Milliarden für Start-ups, Schelte für Marktzahlen, neue Player, hässliche Pleiten, coole Gadgets: Die Digital Economy erlebte 2014 ein Jahr, das alles war, bloß nicht langweilig.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Malta lag 2013 bei 8,5 Milliarden US-Dollar. Diese Zahl sollte man im Hinterkopf behalten, denn sie hilft dabei, einige Vorgänge einzuordnen, die 2014 die Branche in Aufregung versetzt haben.
Januar:
Der Weihnachtsbaum ist noch nicht entsorgt, da übernimmt Google das kalifornische Start-up Nest Labs - für 3,2 Milliarden US-Dollar. Nest stellt Heizungsthermostate und Rauchmelder her, die sich über ein Smartphone kontrollieren lassen. Und: Nest-Gründer Tony Fadell gilt als einer der Väter des iPod.
Facebook hat die 1-Milliarde-Nutzer-Schwelle schon längst überschritten, doch Unternehmen, die das Social Network für die Kommunikation mit ihren Kunden nutzen, merken immer weniger davon: Die Zuckerberg-Company, die 2014 ihren zehnten Geburtstag feiert, beschneidet die Reichweite von Firmen-Posts und lässt die Absender für die volle Verbreitung zahlen.
Schlechte Nachrichten auch aus Europa: Der Weltbild-Verlag meldet Insolvenz an, das Performance-Netzwerk Tradedoubler baut Personal ab und das Bundeskartellamt verbietet dem Zimmervermittler HRS seine Bestpreis-Klausel. Sie verpflichtete die Hotels, nirgends günstigere Konditionen anzubieten als bei HRS.
Kurz vor Inkrafttreten des neuen Bankenstandards SEPA zieht die EU-Kommission die Reißleine - und gewährt einen Aufschub bis August. Feierlaune dagegen von Dortmund bis Duisburg: Als erste neue Top-Level-Domain mit deutschem Regionalbezug geht .ruhr ans Netz.
Februar:
19 Milliarden Dollar lässt Facebook für eine 250-Mann-Firma springen: Whatsapp hat sich innerhalb weniger Jahre zum meistverwendeten Messenger weltweit gemausert und setzt an, die SMS in Rente zu schicken. Der enorme Kaufpreis erklärt sich aus zwei Faktoren: Whatsapp hat rund 700 Millionen Nutzer - und Facebook sehr viel Geld in der Kasse.
Via Online-Petition fordern Zigtausende das ZDF auf, den "Wetten, dass?"-Moderator Markus Lanz zu entlassen. Damit erreicht ein Shitstorm seinen Höhepunkt, der Zweifel aufwirft, wie es um den Geisteszustand bei der Netzgemeinde bestellt ist. Die Zweifel am Sicherheitsniveau im Netz bestehen hingegen schon länger - sie werden bestätigt, als russische Hacker 1,6 Millionen deutsche E-Mail-Adressen erbeuten - mit Passwort, versteht sich.
Deutsche Internet-Verbände schütten die Szene zu mit immer neuen Prognosen über die Zukunft des E-Commerce. Und E-Commerce-Experten wie Jochen Krisch und Gerrit Heinemann bekommen fast ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln, weil viele dieser Erhebungen nicht nur methodische Schwächen aufweisen, sondern auch die Realität nicht abbilden. Heinemanns Fazit: "Der E-Commerce wird schlechtgerechnet."
Die Internetworld wird 18 und alle kommen: Besucheransturm auf dem Messegelände in München
Klar dokumentiert ist dagegen der Besucherrekord, den Ende Februar die 18. Auflage der E-Commerce-Messe Internet World verzeichnet. Über 13.000 Besucher kommen auf das Münchner Messegelände. INTERNET WORLD Business und Internetworld.de präsentieren sich aus diesem Anlass mit neuer Optik und inhaltlich fokussiert.
Und Zalando hat Grund zum Schreien: Der Modehändler gewinnt den Internet World Shop Award 2014.
März:
Die Shop-Softwareschmiede ePages, deren Online-Shops bislang vor allem Hosting-Kunden von Strato und T-Online bekannt waren, verbündet sich mit dem Hosting-Marktführer 1&1. Und damit die Ehe auch lange hält, steigt 1&1 im Gegenzug bei ePages ein.
Schlechte Presse erhält dagegen die Kölner Eyeo GmbH, die den Adblocker Adblock Plus vertreibt. Immer mehr Content-Seiten bangen um ihr Geschäftsmodell, wenn Werbung einfach unterdrückt wird. Delikat: Werbekunden können sich gegen Bezahlung vom Adblock-Bann freikaufen.
April:
Der Arbeitskampf zwischen Amazon und Verdi verschärft sich. Die Gewerkschaft fordert, die Arbeiter in den Amazon-Logistikzentrum nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel zu bezahlen - Amazon schaltet auf stur.
Begleitet werden diese Auseinandersetzungen von TV-Berichten über die angeblich schlechten Arbeitsbedingungen bei Amazon. Dass dem US-Riesen Ärger zu bereiten dem deutschen Handel allein nicht aus der Klemme hilft, zeigt ein Selbstversuch der Redaktion: Online bestellen und im Geschäft abholen (Click & Collect), klappt nur selten wirklich gut.
Mai:
Wenn Amazon schlimm ist, kann es bei Zalando nicht besser sein, glaubt der Privatsender RTL und schickt Enthüllungsjournalist Günter Wallraff auf die Pirsch. Das Ergebnis ist eine dramatische Reportage über die Zustände in den Auslieferungszentren des Modeversenders - die RTL nach einer gerichtlichen Verfügung nicht mehr zeigen darf, weil einige Fakten nicht stimmten.
Von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt startet derweil die Telekom ihre mobile Bezahllösung My Wallet. Ihr ergeht es ein wenig wie der Payment-Tochter Yapital von Otto: Wenige kennen sie, noch weniger nutzen sie.
Am 13. Mai spricht der Europäische Gerichtshof ein Urteil mit Folgen: Er schreibt das "Recht auf Vergessenwerden" fest. In der Folge erhält Google allein in Deutschland über 70.000 Anträge von Personen, die Webinhalte aus dem Google-Index gelöscht wissen wollen - rund 250.000 Seiten sind davon betroffen.
Aus Amerika schwappt ein neuer Trend nach Deutschland: Beacons, das sind kleine Mini-Peilsender, die die Lokalisierung und Erfassung von Smartphones ermöglichen. Die Sender tun nichts weiter als ein codiertes Signal auszustrahlen. Empfängt ein Smartphone dieses Signal, wird es erkannt - wenn auf dem Gerät eine entsprechende App installiert ist.
Juni:
Hat weder Lenkrad noch Pedale: Das Google-Auto fährt ohne Fahrer - und beflügelt Zukunftsvisionen
Ein kleines Vehikel bekommt große Presse: Google stellt den Prototypen eines selbst fahrenden Autos vor - ohne Lenkrad und Pedale. Das Wägelchen beflügelt die Fantasie: Sieht so die Zukunft des Autofahrens aus?
Auch um den neuartigen Fahrvermittlungsdienst Uber entbrennt eine Debatte. Der schickt sich an, herkömmlichen Taxis das Wasser abzugraben. Dafür bekommt er massiv Gegenwind von Stadtverwaltungen, Berufsverbänden und Gerichten.
Jahresrückblick 2014 - Teil 2 (Juli bis Dezember)
Juli:
Nachdem Gerüchte über einen baldigen Börsengang von Rocket Internet bereits im Frühjahr kursierten, schafft der Start-up-Inkubator aus Berlin die Voraussetzungen dazu und wird eine Aktiengesellschaft.
Mehr als nur ein Scherz: Amazon testet Auslieferung per Flugdrohne
Und Amazon zeigt, dass sein Ende 2013 viral verbreitetes Video vom Flug einer Paketauslieferungsdrohne kein Scherz war: Der Konzern beantragt bei der US-Luftfahrtbehörde FAA eine Genehmigung für weitere Testflüge. Einen Namen für den Lieferservice aus der Luft gibt es bereits: Amazon Prime Air.
August:
Im ständigen Ringen der Markenartikler um die Hoheit über die Vertriebswege verzeichnet der Online-Handel einen wichtigen Sieg: Adidas gibt sein Verbot, seine Produkte auf Online-Marktplätzen zu handeln, auf. Es wäre rechtlich wohl ohnehin nicht haltbar gewesen.
Wechsel an der Tabellenspitze: Serviceplan-Digitaltochter Plan Net übernimmt den Mobile- und E-Commerce-Spezialisten HMMH und wird damit zur größten Digitalagentur Deutschlands.
Das BKA meldet, dass die Zahl der Cyber-Attacken auf Webshops zunimmt. Nach Angaben des Amtes war bereits jeder achte Shop Ziel eines kriminellen Angriffs. Oft geht es dabei um Erpressung - manchmal auch um Marktbereinigung auf die harte Tour.
September:
Die Burda-Beteiligung Zooplus verzehnfacht ihren Quartalsgewinn: Die Zukunft von Medienkonzernen liegt folglich vielleicht nicht nur im Bedrucken von Papier, sondern eventuell auch im Verkauf von Katzenfutter.
United Internet steigt kurz vor dem für Oktober anvisierten Rocket-Börsengang bei den Berlinern ein und erwirbt für 435 Millionen Euro zehn Prozent der Firmenanteile.
Ganz andere Maßstäbe setzt da der Börsengang der chinesischen Alibaba-Gruppe: Der 50-jährige Alibaba-Gründer Jack Ma erlöst beim größten IPO in der Geschichte Chinas rund 25 Milliarden US-Dollar - das ist das Dreifache des maltesischen Bruttoinlandsprodukts.
Die Gespräche am Rande der Dmexco, die am 10. September in Köln zum sechsten Mal ihre Tore öffnet, bestimmt indes ein anderes Thema: Am Vorabend hat Apple neben neuen Smartphones und einem Mobile-Payment-System auch eine Smartwatch vorgestellt. Auf den Markt soll die Apple Watch allerdings erst 2015 kommen. Der Digitalmesse tut das keinen Abbruch: Sie verzeichnet mit fast 32.000 Besuchern einen neuen Rekord.
Oktober:
Nahezu zeitgleich gehen Rocket Internet und seine wichtigste Gründung Zalando an die Börse. Das Ergebnis fällt zunächst ernüchternd aus: Beide Papiere können den hohen Ausgabekurs nicht halten und geben nach dem IPO deutlich nach. Später dreht sich der Wind: Zum Jahresende liegen beide Werte deutlich über dem Ausgabekurs. Insgesamt konnte Rocket Internet rund 1,6 Mrd. Euro erlösen, Zalando kommt auf 600 Millionen.
Im seit Jahren schwelenden Streit um das Leistungsschutzrecht schafft Google Fakten: Der Suchmaschinenkonzern listet Links zu Artikeln von Verlagen, die Lizenzgebühren für ihre Inhalte fordern, nur noch in der kürzesten Form auf, die ohne Bezahlung möglich ist. Ergebnis: Axel Springer vermeldet für einzelne Angebote Reichweitenverluste von bis zu 80 Prozent und gibt danach klein bei.
Fall erledigt? Absolut nicht: Springer-Boss Mathias Döpfner sieht den Traffic-Einbruch als Beleg für Googles Marktmacht und will Lizenzzahlungen gerichtlich erstreiten.
Insgesamt erlebt die Medienbranche 2014 unruhige Zeiten: Bertelsmann übernimmt Gruner+Jahr komplett, bald darauf erschüttert eine Kündigungswelle das Haus.
November:
Bestellung auf Zuruf: Mit "Echo" will Amazon die Küchen und Wohnzimmer der Kunden erobern
Amazon, in der medialen Wahrnehmung häufig das personifizierte Böse, sorgt in der Vorweihnachtszeit für Belebung am Arbeitsmarkt. Rund 10.000 - allerdings nur befristet eingestellte - Aushilfen sollen den 9.000 festen Mitarbeitern dabei helfen, den Auftragsberg zum Jahreswechsel zu stemmen.
In den USA stellt der Handelsriese unterdessen "Echo" vor, eine Lautsprechersäule mit Sprachsteuerung. Sie soll Online-Bestellungen auf Zuruf abwickeln können - eine digitale Revolution.
Still geworden ist es derweil um einen anderen Game Changer: Ob Google seine Datenbrille Glass jemals auf den Markt bringen wird, erscheint unsicher - zu groß sind die Vorbehalte in der Bevölkerung.
Dezember:
Der Branchenverband HDE gibt eine eindrucksvolle Prognose für das Weihnachtsgeschäft ab: Mit 18 Prozent wird der E-Commerce 15 Mal so schnell wachsen wie der stationäre Handel. Der HDE erwartet einen Online-Umsatz von zehn Milliarden Euro. Staatliche Hilfe kann er dabei nicht erwarten: Das Bundesarbeitsgericht stellt in einem Urteil fest, dass das Verbot von Sonntagsarbeit auch für Callcenter gilt.
E-Commerce und Online-Marketing wurden 2014 volljährig. Die digitale Wirtschaft gehört weiterhin zu den maßgeblichen Wachstumstreibern in Deutschland. Es gibt Jahre, über die man in der Rückschau hätte Schlimmeres sagen können.
Und das sind die Trends für 2015.