise Marktplätze
Der beispiellose Boom, den der Onlinehandel und insbesondere Enterprise-Marktplätze 2020 erlebt haben, setzte sich auch im letzten Jahr fort. In 2021 lag das Umsatzwachstum im E-Commerce bei 12 Prozent, während Enterprise-Marktplätze ein Umsatzwachstum von 25 Prozent erzielten. Damit sind Enterprise-Marktplätze im zweiten Jahr in Folge doppelt so schnell gewachsen wie der gesamte E-Commerce.
Einer der Hauptgründe, warum Kunden Online-Marktplätze bevorzugen, liegt darin, dass sie eine größere Produktauswahl bieten als traditionelle einzelne Händler oder Hersteller. Wer also die Zahl der Marken auf seiner Plattform erhöht, kann sich von der Masse abheben und sein Produkt- und Serviceangebot diversifizieren, während sich gleichzeitig neue Nischenprodukte ohne Risiko oder Lagerhaltung einführen und testen lassen. So kann etwa eine Marktplatz-Erweiterung Sinn ergeben, die mit verwandten Produkten und Services Mehrwerte für Kunden bietet.
3. Individualisierung bleibt Dauertrend - von Consumer Brands lernen
Die digitale Experience großer B2C-Marken kreiert Fans und Bedürfnisse, die dadurch auch im Bereich B2B entstehen - dazu gehört etwa ein hohes Maß an Individualisierung. B2B-Unternehmen sollten hiervon lernen: Warum nicht dieselben Möglichkeiten bieten wie etwa mymuesli und "Zutaten" nach Bedarf zusammenstellen?
Damit wird das Produkt selbst zum Beratungsinstrument und reduziert die Vergleichbarkeit. Der Grad an Möglichkeiten reicht hier vom einfachen Product-Finder über Part-Customization bis hin zu Made-to-Order-Lösungen.
Egal für welche Option man sich entscheidet, sollte man immer auf eine inspirierende Visualisierung - Stichwort "Visual Commerce" - achten, um Produkte anfassbarer zu machen. Hier haben sich Produktbilder mit Hotspots (Kunden können auf diese Punkte klicken und es werden Zusatzinformationen, ein weiteres Bild oder eine anklickbare URL angezeigt), 360°-Animationen, Konfigurationen & Wizards, Mood-Mockups oder der Einsatz von Augmented Reality bewährt.
4. Product as a Service
Verleih- oder Miet-Services sind immer mehr im Kommen und bieten auch für B2B-Unternehmen interessante Vorteile. Hinter dem Trend steckt eine alternative, potenziell umweltschonende Geschäftslogik: "Product as a Service".
Kunden abonnieren das Produkt gepaart mit weiteren Funktionen oder Serviceverträgen zur Reparatur oder zum Austausch und zahlen wiederkehrende Gebühren. PaaS-Unternehmen haben mehr fortlaufendes Engagement mit engerem Kundensupport sowie stetige Einnahmen.
Eines der wohl bekanntesten Beispiele hierfür ist das "Power-by-the-hour"-Geschäftsmodell des britischen Flugzeugturbinenherstellers Rolls-Royce. Vor Einführung der Innovation war der Bau von Triebwerken für Rolls Royce ausschließlich ein Produktgeschäft: Für einen vergleichsweise hohen Einmalbetrag ging das Triebwerk in das Eigentum der Flugzeughersteller über. Im neuen PaaS-Geschäftsmodell werden keine Triebwerke, sondern Schubstunden an die Airlines verkauft und beruhen auf einem Performance-based Contracting Ansatz, das heißt, auf einer ergebnisabhängigen Vergütung. Nicht der Wert der Triebwerke an sich wird kalkuliert, sondern die mit dem Triebwerk erzielbaren Flugleistungsstunden. Kostenfaktoren wie Betrieb, Wartung und Reparatur sind im Preis bereits enthalten.
Fazit: Das Kundenverhalten im B2B ist deutlich komplexer
Immer mehr Kunden von B2B-Unternehmen legen Wert auf Benutzerfreundlichkeit und unkomplizierte Einkaufsprozesse. Vor allem gilt es, sich an die Bedürfnisse der digital-affinen Marktteilnehmer anzupassen. Bei allen Maßnahmen sollten Marketer und Technologie-Experten jedoch darauf achten, dass die Buyer Journey im B2B-Bereich deutlich länger und vielschichtiger ist als im B2C-Geschäft.
Umso wichtiger also, hier gut aufgestellt zu sein. Moderne E-Commerce-Technologien und Martech-Lösungen können dazu beitragen, die Performance der eigenen Plattformen deutlich zu steigern. Ziel dabei sollte stets sein, die Customer Experience signifikant zu verbessern und zugleich höchste Ansprüche an die Gestaltung von Shop oder Marktplatz zu stellen.